Brigitte Regitz
Die Automatin
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Inhaltsverzeichnis
Titel Brigitte Regitz Die Automatin Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Impressum neobooks
Gertrud Leander schnaufte ärgerlich. Jetzt stand sie schon seit zehn Minuten im Stau und nichts bewegte sich. Ausgerechnet heute! Wo sie doch immer äußerst pünktlich war.
Ihre Hände lagen zu Fäusten geballt auf ihren Oberschenkeln. Sie saß ganz gerade, damit ihr dunkelblaues Seiden-Shirt, das so perfekt zu ihrer hellblauen Jeans passte, nicht knitterte. Sie wollte gerade heute einen guten Eindruck machen.
„Verrückt“, dachte sie. „Wie schnell ich mich doch daran gewöhnt habe, mit einem Androiden zusammenzuarbeiten. Ich empfinde ihn schon gar nicht mehr als Maschine.“
Vor fast genau zwei Jahren war damit begonnen worden, landesweit die Leitungsposten mit einer Roboter-Generation zu besetzen, die Menschen zum Verwechseln ähnlich war. Äußerlich. Beim Händeschütteln konnte man keinen Unterschied zu einem Menschen merken. Sie hatten dieselbe Temperatur wie ihre menschlichen Ebenbilder. In ihrem Handeln unterschieden sich diese Androiden allerdings fundamental von Menschen. Sie verhielten sich in jeder Situation korrekt, bevorzugten niemanden, intrigierten nicht, waren nicht ungerecht, ließen sich nicht von dem Trachten nach Macht treiben, waren unbestechlich, verfolgten einfach nur ihre Aufgabenerledigung.
Der Umstellung auf Androiden waren heftigste Proteste der betroffenen Führungskräfte vorausgegangen. Zuerst hatten sie versucht, das Gesetz, das den Roboter-Einsatz möglich machte, zu torpedieren, indem sie Unterschriftensammlungen veranstalteten und Petitionen einbrachten.
Als das nichts nützte, waren sie zu Protestanzeigen in Zeitungen und Demonstrationen übergegangen. Nur half auch das nichts, denn die Mehrheit der Mitarbeiter aus den Betrieben der abtgesetzten Managementebene war von deren Leistung durchaus nicht angetan und erhoffte sich von den Androiden ein besseres Arbeitsklima und faire Aufstiegschancen.
Und so wurden die ehemaligen Chefs in sogenannte Beratungszentren umgesetzt, in denen sie in ihren jeweiligen Fachgebieten hochwertige Sachbearbeitung leisten sollten.
Damit fing in den Betrieben eine neue Ära an. Die Schleimspur hatte ausgedient. Gertrud musste lächeln. Der eine und andere Kollege fand das gar nicht gut. Die Androiden eierten nicht herum, wenn sie an einem Mitarbeiter negative Kritik übten. Das war sehr ungewohnt, und auf einmal zählten nur noch die tatsächlichen Leistungen der Mitarbeiter, wenn es um die Chancen zum Aufstieg ging. Schmeicheleien und gute schauspielerische Selbstdarstellung halfen nicht mehr weiter.
Etwas Besseres hätte den Angestellten nicht passieren können, fand Gertrud. Der Roboter-Hersteller Robert Gabelmann hatte eine bahnbrechende Technik auf den Markt gebracht und war immer wieder in aller Munde, denn die Bestückung von Unternehmen mit seinen Robotern ging unaufhaltsam weiter. Schade nur, dass die Technik noch nicht perfekt ausgereift war. Gertruds letzter elektronischer Abteilungsleiter war plötzlich erstarrt auf dem Gang zu den Büros stehen geblieben. Mehrere Elektroniker hatten daraufhin versucht, ihn wieder zum Leben zu erwecken, sozusagen, aber ohne Erfolg. Sie musste grinsen. Irgendwie war es ja schon merkwürdig, diese Maschinen als Vorgesetzte zu haben.
Ab heute sollte ein Ersatzmodell zum Einsatz kommen. Sie war gespannt, wie der oder die Neue aussehen würde und hoffte auf Verständnis für ihr Zuspätkommen. Immerhin war sie bisher mit den Androiden gut gefahren. Die Zusammenarbeit lief reibungslos, ohne jegliche Spannungen oder Missverständnisse, und so freute sie sich auf die erste Begegnung.
Da, endlich! Der Wagen vor ihr fuhr an. Sie startete ihr Auto. Die Wagenschlange setzte sich in Bewegung.
Auf diesen Tag hatte Ingelotte Blatter seit zwei Jahren hin gefiebert: den erneuten Aufbruch in das Leben, wie sie es sich wünschte. Sie war besonders früh aufgestanden, zog zum ersten Mal das maisgelbe, zweiteilige Kleid an, das sie sich vor drei Tagen zugelegt hatte.
Sie ging ins Bad, nahm eine blond gelockte Perücke von einem Styroporkopf, stülpte sie über ihre kurzen, braunen Haare, klappte das rechte und das linke Teil des dreiteiligen Spiegels aus. So konnte sie erkennen, ob wirklich kein Haar mehr hervor sah. Im Nacken entdeckte sie eine dunkle Haarsträhne, die sie sorgfältig unter den Perückenrand schob.
Zufrieden drückte Ingelotte die beiden Spiegelseiten zurück. Aus einem Schubfach des Kosmetikschranks zog sie einige Wattetamponaden hervor, wie sie von Zahnärzten benutzt werden. Damit polsterte sie ihre Wangen auf.
Sie betrachtete sich prüfend im Spiegel. Ihr Gesicht wirkte deutlich runder. Die ohnehin dünnen Lippen waren noch schmaler geworden. Die Dehnung des Gesichts ließ die sonst kaum sichtbare Narbe auf der rechten Wange deutlicher hervortreten. Ingelotte gefiel sich nicht, aber sie sah sich kaum mehr ähnlich, und genau das wollte sie.
Vor dem Garderobenspiegel prüfte sie ihr Aussehen von allen Seiten. Der knöchellange Rock streckte ihre Figur, denn er versteckte ihre zu kräftig geratenen Beine. Sie trug die leicht taillierte, kurze Jacke geschlossen, am Ausschnitt lugte ein gelbgrünes T-Shirt hervor.
Aus ihrer großen, schwarzen Ledertasche, in die auch ein Aktenordner passte, zog Ingelotte eine Sonnenbrille heraus und setzte sie auf. Wieder schaute sie prüfend in den Spiegel. Die modisch golden getönten Brillengläser verliehen ihrem Aussehen einen Hauch von Extravaganz.
Wenn ihre Mutter sie jetzt sehen könnte! Bekleidungseskapaden mit ausgefransten oder auch nur verwaschenen Jeans hatte sie nie erlaubt. Ingelotte und ihre Schwester waren immer sauber, ordentlich, konservativ gekleidet zur Schule gegangen.
Ein Blick auf die Armbanduhr: Sie musste gehen. Schnell schlüpfte Ingelotte in ihren Popelinemantel, griff Handtasche und Schlüssel und machte sich auf den Weg.
Ihr Auto hatte sie am Abend zuvor zwei Straßen entfernt von ihrer Wohnung geparkt. In der Verkleidung konnte sie sich nicht in der Tiefgarage ihres Hauses sehen lassen. Womöglich würde sie jemandem begegnen und doch erkannt werden. Wie hätte sie ihre Maskerade erklären können?
Zielstrebig ging sie auf ihren roten Wagen zu. Zum ersten Mal empfand sie es als unangenehm, eine solch auffällige Lackfarbe gewählt zu haben. Ein dezentes Silbergrau wäre ihr jetzt lieber gewesen, aber sie hatte ja nicht ahnen können, auf was für ein Abenteuer sie sich eines Tages einlassen würde.
Sie spürte eine diffuse Angst. Würde ihr riskanter Plan funktionieren? Was, wenn sie enttarnt würde? Andererseits, wie sonst sollte sie heutzutage eine Abteilungsleiterstelle bekommen?
Mit ihren vierzig Jahren gab sie sich nicht der Illusion hin, noch reichlich Zeit zum Aufbau einer anderen, neuen Karriere zu haben. Außerdem wurden Jüngere ohnehin bevorzugt. Zu Recht? Sie musste zugeben, dass ihre Energie nicht unbegrenzt war. Abends fühlte sie sich oft müde. Dann fiel es ihr schwer, etwas zu unternehmen.
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