Dann drehte er sich um und ihre Miene war so wutentbrannt, wie eine Naturgewalt, so, dass Sascha erstarrte. Diese Julia kannte er nicht und das machte ihm Angst. Hastig zog er sich an. Währenddessen stürmte Julia durch das Zimmer. Sascha betete sie an. Was für eine Frau! Aber irgendwie hatte sie sich verändert. Sie hatte etliche Kilos abgenommen. Julia sah erschreckend dünn aus. Viel zu dünn.
Er warf einen Blick in den Spiegel. Kleine Blutrinnsale liefen ihm über die Wangen. Kratzwunden, die ihm Julia beigebracht hatte.
Wieder versperrte sie mit verschränkten Armen den Ausgang.
„Wie soll ich das nur meiner Frau erklären?“
„Das ist mir vollkommen schnuppe. Duschen ohne nass zu werden geht nun mal nicht. Ich habe Dir gesagt, dass ich Deine Frau respektiere und Dich mit ihr teilen kann, aber … Du hast noch ein Verhältnis!“, schrie sie besitzergreifend, „mit Frau Pfeffer, gib es endlich zu! Ich bin doch nicht blöd! Der feine Patentanwalt Pfeffer, immer so korrekt. Von wegen Geschäftsreisen. Er verbringt die Zeit im < Ball der einsamen Herzen > und sie ist die ganze Zeit allein. Wenn Du wüsstest! Wenn ich auspacke! Ich war und bin immer noch seine Sekretärin, kenne ihn besser als seine eigene Mutter. Finanziell wäre da aus seinem Techtelmechtel einiges rauszuholen.“ Julia gab die Tür wieder frei.
Er hörte ihr schon nicht mehr zu.
Einen Moment lang spielte Sascha tatsächlich mit dem Gedanken, reinen Tisch zu machen, die Wahrheit auszupacken, aber er verwarf die wahnwitzige Idee ebenso schnell, wie sie ihm gekommen war.
Während er die glücklichen Tage heraufbeschwor, kam ihm auf dem Nachhauseweg die rettende Idee.
Es schneite. Der Wind trieb Sascha die Flocken ins Gesicht. Sie nahmen ihm die Sicht nach oben und ließen seine Gedanken abreißen. Sascha versuchte sein Gesicht aus dem Schnee zu drehen, der von einem scharfen Wind waagrecht durch die Luft gefegt wurde. Seine Schuhe waren durchweicht, die Hose nass bis zu den Knien. Irgendjemand sollte vielleicht mal diese Straße streuen.
Wie jeden Tag, nach dem Mittagessen, machte es sich Regina in ihrem Sessel bequem, ließ den kleinen Hund auf ihrem Schoß Platz nehmen, streichelte und kraulte ihn eine Weile, bevor sie die Lesebrille aufsetzte und ihre Handarbeit aus dem Korb nahm. Häufiger als früher nickte sie schon nach kurzer Zeit ein, wobei die Stricknadeln ihren Fingern entglitten und ihr Kopf gegen das Polster fiel. Sie machte die Augen zu, damit sie von ihren Erinnerungen leichter in die Vergangenheit zurückgetragen werden konnte. So schlief sie, mit dem Hund auf dem Schoß. Das Kind spielte mit seinen Puppen.
Sascha ging geradewegs ins Wohnzimmer.
Als Reginas Blick auf ihren Mann, der breitbeinig, um sich im Gleichgewicht zu halten, fiel, wurde sie vor Schreck ganz blass. Es schien, als wollten ihm die Beine demnächst den Dienst versagen. In seinen Augen war ein unheimliches Glitzern.
„Um Himmels willen, was ist geschehen?“, forschte Regina.
Sascha verzog sein Gesicht mühsam zu einem vagen Lächeln, was ihm höllische Schmerzen bereitete. „Ich glaube, ich hab was ziemlich Dummes angestellt“, platzte er heraus.
„Wieso?“, fragte Regina. Ihr Gesicht nahm den Ausdruck des Erstaunens an.
Hinter seinem Rücken brachte er eine kleine Katze zum Vorschein, fauchend. „Ich hab sie für Viktoria gekauft, aber das verdammte Biest fiel mich an, als ich sie in den Korb stecken wollte.“
Saschas Horoskop: Warum immer nur an andere denken? Verwöhnen Sie sich doch auch mal selbst. Es gibt im Leben keine Reue, nur Lektionen.
Fast zehn Jahre hatte Sascha damit zugebracht, sich nach allen Regeln der Kunst ein Doppelleben aufzubauen, von dem nicht einmal seine engsten Freunde etwas wussten – dachte er.
Sascha war sprunghaft und liebte die Oberflächlichkeit. Beim Einkaufen beispielsweise waren die Namen der Hersteller für ihn das Wichtigste. Er liebte auch seine Arbeit und war rege und aufmerksam, solange es um die Schickeria ging.
Außerdem war er ein hervorragender Organisator. Sascha war in der Lage, innerhalb weniger Wochen nach seiner Ankunft in Mallorca einen Liegeplatz im Hafen oder den Mietvertrag für eine Villa im August zu beschaffen, die niemals auf dem freien Markt angeboten worden wäre, sowie alle möglichen nützlichen Kontakte herzustellen, seien sie geschäftlich oder sonstiger Art. Insbesondere sonstiger Art.
Es gab ihm das Gefühl der Macht, dass millionenschwere Männer von ihrer Jacht sprangen, nur um zu ihm zu kommen.
Er verliebte sich ständig und jedes mal half ihm die neue Liebe, die alte zu vergessen. Sascha betete die Frauen an. Für ihn waren sie alle schön. Stets brachte er es fertig, ein Dutzend davon in Bereitschaft zu haben. Eine Tür ging auf, eine andere zu. Die herzzerreißenden tränenreichen Abschiedsszenen bestanden immer aus einem großzügigen Geschenk und einem – man sieht sich.
Doch all das gehörte der Vergangenheit an.
Regina war eine reiche Erbin einer legendären Frankfurter Dynastie. Als Sascha sie zum ersten Mal sah, waren seine Junggesellen-Tage gezählt. Wenig später fand er sich als Ehemann wieder. Er war angekommen – dachte er.
Regina war ebenso energisch wie schön, und sie wusste was sie wollte. IHN, seinen Bruder, den Vikar.
Also hatte sich Sascha von einem sorgenfreien Junggesellen in den Mann einer schönen jungen Erbin verwandelt. Er stieg in das Familienunternehmen, der Detektei Indiskret, ein, was innerhalb des Konzerns - bei den Männern - für große Spannungen sorgte. Andererseits war ihm - durch die weibliche Belegschaft - von Anfang an Erfolg beschieden. Stets lächelte er smart und war charmant. So herrschte eitel Duldsamkeit.
Die Ehe mit Regina blühte und gedieh, dank göttlichem Beistand.
Hatte er zuerst befürchtet eine Heirat würde seine Männlichkeit beeinträchtigen, stellte sich diese Angst bald als unbegründet heraus. Er reduzierte die Anzahl seiner Freundinnen und alles lief nach Wunsch wie zuvor.
Regina war ihm die perfekte Ehefrau. Sie liebte ihn und behandelte ihn wie einen König, was nach seiner Ansicht nach genau das war, was er verdiente.
Die ganze Sache hatte nur einen Haken. Witterte sie Grund zur Eifersucht, verwandelte sie sich in eine Furie.
Mit tugendsamer Entrüstung wies er die Anschuldigungen zurück. Mit allergrößter Diskretion trieb er sein Spiel weiter, dass auch nicht der Hauch eines Verdachts auf ihn fiel. Manchmal fragte sich Sascha, warum er eigentlich ständig fremdging.
Dann begegnete ihm Julia und er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie wurde unter einer Bedingung seine Geliebte: Sascha musste allen anderen Frauen in seinem Leben, außer seiner Ehefrau, entsagen.
Mit welcher Frau er jeweils zusammen war, immer fühlte er, dass er die andere betrog. Und das steigerte sein Begehren.
Beide Frauen wurden etwa zur gleichen Zeit schwanger. Nach neun Monaten schenkte Regina einem Mädchen das Leben, ein paar Tage später Julia einem Jungen.
Reginas Horoskop: Ihre gute Laune könnte dadurch getrübt werden, dass Sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Locker bleiben. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.
Es gibt jemanden in Ihrem Leben, der nur darauf wartet, dass Sie den ersten Schritt wagen. Trauen Sie sich!
Regina hatte für den Fasching so gar keinen Nerv. In diesem Jahr blieb ihr der Hexenrummel und die Weiberfastnacht erspart und dennoch ließ sie sich dazu überreden, wenigstens zu einer dieser Veranstaltungen, am Samstag, zu gehen. Ihre Bekannten versprachen, dass die Party poppiger und knalliger werde als je zuvor. Einen spektakulären Liveact, ein neunziger Revival mit einem abgedrehten DJ Team an den Plattentellern, einem verrückten Science-Fiction Kostümwettbewerb und einer Überraschung, jedesmal, wenn die Konfetti-Kanone explodiert.
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