Bei Moritz Szeps fand der Kronprinz, das was er suchte und brauchte. Er bekam Informationen über sein Land, und konnte sich selber als anonymer politischer Tagesschriftsteller betätigen, über Themen, die ihm wichtig erschienen und sonst in der österreichischen Zeitungslandschaft von damals wenig oder gar nicht abgehandelt wurden. Damals festigte sich bei Rudolf die Auffassung, dass die Presse bei wichtigen Vorhaben stets informiert und beigezogen werden sollte, ganz im Gegensatz zur Auffassung seines Vaters und des Regierungschefs.Rudolfs unzählige politische Leitartikel, die alle anonym erschienen, wurden oft zum Skandal, obwohl Szeps sie alle entschärfte, er kannte sich ja mit der allgegenwärtigen Zensur bestens aus und wusste genau, was gerade noch durchging und was man einfach nicht schreiben durfte. Darum ist es heute sehr schwer, die Artikel Rudolfs zu erkennen, denn man geht nicht fehl in der Annahme, dass die meisten eine Gemeinschaftsproduktion von Szeps und Rudolf waren. Rudolfs Stil war knapp, unverblümt, ohne Schnörkel. Szeps drückte sich etwas gewundener aus, verwendete viele Zitate, seine Schreibe war manchmal blumig und gewunden, eben um die Zensur zu täuschen.Die Zusammenkünfte des Chefredakteurs und des Kronprinzen hatten immer etwas geheimnisvolles, konspiratives an sich. Szeps: „Ich kann mich nicht erinnern, jemals normal zum Kronprinzen gelangt zu sein, immer gings auf verborgenen Wegen in seine Räume“.
Später warfen der Hochadel und die klerikalen, deutschnationalen Kreise Szeps massiv vor, dass er am Untergang des Kronprinzen die Hauptschuld trage. „Sein jüdischer Einfluss, auf den ursprünglich bestens veranlagten arischen Menschen sei mehr als verhängnisvoll gewesen“.
Heute kann man sagen, dass Szeps die PR für den Kronprinzen besorgte, ihn mit Informationen aller Art versorgte. Er schickte ihm nicht nur Berichte seiner Korrespondenten, sondern auch konfiszierte Bücher und Schriften, die der Kronprinz sonst nie zu Gesicht bekommen hätte. Der Informationsaustausch der Beiden war jedoch nicht ganz unbedenklich. Rudolf ließ sich des öfteren dazu hinreißen, wirklich streng geheime Begebenheiten zu erzählen, die für die Ohren eines Vollblutjournalisten sicher nicht bestimmt waren. Besonders wenn er dafür im Austausch dafür Berichte über Frankreich und dessen republikanische Führer bekam. So erzählte er Szeps über einen Ausflug mit König Milan von Serbien, der ihm seine Situation unter dem Einfluss des vielen Burgunderweines, den ihm Rudolf zu trinken gab, ganz offen schilderte. „ Meine Situation ist ausweglos, ich kann mich entweder den Russen mit ihrem Panslawismus an den Hals werfen, was mein Volk sehr begrüßen wird oder ein guter Österreicher bleiben, gegen den Willen meines Volkes, allerdings brauche ich dazu verstärkte österreichische Truppen an meinen Grenzen“. Szeps schrieb in abgeschwächter Form über dieses Gespräch. Der Skandal war perfekt.Dazu muss man wissen, dass König Milan total von Kaiser Franz Joseph abhängig war, er bekam sogar eine Apanage vom Kaiserhaus und hielt sich mehr in Wien auf, als in Belgrad. Dafür hatte er mir Österreich-Ungarn ein Geheimabkommen geschlossen, dass er keine fremden Mächte in Serbien dulden werde, besonders keine Russen, dass er es nicht zulassen würde, dass in Serbien die k.u.k. Monarchie herabgewürdigt werde usw. Seine Gegner behaupteten, praktisch habe er Serbien dadurch an Österreich verkauft und verraten.
Rudolf benutzte natürlich Szeps und sein Tagblatt dazu, sich an Taaffe und Erzherzog Albrecht zu rächen, was des öfteren gelang, aber zu verstärkter Überwachung, bis hin zur Briefzensur Rudolfs führte.
Der geschäftliche Untergang von Moritz Szeps begann damit, dass das Tagblatt konfisziert wurde. Er wehrte sich, indem er für einen Tag, in ganz Wien Verkaufsstellen anmietete und dort sein Blatt vertrieb. Dann verlor er einen Ehrenbeleidungsprozess gegen Ritter Georg von Schönerer, dem Chef der Deutschnationalen im Parlament und musste für 14 Tage ins Gefängnis. Das Tagblatt verlor immer mehr an Abonnenten und Lesern. Er musste aufgeben. Vom Liebling der Wiener war er zum verhassten jüdischen Journalisten geworden. Mit einigen Redakteuren , so auch Bernhard Frischauer, gründete er ein eigenes Blatt das „Wiener Tagblatt“, das aber nicht lief. Er verlor finanziell alles, was er sich aufgebaut hatte. Zwar hatte er einen Geldgeber, Baron Hirsch, der bedeutende Mittel in seine neue Zeitung steckte, doch es war zu wenig. Auch Baron Leitenberger, ein wütender Gegner der Antisemiten, beteiligte sich, doch auch ihm wurde „das Fass ohne Boden“ zu viel. Baron Hirsch, ein jüdischer Finanzier und Großindustrieller wurde Szeps wahrscheinlich vonKronprinz Rudolf vermittelt, der ja für seine eigenen Unternehmungen, sei es sozialer, karitativer oder privater Art, Geld brauchte, er selber hatte ja kein eigenes Vermögen.
Szeps war es auch, der die Bekanntschaft Kronprinz Rudolfs mit Georges Clemencau vermittelte. Immerhin gab es da Familienbande. Seine jüngere Tochter Sophie heiratete den Bruder des„Tigers“.
Clemencau soll auch einmal anlässlich eines Wien-Besuches zu Rudolf in die Hofburg geschleust worden sein. Wie immer, sehr spät abends, alles sehr geheimnisvoll. Rudolf bewunderte Frankreich grenzenlos und soll sich einmal dahingehend geäußert haben, dass er, sollte es mit dem Kaisertum Österreich- Ungarn bergab gehen, er am liebsten nach Frankreich auswandern würde und sich der dortigen Regierung zur Verfügung stellen würde. Starker Tobak für einen Kronprinzen.
Durch diese ganzen Aktivitäten, die selbst in die ausländischen Botschaften drangen, wurde besonders Deutschland aufgeschreckt, Bismarck wetterte, ließ unzählige Artikel im „Berliner „Börsen Courier“ gegen den österreichischen Kronprinzen verbreiten und der deutsche Botschafter in Wien, Prinz Reuss verfasste Dossier um Dossier über den Kronprinzen, angefangen von seinen politischen Äußerungen, bis zum zu den privatesten Dingen, was beweist, dass man in der deutschen Botschaft sich sehr wohl der Konfidentenberichte über Rudolf, die alle bei Baron Krauß, dem Polizeiminister und Graf Taaffe landeten, bediente. Bismarck sah den Pakt Deutschland Österreich-Ungarn durch Rudolf gefährdet.Nur Kaiser Franz Joseph blieb ruhig, obwohl er gerade den deutschen Botschafter sehr oft empfing. „Der Rudolf plauscht schon wieder.....“ , hieß es lapidar.
Moritz Szeps war, wie er und seine Tochter Berta nach der Mayerling Tragödie versicherten, in der Nacht bevor Rudolf nach Mayerling aufbrach, also am 27. 1. 1889 noch bei Rudolf. Der Kronprinz hatte ihn holen lassen, um mit ihm die bevorstehende ungarische Wehrgesetznovelle zu besprechen.
„Der Kronprinz war dabei sehr nervös, fahrig, aber sonst wie immer, klar in seinen Ansagen, liebenswürdig, höflich und charmant. „Rudolfs Helfer bei den Geheimaktivitäten waren vor allem Leibkammerdiener Karl Nehammer,dem Rudolf total vertraute und der Fiaker Bratfisch oder „Nockerl“ wie sein Spitzname hieß.„Nockerl“ deshalb, weil er klein und gedrungen war, wie ein Nockerl eben.
Bratfisch war einer der nach Schloss Orth an der Donau eingeladene Sänger und Kunstpfeifer, die mit den damals sehr berühmten Schrammeln (Musikerquartett) auftraten. Im ganz privaten Rahmen, sogar die Kronprinzessin und einige ausgesuchte Freunde waren mit von der Partie, wurde gesungen, gespielt, gepfiffen, getafelt und eher wenig Alkohol getrunken. Die adelige Zuhörerschaft war totalbegeistert. Kronprinz Rudolf so heftig, dass er Bratfisch sogar angeblich das Du- Wort antrug. Bratfisch sollte nach einer berühmten Melodie von Josef Schrammel einen selbstverfassten Text Rudolfs zum Besten geben. Nur er streikte. „Dös is a Schrift, meiner Seel, de kann ma' net' lesen..“, der Kronprinz war über soviel Unverblümtheit entzückt. Man kann durchaus sagen, dass der Siegeszug der Schrammeln auch durch Kronprinz Rudolfs Vorliebe für diese Art von Musik zustande kam.
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