Der Inspektor trat während Isherhills Rechtfertigung an die Schnittstelle des Hauptcomputers heran und übertrug eine Reihe von Daten von seinem PDA-Armband, woraufhin der Holo-Bildschirm eine Überwachungsanalyse darstellte.
»Du fängst schon damit an, deinen Kopf aus der Schlinge rauszureden, Simon. Darauf habe ich gewartet. Nur hast du keine Chance, weil deine Tricks bei mir nicht ziehen. Ihr habt Dreck am Stecken … jeder Einzelne hier, und das werde ich beweisen! Ich hatte bereits Einblick in eure Datenbank und die Personalakten. Beginnen wir also mit dem Versagen der Sol Guard am heutigen Morgen in Mine C. Und danach teile ich deinen Angestellten in einer Konferenz mit, wer jetzt das Sagen hat!«
Der Triumph in Edwin Duquettes Augen kannte keine Grenzen.
~9~
Coffee, Cit und der Droide betraten ein niedriges, verwinkeltes Gangsystem. Rötliche Lichtquellen beleuchteten es mehr schlecht als recht und warfen die Schatten ihrer Gitterabdeckungen auf den Metallboden und die Personen unter sich.
LD-U20-3s Servogeräusche mischten sich unter das Schritteklacken der beiden Männer, welches mit kurzem Hall von den Wänden zurückgeworfen wurde.
Die Luftaustauschanlage summte vor sich hin.
Coffee empfand die Geräuschkulisse als physische Bedrohung. Wie eine Zwangsjacke, die ihn einschnürte. Selbst das Licht glich einem zähflüssigen Sirup, der von der Decke tropfte und alles zu verkleben schien.
Er lenkte sich mit dem Inspizieren der Rampen ab, die auf beiden Gangseiten zu den Kristallreinigungszellen hinunter führten. Das in Reihe geschaltete und automatisierte Kammersystem stellte eine Sperrzone für Minenarbeiter dar. Nur Wartungstechniker hatten Zutritt. Über den Türen wiesen Displays auf die Unterbrechung des Betriebs hin, der in fünf Stunden wieder aufgenommen werden sollte.
Die drei folgten dem Zickzack der Gänge und passierten mehrere Kammern, bis der Roboter das Erreichen des Tatorts signalisierte. In einer Sackgasse angekommen, machten sie an der vorletzten Zelle links halt, wo ein weiterer Lockdown-Droide und ein Medic-Droide auf Posten standen. Nach ihrem kurzen Bericht trat die Maschine des Einsatzkommandos beiseite und gab den Tatort für die Sol Guard-Männer frei.
05:55 Uhr.
Coffee ließ die Szenerie auf sich wirken. Er konzentrierte sich zunächst auf das mit bloßem Auge Sichtbare, bevor er seine Scans einleitete.
Am unteren Ende der Rampe befand sich ein geschlossenes Metallschott, hinter dem, wie er wusste, eine Schleuse lag, die den Zugang zur Zelle ermöglichte. In der Kammer selbst bestand während des Reinigungsprozesses Lebensgefahr, da die Rohkristallbruchstücke in Schwerelosigkeit herumgewirbelt und mithilfe gezielter Ultraschallstrahlen von Verunreinigungen befreit wurden. War der Inhalt des raumgroßen Containers gesäubert, wurde er angehoben und durch die Decke zur Abteilung der kristallinen Ausbesserung bewegt. Inzwischen rückte von unten der nächste Container nach. Die Zelle stellte somit eine Todeszone dar, die nur durch die Werkszentrale oder das interne Sicherheitssystem einer Kammer deaktiviert werden konnte.
Oberhalb des Schleusenschotts blinkte ein grünes Hologrammsymbol: Die Reinigungszelle war, wie alle anderen, außer Betrieb und gefahrlos zu betreten. Das Schott zeigte keine Anzeichen äußerer Krafteinwirkungen, und am Boden oder den Wänden war ebenso nichts Verdächtiges zu entdecken.
Enttäuscht aktivierte Coffee den Scanner. Doch auch hier löste das Resultat Ernüchterung bei ihm aus. Die Sensoren seines Anzuges registrierten weder Anomalien noch die Existenz einer illegitimen DNA.
Anscheinend hielten sich nur Arbeiter mit Zugangsberechtigung hier auf … keine Fremdindividuen.
Der Sol Guard-Mann fragte sich, wie die Person, wenn überhaupt ein Mensch in der Zelle lag, dort hinein gekommen war, ohne vor der Schleuse die geringsten Reste zu hinterlassen. Sogar bei jedem Kunstwesen blieben Materialpartikel zurück. Und die Luftaustauschanlage war in diesem Bereich nicht auf eine aseptische Funktion ausgelegt. Es mussten Spuren zu finden sein, auch wenn die Frau schon tot in die Zelle gelegt worden war.
Doch ergab das einen Sinn? Coffee konnte sich effektivere Methoden vorstellen, eine Leiche verschwinden zu lassen – vor allem gab es weitaus unauffälligere. Dem vermeintlichen Mörder musste die Entdeckung seines Vorgehens klar gewesen sein, denn ein Körper löste sich da drinnen nicht spurlos auf. Reste für eine Identifikation blieben selbst nach dem völligen Zerfetzen übrig.
Es sei denn, es handelt sich um eine Inszenierung der Crystal-Jackers. Dass die Bande ihre Aktivitäten hochfährt, deckt sich mit der Theorie, die Isherhill beim Briefing aufgestellte. Aber warum? Um von einem anderen Coup abzulenken?
Eine vage Theorie. Zudem: Die Serpentinen der Transporttunnel verschlossen sich während einer Stilllegung hermetisch bis hin zur Oberfläche. Nicht einmal eine Maus entkäme von dort, also säße auch eine Diebesbande mit ihrer Beute in der Falle.
Unlogisch. Und trotzdem sind vor kurzem Brymm-Ladungen in den Tunneln verschwunden …
Der Fall entwickelte sich mit rasanten Schritten zum Untersuchungshorror, das wurde dem Sol Guard-Mann bewusst. In den vergangenen Wochen hatten sich in Kap Rosa dutzende unerklärliche Vorfälle gehäuft, aber diese Geschichte stellte die Krönung dar.
Besteht etwa eine Verbindung zwischen allen …
Er zog die Augenbrauen hoch, legte den Kopf schräg und lauschte in sich hinein. Die MindCell-Daten der Ermittlung erhielten eine Aktualisierung.
Obwohl sich das Dickicht an Fragen etwas lichtete, verhießen die Infos auch Negatives. Mona hatte die Wartungsprotokoll-Analyse der Sektion abgeschlossen. Ungewöhnlich spät, wie Coffee fand. Absurderweise war die Deaktivierung der Reinigungszelle nicht durch das Personal erfolgt, sondern durch den Computerzugriff einer unbekannten Quelle. Doch seit dem Tathergang vor ungefähr neunzig Minuten war es Mona nicht gelungen, die Quelle zu lokalisieren. Noch ungewöhnlicher! Als eine der leistungsfähigsten KIs des Sonnensystems benötigte sie zur Identifizierung einer Systemmanipulation für gewöhnlich einen Wimpernschlag.
Coffee geriet ins Grübeln. Wurde der Hauptcomputer der Sol Guard von Funktionsstörungen befallen? Zwei Verzögerungen ohne Grund … was, wenn Mona Fehler unterlaufen sind? Dann stand es um die Sicherheit von Kap Rosa und den ramponierten Ruf seiner Firma schlechter, als er dachte. Im Moment schreckte er jedoch davor zurück, den Gedanken weiterzuspinnen. Schließlich existierte ein Beweis für Monas Langsamkeit: die Leiche in der Zelle und tausend aufwändig zu berechnende Faktoren. Trotzdem würde er später eine Systemdiagnose der Künstlichen Intelligenz beantragen.
Des Weiteren hatte sich Monas Überwachungsprotokollen zufolge definitiv jemand zur Tatzeit in der Abteilung aufgehalten. Und das war der springende Punkt, denn es handelte sich um einen Unbekannten ohne Signatur. Den Techniker Cabrallo entlastete das teilweise, da der Mann sowohl eine gültige Signatur als auch eine Arbeitserlaubnis für den Bereich besaß – auch wenn er den Einsatzort nie erreicht hatte. Wie Coffee der Datenaktualisierung aber entnahm, waren seine Teamkollegen Patricia und Warren bei der Prüfung des Materials auf Unstimmigkeiten gestoßen. Antonio Cabrallo hatte in einer der oberen Etagen Reparaturen vorgenommen, zu denen er nicht eingeteilt gewesen war, was seine MindCell-Standortbestimmung für den Zeitpunkt bewies. Außerdem tauchte der Mann nicht auf den Aufnahmen der Gangkameras des Reinigungszellentraktes auf.
Somit konnte es sich bei dem Unbekannten, den Monas Protokolle verzeichneten, nur um die Frau handeln. Eine Frau wiederum, die es in Kap Rosa nicht geben durfte, da jeder Mensch oder Droide über die Registrierung des MindCells zu identifizieren war, während jeder Nichtregistrierte niemals bis hierher gelangt wäre.
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