Konrad holt bereits Luft für eine saftige Entgegnung, als Lehrerin Burger schnell wieder das Wort ergreift. “Eventuell wäre professionelle Beratung günstig, um herauszufinden, wie Sie beide am besten –“
“Wir sind gottlob geschieden! Wir brauchen keine Beratung mehr!” Elina seufzt bitter. “Hätten wir einmal gebraucht, ja, aber Herr Blüm hier war ja immer schon unfähig, ein Thema auch nur länger als eine halbe Minute –“
Konrad wendet sich an Lehrerin Burger, mühsam beherrscht. “Und da wundern Sie sich, dass mein Sohn verwirrt ist! Sie kommt mit Sachen daher, die nicht das geringste mit dem Problem zu tun haben. Sie hetzt Manfred ständig gegen mich auf mit solchen Verleumdungen!”
“Ich? Absolut nicht!” Elina wendet sich heftig an die Lehrerin. “In unserem Weltbild geht es um Holismus.” Konrad schnaubt, verächtlich.
Die Lehrerin hebt beide Hände und spricht streng. “Ich schlage vor , wir konzentrieren uns auf Manfred.”
Konrad zischt Elina an. “Ein Haufen Loser, das seid ihr! Faule Säcke, die nichts als meditieren und herumsingen!”
Elina zischt ihn genauso bitter an. “Wir retten den Planeten, den du zugrunde richtest, mit deinen Chemikalien!” (zu Lehrerin Burger) “Er verkauft Pillen und Präparate, die niemand braucht! Aber Millionen Tiere sterben dafür!” (den Tränen nahe) “Auch Delphine.”
Sie massiert nervös-verzweifelt ihren Bauch, und die Lehrerin sieht es, besorgt: “Bitte, beruhigen Sie sich. Es geht jetzt wirklich um Hilfe für Manfred.”
Konrad starrt Elina zornig an. “Und woher bekommst du deine Antibiotika? Und Beruhigungs-Pillen? Und Schminke?”
Lehrerin Burger gestikuliert heftiger, ungeduldig werdend, aber Elina ignoriert sie auch und faucht Konrad an. “Wenn deine Sorte den Planeten nicht versauen würde, gäbe es gar keinen Grund, krank zu werden!” (wendet sich an die Lehrerin) “Es viele natürliche Antibiotika! Und ich mache mir meine Cremes selber und schminke mich nur mit Naturfarben!”
Konrad starrt sie an. “Meine Sorte?” Er springt auf und gestikuliert wild. “So redet ihr über mich, du und dein Schlammfresser, vor Manfred? Ihr tickt ja nicht richtig!” (zur Lehrerin) “Sie beten Bäume an!” (höhnisch) “Das ist ganz besonders konstruktives Arbeiten an einer besseren Welt!”
Lehrerin Burger schaut auf die Uhr und räuspert sich. “Ich bitte Sie wirklich, jetzt ...”
Elina unterbricht sie und rutscht auf dem Sessel nach vorne, um aufzustehen. “Da sieht man, was für ein dummer ...” (beherrscht sich mühsam, mit einem Seitenblick auf die Lehrerin) “... du bist! Wir beten keine Bäume an, du Klugscheißer, wir –“
“Hab’ ich doch selber gesehen! Und ihr streichelt Regenwürmer”, zur Lehrerin, “... bevor sie damit fischen gehen!”
Lehrerin Burger holt tief Luft und tritt hinter ihrem Pult hervor, klatscht nun in die Hände, wie sie es mit ihren Schülern tun würde. Mutter Elina verharrt in ihrer halb aufgerichteten Stellung und hält sich an einem Schultisch fest.
“Schluss jetzt! Ruhe! Alle beide!”
Mutter Elina klopft auf ihren Bauch, um ihr Ungeborenes zu beruhigen, aber sie schwankt, und Lehrerin Burger eilt besorgt herbei, um sie zu stützen. Sie schaut Konrad vorwurfsvoll an. “Sie könnte stürzen?”
Vater Konrad zuckt die Schultern. “Ich darf sie nicht berühren, das schadet dem ... Ding da drinnen.”
Elina nickt Lehrerin Burger dankbar zu und steht vollends auf. “Danke. Es geht schon.”
Lehrerin Burger tritt einige Schritte zurück, sodass sie beide ansehen kann. “Faktum ist, Manfred wird diese Klasse nicht schaffen, wenn er keine Hilfe bekommt. Wollen Sie, dass Ihr Sohn wieder sitzen bleibt?”
Beide Eltern schütteln den Kopf. Konrad zuckt die Schultern. “An mir liegt es nicht.”
“Und ich war in der Schule immer eine der Besten. Also liegt’s ganz sicher nicht an mir.”
Die Lehrerin ignoriert die Bemerkungen und spricht eindringlich. “Er braucht Hilfe beim Lernen.”
Elina reibt ihren Bauch. “Wir haben ihm schon Nachhilfe gegeben!”
Konrad schnaubt, aufgebracht. “Ja. Er hat alles über essbares Besteck gelernt. Und über Sprossen. Über Maden und ...” (zur Lehrerin) ... Geschlechtsverkehr bei Hühnern.”
Lehrerin Burger kritzelt etwas auf einen Zettel, den sie beiden präsentiert, während Elina nach Luft schnappt, um wieder etwas Heftiges zu entgegnen.
“Ich habe vier Nachhilfelehrerinnen zur Auswahl aufgeschrieben. Junge Pädagoginnen und Studentinnen –“
Derweil faucht Elina Konrad an. “Das war Ernährungslehre, du Oberaffe!” (fuchtelt) “Und du hast Ashandra vergrault!” (zur Lehrerin) “Eine reizende Studentin! Nur weil sie Haare unter den Armen hatte!”
“Sie hat stundenlang Korn gemahlen. Und ist Kopf gestanden. Summend!”
“Ach! Brotbacken nennst du nichts beibringen ?”
Lehrerin Burger wischt sich verzweifelt übers Gesicht und winkt den beiden mit dem Zettel. “Also ... es sind junge Frauen in Ausbildung.”
Konrad ignoriert die Lehrerin und faucht Elina höhnisch an. “Sicher! Das Mehl hat toll genützt beim Rechnenlernen! Und der Anblick von einem geilen Hahn!”
Elina ringt nach Worten und legt sich stöhnend die Hand auf den Bauch, wo das Baby sich anscheinend gerade “zu Wort meldet”.
Lehrerin Burger schaut entgeistert zu und bewegt sich zur Tür. “Und ein Termin mit der Schulpsychologin könnte nicht schaden. Ich darf Sie nun bitten ...”
“Das wird schon. Mein Sohn hat uralte Weisheit in sich!” Elina schließt die Augen und stimmt ein Summen an.
“Und neunjährige Dummheit!” Konrad schnippt mit den Fingern vor Elinas Gesicht. “Es ist ein Kind!”
Lehrerin Burger drückt den Adresszettel Konrad in die Hand und deutet dann beschwörend zur Tür. “Vielen Dank für Ihr Kommen! Es warten noch viele Eltern auf ein Gespräch, also ...”
Sie will Elina die Hand zur Verabschiedung reichen, aber Elina hält sich ächzend an ihr fest. ”Er könnte bei meiner Mutter Nachhilfe bekommen.”
Konrad stößt einen entsetzten Laut aus. “Was? Dass sie mit ihm in den Dschungel abhaut?” (zur Lehrerin) “Es ist eine drogensüchtige Alt-Hippie-Hysterikerin!”
“Ach ja? Und bei deiner versoffenen Mutter versauert er vor der Glotze!”
Konrad wendet sich vorwurfsvoll zur Lehrerin. “Meine Ex-Schwiegermutter ist mit einem schwarzen Medizinmann verheiratet, der halb so alt ist wie ich!”
Lehrerin Burger wendet sich der Tür zu und hüstelt, während Elina eifrig gestikuliert: “Und doppelt so intelligent! Und deine Mutter redet mit den Socken und Decken und Pullover, die sie strickt!”
“Und verschenkt, an Bedürftige! Wer weiß, vielleicht braucht ihr ja bald etwas!”
Lehrerin Burger drängt beide zur Tür und seufzt erschöpft. “Bitte besuchen Sie mich in drei Wochen wieder, damit wir besprechen können, wie sich der Nachhilfeunterricht auswirkt.”
Elina und Konrad giften einander an, während die Lehrerin die Tür öffnet: “Alles Gute!”
“Was fällt dir ein, meine Mutter da reinzuziehen? Sie liebt Manfred!”
Konrad schnaubt, erregt. “Sie hat vierzehn Adoptivkinder!”
“Er lernt Sozialverhalten!”
“Er ist kein Hund, du ...” Konrad wendet sich der Lehrerin zu. “Verstehen Sie, ich will nicht, dass mein Sohn in so einer esoterischen Halbwelt aufwächst!”
Elina fuchtelt, empört. “Halbwelt? Du missverstehst aber auch alles! Es geht um das Ganzheitliche!” (zu Lehrerin Burger) “Alles ist miteinander verbunden, wächst und stirbt ...”
Die Lehrerin Burger nickt, bekräftigend, während sie die Tür aufhält. Am Gang und im Pausenraum sitzen die anderen Eltern auf den Garderobebänken, schweigend, und starren Elina und Konrad an. “Nachhilfe ist der wichtigste Schritt für Manfred. Etwas Spiritualität kann sicher nicht schaden. Und Bodenständigkeit.”
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