1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 „Der Kasten wird auch nicht mehr schöner… dat süht ut as hinscheten.”
Vor dem Bau steht ein etwa 45jähriger Mann mit roter DLRG-Kleidung und Fernglas in der Hand.
Malvoisin und Tewes grüßen knapp.
„Moin! − Moin.”
Der DLRG-Mann sieht sie kaum an.
„Moin!”
„Wir suchen den Chef der Mannschaft …”
Der DLRG-Mann sieht Malvoisin und Tewes prüfend an.
„Sie haben ihn gefunden.”
Malvoisin zückt seinen Ausweis.
„Kripo Lübeck, Malvoisin. Das ist mein Kollege Tewes. Können wir hineingehen?”
Der DLRG-Mann ruft hinter sich.
„Hannes, komm’ ‘raus und übernimm die Aufsicht!”
Ein etwa 22jähriger tritt heraus, der Stationsleiter hält Malvoisin die Tür auf.
„Nach Ihnen.”
Alle drei gehen hinein. Im Büro des Leiters nehmen sie Platz. Malvoisin legt vorher seinen Rembrandt auf einen freien Stuhl. Der DLRG-Leiter sieht Malvoisin erwartungsvoll an und wirft einen neugierigen Blick auf den Rembrandt. „Was ist das denn für ein Hut? Seltsames Teil.” Malvoisin unterbricht Kallweits Hutgedanken, legt gleich los.
„Sie heißen bitte?”
„Kallweit, Harm Kallweit.”
„Oh, ostpreußische Familie?”
„Sie kennen sich aus?”
„Sind selber aus der kalten Heimat …”
„… aber der französische Name Mal…”
Malvoisin betont, besonders die nasale letzte Silbe: „Mal - vua - sän, Hugenotten, Sie wissen?”
„Wir hatten mal einen Kapitän zur See als Nachbarn, der hieß de la Sauce, war aber ein Ur-Berliner −”, er unterbricht sich selbst, „… aber Sie sind sicher nicht wegen Fragen der Namenskunde hier?” Kallweit sieht Malvoisin fragend an.
„Nein, allerdings nicht.” Malvoisin wird ernst. „Es ist heute im Strandabschnitt der Frau Horch, Sie wissen, rechts von der Seebrücke, wenn man Richtung Wasser sieht …”
„Sicher weiß ich, wo das ist …”
„Also, es ist dort heute morgen ein junger Mann in einem Strandkorb gefunden worden. Sicher über ein Meter neunzig groß, sehr gut trainiert, schwarze Haare, Dreitagebart, weiße Badehose. Kennen Sie den?”
„Das hört sich nach unserem Malte Kröger an, allerdings hat er keine weiße Badehose − was ist mit ihm? Hat er zu toll gefeiert?”
Tewes macht sich Notizen.
„Wenn es das mal nur wäre. Er ist tot.”
Kallweit reagiert ungläubig.
„Bitte keine schlechten Scherze, Malte war kerngesund und durchtrainiert …” Er runzelt die Stirn.
„Er wurde ganz ohne Zweifel getötet.”
Kallweit springt auf und schreit.
„Ermordet? Was? Wer ermordet denn einen von meinen Männern?”
„Bitte nicht so laut. − Das herauszufinden sind wir hier.”
Kallweit setzt sich wieder, ist sichtlich fassungslos. „Das gibt es doch gar nicht! Er war sehr selbstbewußt, vielleicht auch ein Angeber, wie halt die jungen Böcke so sind, ein Weiberheld, aber deswegen ermordet …?”
„Sie glauben gar nicht, welch nichtige Anlässe schon einen Menschen das Leben gekostet haben.” Malvoisin sieht Kallweit forschend an. „Aber Sie sagen, er war ein Weiberheld; hatte er eine feste Freundin?”
Kallweits Fassungslosigkeit verschwindet hinter einem breiten Grinsen.
„Eine? Da konnte man schon den Überblick verlieren, aber ich glaube nicht, daß eine dabei war, die ihm die Wäsche gewaschen hätte, meist kurze Bekanntschaften von Mädels, die hier Urlaub machten.”
„Wie lange kommt, äh, kam Kröger als Rettungsschwimmer?”
„Drei Jahre.” Kallweit überlegt. „Ja, drei Jahre müssen das jetzt sein.“
„Was machte er sonst? Beruf oder Studium?”
„Malte war Leutnant zur See, jetzt der Reserve, vorher Z 4. Kam aus einer Marinefamilie …”
„Ach ja? Wo leben seine Eltern?”
„Zur Zeit ist der Vater Kommandeur der Marineunteroffizierschule in Plön, Kapitän zur See…”
Tewes geht dazwischen: „Den kennt wi.”
Malvoisin sieht ihn überrascht an.
„Hest dat vergeten? Dat is de Kaptein ut W’haven west, de een Mord op siene Fregatte hadd hett. Fief Johr is dat her, in Travemünde, as de Marine op Besoek west is. De seute Deern, de op Maat mookt hett.”
Tewes macht die eindeutige Handbewegung des Kragenumdrehens. Malvoisins Miene und Kopfnicken zeigen, daß er sich erinnert.
Sein Kollege hat mit diesen Ausführungen schon eine Volksrede gehalten. Der 50jährige Tewes ist von der schweigsamen Sorte. Wie groß sein Wortschatz ist, das behält er eisern für sich. Er ist glatt rasiert, hat kurzgeschnittene, dunkelblonde, glatte Haare, die an der Stirn schon im Rückzug begriffen sind. Das komme vom vielen Nachdenken, wird er manchmal vorsichtig angefrotzelt. Knapp 1,80 m groß ist er, so ganz genau weiß er das selbst nicht, trotz amtlicher Eintragung in seinem Ausweis. Es ist ihm obendrein egal. Sein Körper ist durchtrainiert, 82 kg schwer, aber dennoch mit einem leichten Bauchansatz verziert, der, wie mal seinen seltenen Ausführungen zu entnehmen war, eben zu einem Mann seines Alters gehört. Bugzier müsse sein, Bauch dürfe man ruhig sehen, alles andere sei ja nur ein Plättbrett. Woran sollte sich seine Frau denn festhalten, wenn sie kuscheln wollte? In ein Loch fassen? Das war nichts für Tewes, der wegen seiner Standardantwort auf Anweisungen, „Mook wi”, von fast allen im K1 offen, von anderen besser nur dann “Mokwi” genannt wird, wenn er es nicht hört, „sünst ward he füünsch”.
„Füünsch” sieht bei ihm dann so aus, daß er mehr als zwei bis drei Sätze sagt und dem Gefüünschten mindestens ein Jahr keinen Kööm mehr anbietet. Er denkt viel nach und wenn er es für richtig hält, teilt er die Ergebnisse auch mit. Sonst nicht. Mit „Flipcharts” und übertechnisiertem Schnickschnack kann er nicht viel anfangen. Warum all diese Anglo-Amerikanismen? Englisch ist zwar für ihn auch nur ein weiterentwickelter deutscher, genauer gesagt plattdeutscher Dialekt, aber „Dat is hier Düütschland, keen Kolonie vun de Plum-Pudding-Lüüd”, sagt er immer, wenn er dazu mal etwas sagt. Dies ach so moderne “Ich-bin-ja-so-gebildet”-Geschwafel kann er nicht ausstehen, das ist für ihn alles Tüünkram. Und warum große Papierfahnen verschwenden, wenn man etwas an der Tafel mit Kreide aufschreiben und wieder abwischen kann? Tewes hat das Schreiben noch mit einem Griffel auf einer kleinen Schiefertafel gelernt, Schreiblinien auf der einen, die Rechenkästchen auf der anderen Seite, angebunden ein Schwämmchen, das ihm die Mutter vor dem Schulgang naß machte und in den Schultornister steckte, das Pausenbrot in fettsicherem Butterpapier und einen Apfel dazulegte, und ihn mit einem Kuß auf die Stirn auf den Weg schickte. Ermittlungsergebnisse besieht er sich an der „Tafel”, wie er immer noch sagt. Und dann denkt er nach.
Eine Seele von Mensch ist er zu Hause. Seine hübsche, fleißige Frau ist ihm die genau richtige Gefährtin. Zuviel sabbelnde Männer mag sie nicht, für den Tratsch ist sie zuständig. Sie weiß alles aus dem Dorf. Tewes nennt sie seine küssende Datenbank. Seine seute Deern ist ihm alles. Nein, nicht so ganz. Die beiden haben nämlich den Kampf gegen den Bevölkerungsschwund bislang erfolgreich aufgenommen. „Suus Kinners hebbt wi”, womit das Ehepaar Tewes immer wieder Erstaunen auslöst, wenn sie es mal jemandem sagen, der das noch nicht weiß, „un Nummer söben hebbt wi jüst mookt” kommt neuerdings als Zusatzinformation. Kein Mensch kann sich erklären, woher Tewes das Temperament dafür aufgebracht hat, aber irgendwie muß es ja geklappt haben. Die Jungs haben seine Züge, die Mädchen ihre, so wie sich das gehört. Das heißt, ein Junge, der Erstgeborene, hat eher etwas von seiner Mutter, das hübsche Lachen und das Plappermaul, aber die Kraft des Vaters wird er haben, das zeigt sich jetzt schon. De groote Lütte ist gerade mal 14, aber bei seinem Thorbjörn würde das nicht mehr lange dauern, so wie der jetzt schon Holz hackt; stolz, mit nacktem Oberkörper, damit man seine wachsenden Muskeln und den rinnenden Schweiß auch ja sehen kann. Dabei sieht Hauke Tewes seinem Sohn gern zu und raucht gemütlich seine Pfeife. Thorbjörns Augen glänzen, wenn der Blick seines Vaters anerkennend auf ihm ruht, und wenn die Mädchen aus der Nachbarschaft vorbeikommen und kichernd zu tuscheln beginnen, wenn sie seine beginnende „männliche Schönheit” betrachten, na, dann legt der Junge eine Axt drauf und spaltet die Stammstücke noch schneller. De Deerns schall rohig weten wat för’n statschen Kerl he is. Und sein Vater hat bannig viel Kraft, dem muß er nacheifern. Schweigsamkeit heißt ja nicht gleich Muskelschwund. Beim Spielen mit seinen Lütten ist Hauke Tewes die liebevolle Geduld in Reinkultur. Da blüht er auf, kugelt sich am Boden herum und lacht. Und wie er lachen kann, wenn er lacht. Dabei muß er schon nichts reden. Im Dienst wird er fürs Lachen nicht bezahlt. Thema beendet.
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