Lang war der Marsch über endlose Weiten, Stück für Stück verlor sich der Mensch nach beiden Seiten, denn da lagen sie frei oder in geschaufelten Gräben, sie waren vertrocknet, bevor wir das letzte Wasser gaben.
Unzählbar waren die Füße, als sie begannen die ersten Schritte, als die Fußsohlen rissen, sich erhitzten, kamen gleich die Tritte über Kreuzungen und Straßen durch Dörfer und Städte.
Wir hörten sie, wie sich jene die Wette flüsterten, als die rohe Kraft sich ins Maßlose steigerte und einer vor Erschöpfung sich weigerte, die auch uns von Tag zu Tag mehr befiel, erhielt der Eine gnadenlos vom Wächter den letzten Schlag.
So lichtete sich allmählich die unübersichtliche Menge, es kürzte sich von Nacht zu Nacht die Kolonnenlänge. Dazu brachten Hunger und Durst die schnellere Auswahl, Frost und Fieber gaben schnell die nächste Qual.
Stolz erhoben sich die Köpfe mit dem Totenkopf, für uns gab es abends gesalzene Wassersuppe im Topf, wir standen zerlumpt, verdreckt und beschmiert, suchten vergebens, wo sich in der Suppe das Fettauge verliert.
So stieg von zerrissenen Füßen bis zu den Herzen hoch die Trauer, tatsächlich kamen auch wir hinter die Mauer, wo sich unüberwindlich verklemmte das große Heimweh, als der Lagerboden gefroren und überzogen war von neuem Schnee.
Es war, dass eisige Winde über hungrige Mägen wehten, da waren noch keine Fußspuren in den Schnee getreten, schien zumindest der Boden friedlich eingefroren, als sich Nächte und Tage nacheinander verloren.
Dann kamen sie, die gefürchteten Transporte, von Angst geplagt durchfuhr ich im Waggon die Pforte mit den vielen andern und dem Wenigen, dem letzten Gut. Da packte auch mich unentrinnbar die schnelle Flut auf dem Bahnsteig der menschentrennenden Rampe.
Einer mit weißen Handschuhen und Reitstock entschied bei trüber Lampe über Leben und Tod im milden Wind, der sich süßlich hin und her bewegte, bis sich das Letzte, zunächst als Mensch, dann als Opfer legte.
Beim Opfergang stachen Ohnmacht und Trauer tief in die Herzen, da gab es den Schlaf schon längst nicht mehr. Die Augen waren trauerverschleiert und erwartungsmatt, denn hier gab es den jähen Abbruch mit dem qualvollen Ende.
Hier, wo die Wände der Tränen mit Gebeten gepolstert waren von der versagten Hoffnung, sie war bereits ausgeprügelt und in den Erstickungsqualen zerkratzt und anderswie beschmiert.
Dennoch, sei Du geküsst, und gedankt sei dir für deine Liebe. Verzeih, wenn im Ekel von Blut und Mord verspuckt ich gebrochen bin, zerschlagen, gekränkt, verworfen, verzuckt.
In den frühen Morgenstunden leerten sich die Zimmer, und das Kommen mit dem Unaussprechlichen kam jeden Morgen wieder, da konnte man mit der größten Gewissheit drauf gehn, wenn die stählernen Türen zu den Kammern schlugen.
Dann rauchten wenig später die Schornsteine wie verrückt, das Brennmaterial, das waren die Mütter mit ihren Kindern, Männer und Väter, Maler und Musiker und Menschen wie Dichter und anderswie Gelehrte.
Ganz grausam war, wenn sich der Neuling dagegen wehrte, der wurde vom Kapo erdrosselt, mundtot gemacht. Erschossen wurde der Wehrling, wenn es ein Sonntag war, und der “Wachsoldat” eine gute Nacht hinter sich hatte.
Dort drüben traten sie an und haben gestanden, dort drüben stand auch ich auf zittrigen Beinen. Die Gelenke waren geknebelt, die Hände zerschunden, Blut und Schmerzen flossen aus den Wunden.
Um die Köpfe wehten die Todesgirlanden, ja, unter diesen Girlanden hab auch ich gestanden. Nackt waren Leinen nicht mehr nötig, da genügte das Schieben in der Menge, dann ging auch ich mit zerschlagenem Stolz, gebrochen war ich wie ein Stück Holz.
Ich ging, und hinter mir gingen andere, weil ich gehen musste, meine Mutter hat es gesehen, die von allem wusste.
Es war halb acht morgens, ich saß hinter dem gesprungenen Glas, als die Xste Kolonne durch den Hof getrieben wurde, der war von hohen Mauern und Stacheldraht gezäunt. Begleitet wurde die Kolonne auf Schritt und Tritt von groben Flüchen, als es auf die geöffneten Türen zuging mit den Todesgerüchen oder in einer Reihe sich vor der Mauer stellte, ich weiß es nicht, jedenfalls kehrte die Kolonne nicht mehr zurück.
[verhalten und in sich gekehrt]
Da muss das Ende gekommen sein, dein Ende, der du ein guter Mensch gewesen warst, vom Menschen erwirkt, vom Menschen vollstreckt. Wo liegt die Schuld des Opfers? Darin kann die Schuld nicht liegen, dass der Mensch geboren wird. Da müssen andere Dinge teuflich wiegen, dass so etwas geschah.
Herr, der Du der Welten Schöpfer bist, Du weißt es und hast alles gesehen. Ich stehe hier und kann dich nicht begreifen. Jahre vergingen, ohne dich zu verstehen. Wie lange steckst Du mich in die Verirrung?
[Raphael ist von 4 Begleitern umgeben, die ihn in ein Gespräch verwickeln.]
1. Begleiter :
Die Füße brennen vor Schmerz, wir sind müde, es krampfen die Mägen. Tief in uns tönt die trauernde Terz, es sind die Schrecken vor den kreischenden Sägen.
Raphael :
Die Füße, die uns hierhin trugen, nun tragen sie uns weiter in die Stadt. Hände, die Menschengräber gruben, sind wie die Fußsohlen zerrissen und hart. So, wie es mich zur Stadt hin drängt, nehm ich den Fußschmerz weiter in Kauf. Wenn Schicksal mir das Leben wiederschenkt, dann hält mich als Krüppel keiner mehr auf.
2. Begleiter :
Das meine ich auch, und wir sollten uns freuen, dass wir nicht in Gräben und Löchern liegen. Nun sollten wir uns vor den Menschen nicht scheuen, die jung, vielleicht anders sind und wechseln wie der Wind.
Lasst uns zu den Menschen gehn, die uns hoffentlich verstehn.
3. Begleiter :
Was mich betrifft, so will ich nicht klagen, nur sollt ihr mich näher nicht befragen. Von Fleiß und Arbeit hielt ich mich zurück, ich war ein Spieler, wenn auch nur mit wenig Glück.
Raphael :
Was willst du denn von mir, du elender Hund, wir haben geschuftet im Lager, das war kein Glück, Tag für Tag, es waren auch Nächte und das Stück um Stück. Nun sind wir ausgemergelt, und du bist fett und gesund. Sieh her, wie die Lumpen an mir hängen, so lauf ich seit Jahren herum.
Totenchor [unsichtbar; er tönt den Überlebenden nach, nimmt an Lautstärke zu.]:
Wir sind gegangen, es war unsere Zeit, der Weg war steinig bis in die Ewigkeit. Auch war es zu früh, denn wir waren noch jung.
4. Begleiter :
Hört ihr die Stimmen, die uns folgen, sie kommen uns nach, werden lauter und stark.
Raphael :
Aus den Tiefen kommen die Stimmen im Chor, sie bringen die endlosen Leiden und Schmerzen hervor. So dringen die Stimmen in den Zeitenlauf hinein und drängen nach oben mit unwiderstehlicher Macht. Ich sehe die Arme ineinander verschlungen, da kommen sie, die langen Kolonnen aus den Schächten und Tälern des Todes.
Totenchor :
Schwer war der Abschied, wo sind unsere Kinder? Nichts war vollendet, da kamen die Schinder mit Riemen und Peitschen, Kolben und Ketten, da konnten wir uns und das Vaterland nicht retten.
1. Begleiter :
Eben noch brannten die Füße im Schmerz, nun wird er vertrieben mit neuer Angst. Gelangst du zur Stadt der Sicherheit, im März ist noch jung das neue Jahr.
Totenchor :
Wir ziehen in Kolonnen bei Tag und bei Nacht, wir stehen die Parade unter teuflischer Macht. Wir stehen gekettet in Reih und Glied und singen dazu das Freiheitslied.
Raphael :
O lasst es!, lasst es mit den Klagen, denn was ist, da gibt es viele neue Fragen. Im neuen Licht erscheint die Stadt dort drüben, da sind die jungen Leute, die sich neu und anders üben.
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