Helmut Lauschke - Der Weg nach Afrika

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Es war eine schlaflose Nacht, von denen es so viele gab, die durchzustehen waren, weil den Menschen geholfen werden musste. Da durfte der Arzt auf sich keine Rücksicht nehmen, von ihm wurde der Höchsteinsatz verlangt. Das machte sich an den Händen bemerkbar, wo die Haut durch das ständige Waschen dünner wurde, und das Hantieren der Klemmen und Nadelhalter Druckmarken, Schürfungen und Risswunden am dritten und vierten Finger der rechten Hand brachten, die durch kleine Mullläppchen verbunden wurden, damit es mit dem Operieren weiterging,
Dr. Ferdinand schmerzte schon der Gedanke, das Messer in die Hand zu nehmen. Das Mädchen mit dem bösartigen Knochentumor am Arm schlief in Narkose, und er hatte als Chirurg nach bestem Wissen das zu tun, was zu tun war, um das Leben zu retten. Totenstille lag über dem Mädchen und im ganzen Op-Raum, wie die Stille ist, wenn ein Kind im kleinen Sarg unter den untröstlichen Tränen der Eltern, Geschwister, Grosseltern und Freunde in das frisch ausgehobene Kindergrab gesenkt wird, wo über dem tief eingelegten, noch unbeschwerten Sarg der letzte Liebesgruss mit dem letzten Abschiedskuss nicht mehr mitgegeben werden kann. Das Gelöbnis der ewigen Verbundenheit steht mit der Hoffnung auf ein «Wiedersehn» in einem All der unendlichen Dimensionen, dessen Koordinaten nicht zu begreifen sind, Der Trost zerbricht in unsagbare Trauer, wenn das Grab mit dem Kindersarg in der Tiefe zugeschaufelt wird, weil doch ein so zartes Kinderherz soviel Erde weder tragen noch ertragen kann.
Der Bildungsnotstand in der Ersten Welt ist das willkommene Alibivehikel, ungestört an den Millionen von Menschen vorbei zu leben, die mit verkrusteten Lippen am Hungertuch nagen. Eine Welt, die die andere nicht versteht und sich blind genug stellt, um sie nicht zu sehen, während die andere Welt es nicht versteht, dass es soviel Armut geben muss, wo doch beide Welten zusammen reich genug sind, dass jeder sauberes Wasser zu trinken und etwas Vernünftiges zu essen bekommt.

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Helmut Lauschke

Der Weg nach Afrika

Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis Titel Helmut Lauschke Der Weg nach Afrika Von der - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Helmut Lauschke Der Weg nach Afrika Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen Dieses ebook wurde erstellt bei

Die Helden, die Ratten und das sinkende Schiff

Zeichen der Zuspitzung der Lage

Vom kurzen Steg

Ostergottesdienst der heimischen Gemeinde

Von Diamanten unter der Hand

Von der herzlichen Natürlichkeit

Der Arzt in Uniform – das Teufelswerk der Entmenschlichung

Ein Riesenknall

Füsse sagen die Wahrheit

Leichenöffnungen an Cousins einer Familie

Kaiserschnitt für einen erschossenen Föten

Von der Hautfarbe zur Wertigkeit des Lebens

Männer in Handschellen und zerrissenen Klamotten

Gedanke – Wort – Sprache

Der Clown als Vermittler der Weisheit

Erste Zeichen einer schwarzen Arroganz

Die schwarzen Masten sind in Sicht

Achsendrehung der Verwaltungspyramiden – vom pretorianischen Südblick zum politischen Nordblick

Das Schweigen und die Sorge vor der Zukunft

Das Mädchen mit dem bösartigen Knochentumor im rechten Oberarm

Eine gewaltige Detonation erschüttert das Dorf

Zum Arztsein braucht es viel Mut

Über den Wahnsinn der Zerstörung

Alkohol und die Gewalt gegen den Schwächeren

Traum vom gebärenden Mädchen vor dem leuchtenden Baum

Vom Genius des Absoluten

Grenzen im Apartheidsdenken

Impressum neobooks

Die Helden, die Ratten und das sinkende Schiff

Von der Menschlichkeit und ihren Entartungen

Autobiographie Teil 3

Der Bildungsnotstand in der Ersten Welt ist das willkommene Alibivehikel, ungestört an den Millionen von Menschen vorbei zu leben, die mit verkrusteten Lippen am Hungertuch nagen. Eine Welt, die die andere nicht versteht und sich blind genug stellt, um sie nicht zu sehen, während die andere Welt es nicht versteht, dass es soviel Armut geben muss, wo doch beide Welten zusammen reich genug sind, dass jeder sauberes Wasser zu trinken und etwas Vernünftiges zu essen bekommt.

Die Zeiten hatten sich verschlechtert, und die Front der Ablehnung zwischen der schwarzen Bevölkerung und der weissen Besatzungsmacht hatte sich weiter verhärtet. Jeden Tag gab es Tote und Verletzte, und ihre Zahl nahm zu. Die Koevoet hatte ihr Benehmen nicht geändert, sie walzte ganze Krale platt, wenn nur der Verdacht bestand, dass sich ein Swapokämpfer versteckt halten könnte. Der Bruder- und Schwestermord war an der Tagesordnung, weil der, der es für Geld und gutes Essen tat, sich zum Morden verpflichtet hatte, um nicht vom Geld und guten Essen abgeschnitten zu werden. Er tat es mit sattem Magen und überlegt, während der andere es mit hungrigem Magen und ohne Bezahlung tat, weil er an die Menschen dachte, denen die Befreiung aus der Knechtschaft seit langem zustand. Der gut Genährte hörte nicht mehr auf die mageren und besorgten Eltern, deren Kräfte verbraucht waren, die ihn vor dem Bruder- und Schwestermord warnten, während sie dem andern Sohn und der andern Tochter, die sich der Befreiung verschrieben, unter der Hand zusteckten, was sie an Nahrung und Bettdecken geben konnten und sie zu grösster Vorsicht mahnten.

Die Eltern verhielten sich still in ihrer Armut. Sie dachten viel und sprachen wenig über die Gefahren, die in der Fremde auf ihre Kinder lauerten. Sie zogen sich in die Hütten der Erbärmlichkeit zurück, zersorgten sich, wenn sie an Kain und Abel dachten, und beteten für ein baldiges Ende des furchtbaren Krieges. Viele von ihnen wurden krank und starben nach kurzer Zeit, weil die Sorgen sie zerfrassen. Andere wurden aus ihren Hütten gezerrt, geknebelt und geschlagen, weil sie nichts auf ihre Söhne und Töchter kommen liessen, die ihnen die Freiheit zu Lebzeiten versprachen und sich dem Befreiungskampf angeschlossen haben. Die Jugend konnte die Schändung der Väter und Mütter nicht länger ansehen, weil sie ihre Eltern waren. So verliessen viele ihre Dörfer, einzeln und in Gruppen, versteckten sich hinter Büschen und in Höhlen vor den patrouillierenden 'Casspirs', gingen nachts die langen Wege bis zur Grenze, liessen sich von den Grenzbewohnern den Weg zwischen den ausgelegten Minen zeigen und überschritten die Grenze nach Angola mit der patriotischen Kraft, der selbst der knurrende Magen und die zerrissene Kleidung keinen Abbruch taten. Die Jugend machte es nicht mehr mit, das schwarz weniger wert sein sollte als weiss. Sie erhob sich und war begeistert, an der Befreiung der schwarzen Menschen aktiv teilzunehmen. Ganze Schulklassen verliessen mit ihren Lehrern das verprellte Land der weissen Vorherrschaft. Oft wussten es nicht einmal die Eltern, wenn sie den Marsch über die Grenze machten und die Schicksalsgemeinschaft bauten, die enger und stärker war als in der Schule, weil nun die Unbedingtheit der persönlichen Disziplin und das gegenseitige Vertrauen zählte, wenn Decken, Brot und Wasser verteilt wurden, das Selbstverständnis der gegenseitigen Hilfe da sein musste, aus dem dann die Erkenntnis kam, dass nur aus einer solchen Gemeinschaft die unbezwingbare Kraft erwuchs, mit der das Ziel zu erreichen war.

Die Koevoet machte weiter ihre nächtlichen Razzien im Hospital und nahm auf die Patienten keine Rücksicht. Es kam immer wieder vor, dass sie die Schlafenden auf dem Betonboden vor der Rezeption aus dem Schlaf scheuchte, die sich ausweisen mussten, und Männer schlug und in die 'Casspirs' warf, die sich nicht ausweisen konnten. Der Superintendent mit der Knolle auf der Nase und den Schlaffalten im Gesicht, der hemdsärmelig von seinem grossen Schreibtisch mit der leeren, matt polierten Tischplatte aus die Morgenbesprechungen führte und einmal mit kreideweissem Gesicht aus der Besprechung wegrannte, beim Fallen vor der Tür von Dr. Ferdinand noch aufgehalten wurde, um sich auf der Toilette auszukotzen, weil er am Abend vorher vom Kommandeur zum Abendessen eingeladen war, wo er sich die Augen rot getrunken hatte, und der Frage, wo denn der Mensch hingekommen sei, als das rüde Verhalten der Koevoet angesprochen wurde, schlichtweg aus dem Weg lief und sich auf der Toilette für den Rest der Besprechung eingeschlossen hatte, dieser Superintendent sass weiterhin hemdsärmelig hinter dem Schreibtisch, auch wenn seine Hemdsärmeligkeit eine Attrappe war, die nichts bewirkte. Er ging weiterhin unangenehmen Fragen aus dem Weg, indem er sich im entscheidenden Moment das Taschentuch aus der Hosentasche zerrte, es sich vors Gesicht hielt und kräftig und solange hinein schnäuzte, bis sich das Momentum des Antwortgebens verzogen hatte, wobei er das rechte Brillenglas gleich mit zudeckte, wenn er die Brille nicht rechtzeitig abnahm, weil es zu eilig war. Da mutete ihm als Einäugiger aber auch keiner eine Antwort zu. Er war nicht dumm, und so zog er es vor, sich mit dem Taschentuch hinter dem Clownsgesicht zu verstecken, wenn es um ernste Dinge ging und eine Antwort wirklich erwartet werden musste. Der Toilettenlauf gegen die Zeit mit ihren Problemen blieb sein einsamer Höhepunkt.

Zeichen der Zuspitzung der Lage

Die jungen Kollegen in Uniform, die ihre Dienstzeit abgeleistet hatten, wurden nicht mehr durch neue ersetzt. Das war ein deutliches Omen der zugespitzten Situation, wo sich noch die Frage ergab, wann sich die letzte Spitze abgespitzt hatte, oder noch vorher abbrach, was politisch und militärisch dem Ende gleichkommen musste. Es gab neue Gesichter im Besprechungsraum, Gesichter der asiatischem Prägung, wenn auch nicht so schlitzäugig wie ein japanisches, chinesisches oder mongolisches Gesicht. Es waren Philippinos, die aus Südafrika kamen und gleich ihre Frauen und Kinder mitbrachten. Zu erklären war das Kommen dieser kurz gewachsenen Bleichgesichter mit den kubischen Köpfen und sanften Gesichtszügen zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht und noch weniger, dass sie gleich die Familien mitbrachten. War es ihnen in ihrer Heimat, oder als Emigranten in Südafrika so schlecht ergangen, dass sie hier das Paradies fanden oder zu finden glaubten, wo der Krieg erbarmungslos tobte, fragte sich Dr. Ferdinand. Er musste sich Zeit lassen, um eine plausible Antwort darauf zu finden. Ein asiatisches Gesicht gab ihm von jeher Rätsel auf, weil er es nicht lesen konnte und nie wusste, ob ein Lächeln wirklich ein Lächeln war, oder ob sich das Gegenteil dahinter verbarg. Er wusste nur soviel, dass das asiatische Gesicht asiatische Dimensionen des zweigesichtigen Januskopfes hatte, das mit Vorsicht gesehen werden musste. Zu diesem Gesicht passte der Würfelkopf dazu, der von vorn und hinten und von den Seiten betrachtet werden konnte, ohne dass das Gesicht das asiatische Lächeln verlor.

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