Es war schon etwas Unglaubliches, in solche Gesichter zu blicken, in die sich die Ereignisse unweit der angolanischen Grenze nicht einzudrücken schienen, wo doch die letzte Entscheidungsschlacht, bei der soviel auf dem Spiele stand, bereits in vollem Gange war. Das sagte jedenfalls der südafrikanische Brigadier, der vom Pulverfass sprach, auf dem die Weissen sässen, das jederzeit hochgehen kann. Gehörten die Philippinos nicht auch auf dieses Fass?, fragte sich Dr. Ferdinand, oder waren sie rassenmässig von diesem Fasssitzen ausgeschlossen? Er wusste es nicht, erfuhr aber schon nach zwei Wochen, dass ihnen Häuser im Dorfe, das durch das Warnschild "For Whites Only" gekennzeichnet war, von der Administration zugewiesen wurden. Dr. Ferdinand kam beim Sehen und Denken nicht um den biogenetischen wie burisch politischen Januskopf herum. Die Philippinos waren älter und schon im Alter, dass sie von Enkelkindern sprachen und pensionsberechtigt waren, denen das offensichtlich nicht genügte, oder ihnen das Recht des Alters nicht vergütet und ausgezahlt wurde, weil das korrupte System im Heimatland ihnen das Pensionsgeld gekürzt oder weggefressen hatte. Es musste etwas mit dem Geld zu tun haben, warum nun diese asiatischen Gesichter mit der spanisch überstrichenen Tradition und dem katholischen Glauben hier auftauchten, davon war er überzeugt. Die Philippinos waren 'practitioners', also keine Fachärzte, die an den ländlich abgelegenen Hospitälern der herabgesetzten Qualifikation für die Farbigen und Schwarzen vorwiegend in der Natalprovinz, im Osten Südafrikas, gearbeitet hatten, wo die Überfälle der Zulus an den Weissen dramatisch zugenommen hatten, sie beraubten und töteten, weil auch dort die Eingeborenen sich gegen die Weissen auflehnten und sich auf traditionelle Weise mit Stöcken und Spiessen für die schwarze Armut am weissen Reichtum rächten. Dr. Ferdinand traute den Philippinos, weil sie eben Asiaten waren, die sich über dreihundert Jahre die europäische Verformung mit dem besonderen Sinn fürs Geld aufsetzen liessen, den asiatischen Riecher für die Zukunft in mehr Sicherheit und den westlich verdrehten Verstand zur klaren Berechnung gleichermassen zu, die sich in Noten und Münzen auch in der Fremdwährung auszahlen musste. Er nahm deshalb diese lächelnden Janusgesichter als weiteres Omen für das nahende Ende, die das Schicksal vorletztlich vom indischen Ozean bis vor die angolanische Grenze hoch gewürfelt hatte. Die neuen Kollegen wurden der inneren Medizin mit den Tuberkulosesälen, der Kinderheilkunde und dem 'Outpatient department' zugewiesen. dass es für die operativen Fächer keinen Ersatz für jene Kollegen in Uniform gab, die nach Dienstableistung nach Südafrika zurückgekehrt waren und nicht mehr ersetzt wurden. Ein Gutes hatte es, dass unter denen, die das Hospital verlassen hatten, auch der 'Leutnant des Teufels' war, dem ein ärztlicher Teamgeist von Anfang an zuwider war, weil er die Zerstörung im Kopf hatte, an der ihm bis zum Schluss mehr gelegen war und sie hinterhältig und mit List betrieb, als sich um seine Patienten zu kümmern.
Für Dr. Ferdinand bedeutete es mehr Arbeit, weil die Kollegen in der Chirurgie noch unerfahren waren. Es bedeutete gleichzeitig mehr Seelenfrieden, weil ihm keiner mehr mit böser Absicht hinterherstieg. Er freute sich, dass er den jungen Kollegen in der Orthopädie hatte, der sich anstrengte, sich geschickt beim Assistieren und beim Durchführen kleinerer Operationen anstellte und bei den Patienten und Schwestern aufgrund seiner Freundlichkeit beliebt war. Auch hatte er es als Schriftsteller mit seinem Buch weitergebracht, wo er das Leben des jungen Ehepaars in dem kleinen Dorf an der Palliser Bucht doch nicht so schwer machte. Der junge Ehemann in Wellington hatte eine Arbeit als Mechaniker in einer Autowerkstatt gefunden, und seine hübsche junge Frau war im vierten Monat schwanger, die von den Dorfbewohnern neugierig angeblickt, nun aber auch freundlich gegrüsst wurde. Der junge Pastor, der ihnen den anglikanischen Ehesegen gab, hatte sich gegen die Gemeindeglieder durchgesetzt und der schwarzen Ehefrau den Zugang zum sonntäglichen Gottesdienst erwirkt. So war der Unterschied zum burisch verquerten, anachronistischen System der Rassentrennung in Südafrika doch erkennbar.
Die Sonnenauf- und -untergänge waren feurig wie eh und je. Die Sicherheitsvorkehrungen im Dorfe sind drastisch verschärft worden. So wurde es den Weissen unter Strafe untersagt, die schwarze 'Memme' ( Putz- und Bügelfrau ) oder irgendeinen Schwarzen über Nacht im Hause schlafen zu lassen. Die Weissen machten sich Sorgen, was kommen würde, und die Angst hatte sich auf ihre Augen geschlagen. Keiner traute der Zukunft noch recht über den Weg, zu verfahren war die politische Kiste. So verwunderte es nicht, dass sich die Gesichtszüge in Richtung einer Selbstrettung vergröberten nach dem Motto: 'Rette sich, wer kann!' Es war Samstagnachmittag. Dr. Ferdinand setzte sich in den blauen Käfer und fuhr zum Postamt, um nach seiner Postbox 1416 zu sehen, die leer war. Er stieg wieder ein und setzte die Fahrt zum Dorfausgang bis zur Sperrschranke fort, wo die doppelte MG-Stellung auf dem Dach des wiederhergestellten Wasserturms war, die von einem Ring fünffach übereinander geschichteter Sandsäcke eingefasst und gut getarnt war. Dr. Ferdinand zeigte sein 'Permit', konnte sitzen bleiben, als zwei Wachhabende in den leeren Innenraum sahen, der eine von rechts, der andere von links, Motorhaube und Kofferraumdeckel hochhoben und wieder fallen liessen, ohne das Reserverad anzuheben, und die Schranke zur Weiterfahrt hochstellten. Der Versuch, die tiefen Schlaglöcher über die folgenden zweihundert Meter bis zur 'T'-Kreuzung der Teerstrasse, jener strategisch bedeutsamen Ostwestverbindung, zu umfahren, glückte nicht ganz, so dass die Räder einige Male kräftig hineinschlugen. Er hatte sich vorgenommen, die Patres in der Missionsstation Okatana zu besuchen, und so drehte er nach einem Kilometer von der Teerstrasse nach rechts ab, fuhr an den armseligen Wellblechhütten von 'Angola' vorbei, wo die Armut und die grosse Zahl der angolanischen Flüchtlinge mit ihren kinderreichen Familien hausten. Schlanke Schweine mit faltig hängenden Bäuchen liefen neben mageren Ziegen, denen die Beckenknochen höckrig herausstanden, und rippig felldürren Hunden herum. Sie alle waren auf der Suche nach Ess- und Kaubarem. Unter den Hunden war eine ausgemagerte Hündin mit leeren, faltig hin und her schaukelnden Zitzen, aus denen drei junge Welpen den letzten Tropfen mit hungrigen Mäulern ausquetschten und ungehalten über die magere Ausbeute waren, indem sie in die Zitzen bissen, dass die Mutter vor Schmerzen aufschrie und trotzdem stehenblieb. Die Sandstrasse mit den tief eingefahrenen Reifenspuren der 'Casspirs' begann, und der Käfer schaukelte nach beiden Seiten. Die aufgeworfenen Sandbänke kratzten laut am Bodenblech. Dr. Ferdinand sah links den hundert Meter von der Sandpiste entfernten Wasserturm mit dem aufgesetzten, von aufgeschichteten Sandsäcken eingefassten MG, das ihm bei einer frühnächtlichen Rückfahrt von der Mission zunächst Leuchtkugeln in blau, rot und gelb vor die Windschutzscheibe schoss und schliesslich scharf hinterher und nach seinem Leben schoss, als ihn der Schutzengel mit dem Käfer in eine riesige Sandwolke steckte, dass den Augen hinter dem MG das Sehen verging.
Dafür bedankte er sich beim Schutzengel noch einmal, als er den Wasserturm passierte. Die Fahrtspuren der 'Casspirs' waren tiefer und zahlreicher als bei seiner letzten Fahrt, was der letzten Entscheidungsschlacht durchaus entsprach, von der der Brigadier sprach, bei der viel auf dem Spiel stehe. Dass sie aber unmittelbar ans Missionsgelände heranführten und den Platz vor dem kleinen Missionshospital und die schlichte Kirche kreuz und quer aufgewühlt hatten, das war ein schlechtes Zeichen. Da musste erst kürzlich etwas passiert sein, denn sonst hätten die Menschen mit den Schwestern und Patres den Sand schon wieder glatt gerecht, weil sie die Ordnung liebten und den Frieden für den Gottesdienst am morgigen Sonntag brauchten. Das Tor war verkettet. Dr. Ferdinand wartete, bis eine Schwester mit Küchenschürze und Schlüssel aufs Tor zukam, es öffnete und dann wieder verkettete und das Schloss einhängte, als er das Haus der Patres erreichte und den Käfer in den Baumschatten unter einer üppigen Krone abstellte. Die Tür zum langen Flur war nicht verschlossen, sodass er den Weg zum dritten Raum links nahm, in dem drei Patres sassen, von denen einer bereits betagt war. "Ach, Herr Doktor, das ist ja schön, dass Sie mal wiederkommen, Sie waren lange nicht mehr hier." Einer legte den 'Osservatore', das offizielle Vatikanblatt in der deutschen Ausgabe zusammen und auf den Tisch, der andere hielt die 'Deutsche Zeitung', eine Landeszeitung in deutscher Sprache in der Hand, als sie einander begrüssten. Dr. Ferdinand setzte sich an den Tisch, auf dem einige Palmzweige vom vergangenen Palmsonntag noch lagen. Der andere Pater legte die 'Deutsche Zeitung' ebenfalls auf den Tisch zurück.
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