Ich atmete erleichtert auf und unterdrückte ein Lächeln. Abwechslung, so, so.
»Wie könnte ich jemandem widerstehen, der mich so konsequent beleidigt?«, willigte ich ein. »Wann passt es Ihnen?«
Hamish grinste. »Ich bin Mittwochmorgen um sieben bei dir.« Er ließ meine Hand los.
»Morgens?«, fragte ich entsetzt, doch er hatte sich bereits umgedreht und marschierte davon.
2019 • Abwechslung
»Warum tue ich mir das an?«, murmelte ich und schlug auf den Alarmknopf des Weckers. Es war sechs Uhr früh und in einer Stunde würde Hamish MacGregor vor meiner Haustür stehen und mich zum Wandern abholen. Ich zog mir die Decke über den Kopf. Wer, bitte schön, kam auf so eine bescheuerte Zeit? »Er« , flüsterte eine Stimme in meinem Kopf und mir wurde warm. Hamishs sinnlicher Mund und die Funken, die schon alleine beim Händchenhalten geflogen waren, kamen mir in den Sinn und mein Puls beschleunigte sich, wie so oft in den letzten Tagen. Ich war die Gedanken an ihn nicht losgeworden, obwohl ich mich wirklich bemüht hatte, und schon das Wissen, dass ich ihn gleich wiedersehen würde, sandte ein Kribbeln durch meinen Körper und mein Magen zuckte.
»Ich habe Hunger, das sind keine Schmetterlinge«, sagte ich zu mir selbst. »Benimm dich nicht wie ein verliebter Teenager, sondern wie eine erwachsene Frau. Er ist ein erotischer Bringer, du willst mit ihm ins Bett und mehr nicht. Punkt.«
Doch um das zu erreichen, musste ich wohl oder übel aufstehen. Ich quälte mich aus dem Bett und schlurfte ins Bad. Von Mister Muh war nichts zu sehen. Selbst für meinen sonst so verfressenen Kater war es noch zu früh.
Als Hamish pünktlich um sieben Uhr klingelte, öffnete ich ihm mit einer Kaffeetasse in der Hand die Tür.
»Komm rein, der Kaffee ist gerade durchgelaufen«, sagte ich statt einer Begrüßung und musterte ihn unauffällig. Auch in normalen Klamotten machte er eine gute Figur.
»Auch dir einen wunderschönen guten Morgen«, erwiderte er gutgelaunt.
Ich verzog das Gesicht. »Um diese Uhrzeit kann er gar nicht wunderschön sein.« Ich trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Himmel, roch der Mann gut!
Hamish grinste, streifte die Schuhe ab und folgte mir in die Küche.
»Gefällt mir, was du aus dem Erdgeschoss gemacht hast«, sagte er, nachdem er sich interessiert umgesehen hatte.
Ich sah ihn überrascht an. »Du warst schon mal hier?«
Hamish zuckte mit den Schultern. »Ist lange her.«
Ich überlegte, ob ich nachhaken sollte, entschied mich aber dagegen. Um diese Zeit hatte ich weder die Energie noch die Lust, ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen. Stattdessen hob ich die Kaffeekanne in die Höhe und sah ihn fragend an.
Er schüttelte den Kopf. »Lass uns starten. Ich wollte dir heute den Einstieg zum verborgenen Tal zeigen, aber dafür brauchen wir Zeit und um zehn muss ich im Hotel sein. Vorzugsweise geduscht und umgezogen.«
»Was genau steht denn um zehn Uhr an?«, erkundigte ich mich, trank einen Schluck Kaffee, goss gleichzeitig den Rest aus der Kanne in den Thermobecher und verstaute diesen zusammen mit den geschmierten Broten, im Rucksack. Dann trank ich die Tasse leer und griff nach meinem Hut.
»Ein Morgenmeeting.« Hamish beäugte den Hut. »Ich hoffe, dass du den heute nicht brauchst. Der Scotish Midges Forecast sagt, die Zone, in der wir gleich wandern, ist fast frei von den kleinen Biestern.«
»Es gibt einen Wetterbericht für Midges?«, erkundigte ich mich verblüfft.
»Ja, und verschiedene Mittel, um sie in Schach zu halten.«
»Was du nicht sagst!« Ich öffnete eine Schublade. »Gibt es etwas, das ich noch nicht ausprobiert habe?«
Hamish trat neben mich, warf einen Blick auf das Sammelsurium an Fläschchen und Tiegeln und schüttelte den Kopf. »Wenn das alles nicht geholfen hat, bin ich ratlos.«
»Das eine oder andere hält die Viecher eine Weile von meinen Händen fern, aber ins Gesicht kann ich nichts schmieren, dafür ist alles zu aggressiv.« Ich zuckte mit den Schultern.
Er lächelte, trat einen Schritt näher und strich mir eine Locke aus dem Gesicht. Mein Herz machte einen Satz.
»Du hast die wunderschöne Alabasterhaut der Rothaarigen.« Er ließ die Hand sinken. »Wirst du eigentlich braun?«
Ich spürte, wie ich rot wurde. Seit mehreren Wochen saß ich, wann immer es möglich war, im Garten und nutzte jeden Sonnenstrahl und nun das. »Ich bin braun«, sagte ich mit Nachdruck.
»Wo?«, erkundigte er sich.
»Wollten wir nicht los?« Ich schnappte mir den Rucksack, stapfte zum Mudroom und zog die Wanderstiefel an.
»Im Ernst, das ist alles? Brauner wirds nicht?« Er folgte mir grinsend.
»Natürlich wird es das«, schnappte ich. »Wenn ich drei Wochen ununterbrochen unter südlicher Sonne liege und den Sonnenbrand der ersten Tage überlebe.«
»Nicht böse sein«, bat er. »Ich mag deine Haut und dein Haar.«
Er sah mir tief in die Augen und meine Atmung setzte kurzfristig aus. Verwirrt öffnete ich die Tür und trat in den Garten. Hamish schlüpfte wieder in seine Schuhe und folgte mir.
»Links herum«, sagte er und ging vor.
Als wir auf die Hauptstraße bogen, stießen wir fast mit einer großen Frau zusammen, die trotz ihrer ausladenden Hüften, mit Reiterhosen und Gummistiefeln bekleidet war und ihr Outfit mit einer zu eng sitzenden lilafarbenen Tweed Jacke gekrönt hatte.
»Guten Morgen, Mrs. Fraser«, grüßte Hamish und die Frau nickte, wobei sie mich von oben bis unten musterte.
»Sie kennen Frau Meinhardt?«, erkundigte er sich und sprach weiter, bevor sie die Chance hatte, zu antworten. »Wir wollen bis zum Einstieg zum verborgenen Tal wandern. Möchten Sie sich anschließen?«
Ich starrte ihn entsetzt an. So hatte ich mir das mit der Abwechslung nicht vorgestellt.
»Nein, junger Mann, möchte ich nicht«, entgegnete Mrs. Fraser trocken. »Aber Sie können mich nachher gerne auf einen Whisky einladen. Passen Sie auf, was Sie ihm erzählen«, wandte sie sich an mich. »Die MacGregors sind dafür bekannt, Informationen zu speichern und später als eigene Ideen auszugeben.« Sie nickte mir zu und marschierte davon, bevor ich etwas erwidern konnte.
»Was sollte das denn?«, erkundigte ich mich.
Er lachte. »Mrs. Fraser ist der festen Überzeugung, dass meine Urgroßmutter Eilidh MacGregor den Frasers das Rezept für unsere berühmte MacGregor Whisky Tart gestohlen hat. Eilidh war sehr gut mit Mrs. Frasers Großmutter Lea befreundet und die beiden haben, wie das zu der damaligen Zeit üblich war, viel Zeit in der Küche verbracht.«
»Das meinte ich nicht.« Ich sah ihn an. »Warum hast du sie aufgefordert, uns zu begleiten?«
Hamish erwiderte den Blick und ich wurde rot. Verflixt, hatte ich da gerade mit dem Zaunpfahl gewunken?
»Wir müssen da lang«, sagte er statt einer Antwort und zeigte auf einen schmalen Trampelpfad, der zwischen Haselnusshecken verschwand. »Und wenn ich sie nicht eingeladen hätte, wären wir jetzt das Dorfgespräch. Früh am Morgen und alleine unterwegs und so. Außerdem sind ihre Verschwörungstheorien amüsant.« Er bog einen Zweig zur Seite und ließ mich vorangehen.
»Ich lag mit dem `seitlich in die Büsche Schlagen´, gar nicht so falsch«, bemerkte ich.
Hamish schnaubte und schloss zu mir auf, sobald der Pfad breiter wurde.
»Welche Verschwörungstheorien meinst du?«, versuchte ich das Gespräch in Gang und gleichzeitig auf ungefährliches Terrain zu bringen.
»Immer wenn etwas Ungewöhnliches geschieht, ist Mrs Fraser der Überzeugung, dass die Regierung oder ein Sabotageakt dahinter stecken. Erinnerst du dich an den Blitz, der vor ein paar Wochen über den Himmel gezuckt ist, ohne, dass es ein Gewitter gab? Für Mrs. Fraser war das kein stinknormales Wetterleuchten, sondern die Regierung, die die Highlands als Testgebiet für eine neue Waffe benutzt. Und als Beweis führt sie drei vertrocknete Rhododendronbüsche an, die angeblich vor dem Blitz in voller Blüte gestanden haben sollen.«
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