Fünfjähriger Du weinst ja.
Radius Lehr Äh, ich, äh - nein ich doch nicht. Mir ist nur etwas ins Auge geflogen.
RLG Mit dem Ellenbogen wurde trockengewischt, was es trocken zu wischen gab.
Fünfjähriger Du willst es ja bloß nicht zugeben.
Radius Lehr Ach nein.
Fünfjähriger Nie wollen Erwachsene was zugeben.
RLG Von drüben riefen die Eltern, war der Käse wohl jetzt endlich ausgepackt? Der Fünfjährige lief über den Steg, und ganz bestimmt hatten sie noch mehr für ihn übrig! Im Picknickkorb wohlgemerkt. Noch mehr außer Schafskäse.
Neuer Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
Blatt 31: Wie aus heiterem Himmel
Das Lindenbankhaus – Ihre Andere Bank
Auszug 35 159 23 5, Blatt 31
Aktueller Kontostand: ein ßilberling, ein Ende
RLG Wie aus heiterem Himmel war der Joggende Judoka zurückgekehrt. Und um Haaresbreite über die lang ausgestreckten Beine gestolpert.
Joggender Judoka Mann, ziehen Sie gefälligst Ihre Haxen ein. Der Weg ist schließlich nicht für Sie allein!
RLG Dann wurde weiter gejoggt, über den Holzsteg, um genau zu sein, und Radius Lehr raffte sich wieder auf. In der Tat, flussabwärts führte ihn der gute, alte Schotterweg nun an dem Fußballplatz eines kleinen Kreisvereins vorbei. Hm - waren die Tore nichts weiter wie rechteckig anmutende Konstruktionen aus mittelgrauen Metallstangen? Welche zudem jegliche Netze vermissen ließen? Ganz und gar, ein einziger Fußballer kauerte auf dem Rasen – wo die anderen, oder war heute kein Spieltag? Mutmaßlich, mutmaßlich, ein himbeerrotes Trikot hatte der an, sogar mit der weißen Aufschrift eines Namens auf dem Rücken, dazu tannengrüne Shorts. Und die Stutzen wieder in Himbeerfarben gehalten, wiederum wäre man fast geneigt zu sagen, auffälligstes Merkmal zweifellos seine übermächtig wirkende schwarze Haarmähne, über und über, bis weit über die Schultern, dazu ein kräftiger Vollbart, natürlich auch schwarz, welcher ein jegliches Antlitz bestenfalls vermuten ließ. Aber ach, wenn das doch schon alles gewesen wäre. Den Kopf tief bis zum Rasen geneigt, war er am Grasen. Gleich wie eine Weidenkuh, wie gesagt, die Sache mit dem wenn es doch schon gewesen wäre. Nein, natürlich nicht, frei nach dem Motto „als ob so etwas gerade noch gefehlt hätte“.
Radius Lehr Hallo, was soll das! Was machst du da!
Grasender Carlos Nichts.
Radius Lehr Doch - du frisst doch Gras! Was soll das - oder hast du zu Hause nichts?
Grasender Carlos Doch – aber ich hab solchen Hunger.
Radius Lehr Aber deswegen braucht man doch kein Gras fressen. Ich meine, das schmeckt doch nicht.
Grasender Carlos Mir schon.
RLG Die kleine Fußballanlage hinter sich gelassen, folgte für Radius Lehr als Nächstes ein seit vielen, vielen Jahren stillgelegtes Sägewerk, vor einem Schuppen kündeten ein paar fein säuberlich gestapelte, allerdings längst morsch gewordene Holzplanken von weitaus besseren Zeiten, zweifellos, doch bei genauerem Hinsehen war ihm so, als ob ein paar der aufliegenden Bretter angebissen worden wären.
Noch ein paar Minuten schlenderte Radius auf dem guten, alten Schotterweg, bis dieser endlich in eine eher mäßig befahrene Ausfallstraße mündete, daneben vereinigte sich der ewig rauschende Fluss mit einem anderen. Der aus der der Richtung der Ausfallstraße heran floss, silberglänzend war keine Frage, beileibe nicht.
ßilberling Silberglänzend? Wem du das sagst - hach!
RLG Ein paar Steinwürfe von der Brücke entfernt befand sich ein uraltes Wirtshaus. Das war schon immer in besten Händen, soweit sich Radius Lehr entsinnen konnte, so oft wie er früher diesen Ort passierte. An der Hand der Mutter, nun spielten und sprangen ein paar türkische Kinder davor, schwarzhaarig, war das nicht mehr wie sonnenklar? Und zeugte nicht nur ihre Präsenz von den Veränderungen, die es seit damals gegeben haben musste, denn dort wo es früher nach Gulasch und Schaschlik gerochen hatte, wenn nur denn daran vorbeigegangen worden war, befand sich nun ein nahezu fast schon wieder hundsgewöhnlicher Döner - Imbiss. Waren es nicht zuletzt die Außenbeschilderungen, die darauf hinwiesen? Vor dem Haus fiel außerdem eine rot lackierte Isetta ins Augenmerk. Mit dem türkischen Nationalemblem auf der Tür, groß, breit und weit war kein Ausdruck, beileibe nicht, und auch an einen der nicht vielen Tische im Innenraum des Ambientes waren etliche dieser schwarzhaarigen Gören versammelt. Mindestens ein halbes Dutzend rangelten sich vor einem Monitor und um eine Maus. Von Bewegungen auf dem Bildschirm ließen sie sich in den Bann ziehen, eine kleinformatige Nationalflagge nach der anderen flimmerte nämlich von links nach rechts, die dann, wenn sie getroffen wurden, sich zu einem geradezu lieblichen Wölkchen mit grün leuchtenden Zahlenwerten wandelten.
Radius war verdutzt, durchaus, durchaus, schon war es die deutsche Bundesflagge, die erschien, zweihundert Punkte wurden, nachdem sie von einer Bratwurst getroffen wurde, angezeigt. Immerhin, dagegen wurde der Sternenbanner zum Beispiel von einem Cowboyhut erwischt, die von Mali von einem Couscous – Töpfchen, Dänemark von einem Dorsch mit einer Zitronenscheibe im Maul, Ägypten von einer kleinen Pyramide, Griechenland von einem Gyros, wofür gleich fünftausend Grünpunkte aufleuchteten, Südafrika erhielt eine gebratene Lammkeule, freilich gut gewürzt, natürlich, selbstverständlich, was denn sonst auch, England einen Bowlerhut, der Libanon eine Zeder, Österreich ein Wiener Schnitzel. Und so weiter und sofort, allerdings weiß ich nicht mehr hundertprozentig genau, ob es mit oder ohne Panade war.
ßilberling Und was ist mit Laos?
RLG Ein weißer Kreis, der beim Auflösen zusätzlich zu der grünen Zahl zahllose Sternchen versprühte. Blaue und rote wohlgemerkt.
ßilberling Was du nicht sagst!
RLG Ja, natürlich durfte auch die Türkei nicht fehlen. Na, was schätzt du.
ßilberling Keine Ahnung, ein gelb leuchtender Mond vielleicht.
RLG Als ob die Türkei nicht einen weißen hätte.
ßilberling Wer soll denn auch so etwas wissen.
RLG Der gelb leuchtende war für Mauretanien
ßilberling Ja, ja, und mit rot – grünen Blättern, das waren mit Sicherheit die Farben des Regierungsbezirks Köln, nicht wahr!
RLG Schon möglich, aber noch eine weitere Entdeckung machte Radius Lehr
ßilberling Somit deine Schilderungen weitergeführt werden.
RLG Insofern du noch in Form bist, kleiner ßilberling.
ßilberling Was heißt hier ich?
RLG Ansichtssache, mein Bester, Ansichtssache, hinter der Dönertheke war eine Frau mit Kopftuch im Burgund roten Trainingsanzug am Zwiebelschälen, wegen ihr blieb Radius Lehr allerdings nicht die Spucke weg, denn war nicht jemand anders am Messer schärfen? Unmittelbar vor dem Drehspieß, einer, den er wiederzuerkennen glaubte? Aus der Schulzeit, ungefähr zwei Klassen über ihn musste der gewesen sein, ein Türkenjunge natürlich. Mensch, doch, und waren die nicht später alle weggezogen? Von unserem Höhenviertel.
Radius Lehr Ali!
RLG Tatsächlich wurde von den Messern aufgeblickt.
D.m.d.D.m.k.W. Bitte!
Radius Lehr Oh, Ali, dass du hier bist. Ach, wie schön das ist. Nach all den Jahren!
D.m.d.D.m.k.W. Ein Döner?
Alis Frau Vom Ansatz völlig falsch gefragt.
Radius Lehr Und was aus dir geworden ist. Ich meine, dass du jetzt immerhin einen Dönerladen hast.
RLG In eine Mikrowelle neben dem Drehspieß wurde ein Fladenbrot geschleudert.
D.m.d.D.m.k.W. Zum hier essen?
Radius Lehr Ein ganzer Dönerladen, ich meine, das hätte man sich bei dir doch früher auch nicht vorstellen können.
Alis Frau Von Tuten und Kundenpsychologie null Ahnung.
RLG Am Tisch der Kinder klingelte es schrill auf, ein Zeichen dafür, dass die Flagge der Niederlande getroffen wurde - von einer Tulpenblüte natürlich.
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