>>Und wir? Wo fahren wir hin? Wenn nächste Woche die Ferien beginnen? <<, wollte Ron enttäuscht von seinem Vater wissen.
William Müller ging nicht auf die Frage seines Sohnes ein, stand auf und ging ganz abwesend in seinen Gedanken, in den Garten. Denn sein bevorstehender Tod war ihm jetzt bewusst.
Anita war überglücklich, dass sie an der Flugreise teilnehmen durfte. Schnell sprang sie davon und verkündete, dass sie jetzt ihre Freundin anrufen wollte. Danach verließ sie gut gelaunt das Wohnzimmer.
>>Wir werden mal sehen, vielleicht fahren wir zu Tante Erika nach Orem an den Utah See für ein paar Tage<<, tröstete Jessi Rulon ihren enttäuschten Sohn.
>>Und am nächsten Wochenende fahren wir nach Salt Lake City, das ist versprochen! <<, erwiderte Ron versöhnt darauf.
Als seine Mutter ihm zunickte, rutschte er von ihrem Schoß und sprang hinaus in den Garten, um es seinem Vater zu verkünden.
Jessi Rulon saß jetzt alleine in der Essecke. Ja, sie hatte Angst vor den nächsten Tagen, die auf sie und ihre Familie zukamen.
Was sollte sie tun? Wie konnte sie ihren geliebten William von seinem für sie unbekannten, Vorhaben zurückhalten. Sie ahnte nichts Gutes. War es das Ende ihrer großen Liebe zu William, dachte sie in seelischem Schmerz und schaute hinaus in den Garten, wo ihr geliebter Mann in der Sonne auf dem saftig grünen Rasen lag.
War es der Wille Gottes, dass ihre Familie zerbrach wie ein Kartenhaus?
Nein, das konnte nicht sein. Es war der Mensch selbst, der sich ein Götzenbild schuf, um seinem satanistischen Wahn zu bestätigen.
Traurig stand sie auf von ihrem Platz und ging in die Küche um das Mittagessen für ihre soeben zerbrochene bisher immer intakte Familie vorzubereiten.
Drei Tage später war es soweit nach Salt Lake City zu fahren, um den Sonntagsgottesdienst in dem großen Mormonentempel zu feiern. Jessi Rulon stand am Wohnzimmerfenster und sah hinaus wie ihr Mann das Autonome Auto aus der Garage fuhr.
Gestern Abend hatte sie noch einmal versucht mit ihm über sein geheimes Vorhaben zu reden. Schon im Ansatz ihrer Frage nach dem Warum? gab er ihr eindeutig zu verstehen:
>>Er habe eine Offenbarung empfangen in der ihm der Herr, sein Gott empfohlen habe die ungläubigen, zu töten." <<
Jessi Rulon dachte, dass es ein Hirngespinst der menschlichen Wahrnehmung war, das ihn fest in seinem Geist gefangen hielt.
>>Ja, du musst das verstehen. Es ist ein klarer Befehl von Gott den ich ausführen muss <<, glaubte er.
>>Nein rede nicht weiter. Ich möchte es nicht wissen was Du vor hast<<, unterbrach sie ihn gestern Abend ängstlich und verließ das gemeinsame Schlafzimmer.
Es war das erste Mal, dass sie getrennt voneinander schliefen seit ihrer Ehe. Wortlos hatten sie heute Morgen gemeinsam mit den Kindern gefrühstückt.
Als Anita es bemerkte, fragte sie ihre Mutter, warum sie so traurig sei. Worauf sie keine Antwort bekam und ihren Vater ansah.
>>Ach, Mutter geht es heute nicht gut. Spätestens in Kayswille auf der Raststätte geht es ihr wieder besser! <<, antwortete er entschuldigend, um die traurige Stimmung aufzuheben. Dann verlies er das Haus und ging zu seinem Auto.
>>Jessi kommst du? Wir wollen abfahren! <<, sagte William, der wieder unbemerkt ins Haus gekommen war und in der Tür zum Flur stand.
Als ihm seine Frau keine Antwort gab, ging er hinaus und setzte sich in sein selbstfahrenden Ford Winstar. Die Kinder saßen schon hinten im Wagen zur Abfahrt bereit.
Oh, Gott den selbstfahrenden Land Rover. der auch fliegen konnte, hatten sie erst vor drei Monaten auf Raten gekauft.
Wer sollte ihn bezahlen, wenn William nicht mehr zurückkam. Und wie sollte es weitergehen? Das noch verschuldete Haus, die Kinder.
Was soll ich zu Ihnen sagen, wenn ihr Vater nicht mehr zurückkam, dachte Jessi und stand kreidebleich depressiv hinter dem Vorhang in der Küche.
Durch das Hupen ihres Mannes und das Rufen ihrer Kinder wurde sie aus den schrecklichen Gedanken in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Eilig nahm sie ihre Handtasche, die sie sich bereitgestellt hatte, und verließ das Haus. Völlig durcheinander in ihren wirren Gedanken, ging sie zu dem bereitstehenden Wagen und stieg ein. William Müller hatte eine stimmungsvolle Musik in seinem Hi Tech Radio durch einen Sprachbefehl gestartet.
Auch ihre Kinder hinten auf dem Rücksitz waren jetzt fröhlich gestimmt und erzählten munter darauf los.
Nach einer kurzen Fahrzeit war Jessi Rulon vor Erschöpfung in einen tiefen depressiven Schlaf gefallen. Was um sie geschah nahm sie gar nicht mehr wahr. Laufend zuckte ihr Körper ruckartig in sich zusammen.
William Müller bemerkte es und fuhr trotzdem die ganze Anfahrt nach Salt Lake City ohne einen Aufenthalt durch.
Wenige Minuten vor dem Ziel wurde Jessi Rulon von ihren Kindern aus ihrem dramatisch grausamen Traum aufgeweckt.
>>Mami wir sind da! Wach auf! <<, sagte Anita, wobei Ron seiner Mutter leicht auf die Schulter klopfte.
Sehr erschrocken sah sie sich orientierungslos um. Ihre ersten Gedanken waren bei einem schweren Verkehrsunfall.
Sich aufbäumend die Hände weit nach vorne gestreckt an die Windschutzscheibe, stieß sie einen heftigen Angstschrei aus.
>>Mami was ist? <<, rief Anita ängstlich, als sie es sah.
Jetzt bemerkte Jessi Rulon, dass sie sich in ihrem Autonomen Auto befand. Sie saß mit dem Körper nach vorne gebeugt, fest angeschnallt auf dem Sitz. Langsam hob sie ihren Kopf und ließ sich nach hinten in den Sitz zurückfallen. Auf ihrer Stirn stand der kalte Angstschweiß.
>>Oh Gott Kinder, ich habe soeben schlecht geträumt<<, log sie um ihr Verhalten zu begründen.
>>Schau da ist unsere schöne Kirche<<, bemerkte Ron ganz aufgeregt freudig.
Jetzt sahen sie von weitem den prachtvollen Mormonentempel. Sehr viele Gläubige hatten sich vor der Kirche versammelt, um in den feierlichen Gottesdienst zu gehen.
Heute war ein besonderer Tag für die Mormonen, der Kirche Jesu Christi, der Heiligen, der letzten Tage.
Der Tabernakel Mormonen Chor mit seinen 325 Stimmen sollte den Gottesdienst festlich begleiten.
Ein herrliches sommerliches Wetter und der wohltuende Duft der Natur lies die Fahrt zu einem Erlebnis werden.
>>Seht da drüben vor der Kirche an dem Ginsterstrauch, stehen Onkel Bernard, Tante Erika und Christine. <<, sagte Anita freudig und deutete in die Richtung wo sie sie sah.
Ron hüpfte vor lauter Freude ungeduldig auf dem Rücksitz auf und ab.
>>Ja Kinder, sie sind da<<, freute sich Jessi Rulon erleichtert, als sie ihre Verwandten erblickte.
William Müller sah kurz hinüber zu ihr. Seine Blicke ließen ahnen, was er sagen wollte.
>>Ja, wir reden nicht mehr darüber. Wir wollen froh sein und den herrlichen Sommertag, den uns unser Herrgott geschenkt hat, gemeinsam verbringen. <<, antwortete seine Frau.
Kaum hatte der Wagen angehalten, sprangen auch schon die Kinder heraus und liefen eilig zu Onkel, Tante und Cousine.
Jessi Rulon schaute hinüber zu ihrem Mann. Ihre Augen waren voller Tränen. Jetzt nahm sie seine Hand und beugte sich zu ihm hinüber.
>>Ich liebe dich sehr William, bleib hier bei mir in Amerika und lass uns nicht alleine in Utah zurück. Ich habe große Angst. <<, flüsterte sie ihm zu, schloss die Augen und küsste ihm gefühlvoll auf seine Lippen.
William erwiderte ihre Liebe und drückte sie gefühlvoll ganz fest an sich heran.
>>Wir müssen zu Bernard und Erika. gehen, denn sie warten auf uns! <<, antwortete William auf ihre hoffnungsvolle Frage und gab sie behutsam aus seinen Armen frei.
Bevor sie zu ihren Verwanden gingen, sah William Müller noch einmal seine Frau an und sagte wehmütig: >>Lass uns mit den Kindern einen schönen Tag erleben. Es könnte unser letzter Tag sein mit ihnen. <<
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