In diesem Augenblick gab das Telephon sein Zeichen. Der Direktor neigte aus seinem Sessel das Ohr gegen die Wand. »Wer untersteht sich?« fragte er barsch. »Was? Wie? Sie sind schon wieder da? Lauter!« Die Person drüben verursachte in der Leitung ein verzweifeltes Getöse, jetzt hatte der Direktor verstanden. »Was ich mache? Alles.« – »Wie? Was?« begann er wieder. »Die Aktien sind nicht zu bekommen? Weiß ich, ist nicht zu machen. Ich natürlich mache es, ich mache alles. Mit Ihrem Geld, sagen Sie? Wieviel? Lauter! Sie können nicht mehr schreien? Wer mir Geld gibt, muß schreien. Siebzig? Weil Sie es sind, siebzigtausend nehme ich. Zahlen Sie an der Kasse!« Er füllte ein Papier aus und trug es hinter die Bücheratrappe. Dann stellte er sich vor Terra auf, er lächelte großartig, indes er mit einer Verbeugung die gesenkten Arme öffnete, als sagte er: »Geschwindigkeit ist keine Hexerei.« Hiernach faßte er Terra ins Auge, in das eine; das andere schloß er. »Wenn nun statt meiner Sie allein soeben hier gewesen wären?« Das weit offene Auge verhieß eine ganze Welt von Durchtriebenheit; wer so angesehen ward, mußte mitschmunzeln. »Und Sie reden von hundertfünfzig Mark«, schloß, der Direktor herumwippend. Terra konnte nur den Kopf senken.
»Seien wir ernst!« verlangte der Direktor. Er versah sich mit einer Mappe, drehte seinen Sessel dem Kamin zu und legte die Füße auf das Gitter. »Ich gebe Ihnen knapp, kurz, bindend meine Direktiven. Sie haben schöpferisch danach vorzugehen. Aktuell sind heute zwei entscheidende Sachen: die Zulassung an der Börse für unser neuestes Papier – ein Papier, nehmt Alles nur in Allem, hier haben Sie die Unterlagen; und zweitens eine Oper.«
»Ich werde sie schreiben lassen«, versprach Terra. – »Eine noch unbekannte Oper von hoher Hand soll uns anvertraut werden«, berichtigte der Direktor und zog die Brauen hinauf. »Noch haben wir sie nicht, aber wir müssen sie haben. Sie ist von einer Hand, mit der verbündet wir Weltmacht werden.«
Terra verneigte sich zum Zeichen, daß er zu verstehen beginne. Der Direktor machte eine Pause, des Eindruckes wegen und um sich vorzubereiten. Inzwischen drehte sich hinter seinem Rücken die Polstertür links. Ein stattlicher Mann in feinem blauen Anzug, mit Bauch, Glatze, blondem Spitzbart, ging sicher und beschwingt hinter die Bücheratrappe, knisterte dort eine Weile mit Papieren und kam wieder hervor, in der Hand, was er gefunden hatte. Der vom Direktor kürzlich ausgefüllte Zettel war es. Der stattliche Mann nahm keine Rücksicht auf Terra. Erst bei der Tür wandte er seine, von fetten Wangen eingeengte Äuglein her und blinzelte witzig. Schon war er fort; und als habe der Hintergrund immer so leer gelegen wie jetzt, wiederholte der Direktor: »Weltmacht«. Er setzte neu an.
»Zu diesem Zweck bringen wir die Oper im Ausland heraus. Petersburg. Monte Carlo. Wir bearbeiten die Plätze, hier das Material. Ausstrahlen aber müssen wir mit unserer eigenen Presse. Die Schwierigkeit ist, daß offiziell nichts verlauten darf. Ihre Sache, Gerüchte zu verbreiten. Tauchen Sie die Menschheit in ein aufregendes Dunkel. Wer nichts weiß, kann alles wagen.«
»Mein gewohnter Zustand«, sagte Terra, in dem ein Plan entstand. »Ich mache mich hiermit anheischig, das hohe Meisterwerk an uns zu locken. Wenn in den nächsten vierundzwanzig Stunden nichts Neues geschieht, können Sie mich als hoffnungslos unbegabt zum Teufel schicken.«
»Das ist meine Absicht. Wer nicht als Sieger anfängt, kommt nie ans Ziel. Zuerst Erfolg – dann meinetwegen Arbeit.«
Plötzlich setzte der Direktor sich zurecht, er hörte etwas. In der Versenkung rechts entstand ein Rascheln, – und der Direktor, der taub blieb, wenn Geld kam, und auch, wenn es davonlief, hier hörte er. Ein Schritt; ganz leicht und verschwiegen knarrte drunten die Treppe, aber der Direktor war schon auf den Füßen. »Fertig, gehen Sie!« Ein Hut mit Veilchen schwebte herauf. Der Direktor stampfte. Mit seiner Person verdeckte er dem Störer die Aussicht und drängte ihn zur Polstertür links. Bevor sie sich schloß, erspähte Terra noch gelbes Haar und ein Stück Schleier.
Terra sah sich in einem gut ausgestatteten Schreibzimmer. Auf dem Teppich ging jemand umher, der freche Dickwanst von soeben. Hinter der Glastür drüben war ein Gesumm wie von einer beträchtlichen Anzahl Menschen. Terra hob die Gardine: das Vorzimmer. Er hatte also um die Generalagentur für das gesamte Leben die Runde gemacht. Das Vorzimmer hatte sich bevölkert, zur Qual des gehetzten Seifert. Er sprang von Augenblick zu Augenblick an sein Geländer, um gegen die Menge eine zurückdrängende Gebärde zu machen. Einer, der zu wild tat, durfte in die Öffnung des Schallrohrs brüllen – brüllte aber scheinbar umsonst. Rückwärts standen Wartende mit zuversichtlichen Mienen; in einem rotgesprenkelten Mann, der sich die Hände rieb, ahnte Terra den Glücklichen, der seine siebzigtausend Mark hatte abliefern dürfen.
Als Terra die Tür öffnete, hielt eine Hand auf seiner Schulter ihn fest. »Meine Name ist Mohrchen«, sagte der Dicke, mit seinen witzigen Äuglein. »Entschuldigen Sie, daß ich vorhanden bin. Dies ist nämlich Ihr Zimmer, darf ich Sie bekannt machen?«
»Ich danke, es wird mir nicht schwer fallen«, erwiderte Terra, und ohne Pause: »An der Polstertür zum Direktor ist ein Schloß, wer hat den Schnepper?«
»Ich«, sagte Mohrchen ertappt und zog ihn sogar hervor. Aber fortnehmen ließ er ihn sich nicht. »Spielen wir mit offenen Karten«, sagte er. »Sie glauben, daß ich klaue.«
Terra zündete sich wortlos eine Zigarette an.
»Nun, ich klaue nicht«, erklärte der Dicke und hielt den Zettel her. Darauf bescheinigte freilich Herr von Praß dem Herrn Mohrchen, daß er die siebzigtausend Mark an der Kasse zu erheben habe. »Und was tun Sie damit?« fragte Terra.
»Geschäftsgeheimnis. Nie sollst Du mich befragen.« Mohrchen blinzelte. »Im tiefsten Ernst, legen Sie gegen mich lieber keine Bombe, wer weiß, was sonst noch mit auffliegen könnte.«
»Ich habe Ihnen keinen Grund gegeben, mich für einen Spion zu halten.«
»Man wird es hier. Die siebzigtausend sind in guten Händen.« Noch vertraulicher: »Daß ich meine Bezüge davon habe, brauchen Sie nicht erst schriftlich zu sehen. Sie beziehen gewiß Ihre Gage fest und nicht zu knapp?« Da Terra nur Rauch ausstieß: »Leider nein? Dann können wir uns verstehen. Kommen Sie zufällig heute abend ins Café National?«
»Ich bin stark beschäftigt«, sagte Terra gemessen.
»Und ich?« fragte Mohrchen mitleidig. »Ich habe nämlich das Auswärtige. Ich laufe. Wo bliebe ich sonst mit meinem Fett.« Noch einmal durchtrieben gelächelt, und der Dicke öffnete schon die Hintertür. »Er tut Ihnen wohl leid?« fragte er unter der Tür, mit einem Kopfrücken nach der Seite des Direktors.
»Schurke«, sagte Terra hinter ihm drein.
Er prüfte die vom Direktor erhaltenen Schriftstücke und begann kurz entschlossen zu schreiben. Den Lärm im Vorzimmer hörte er schon nicht mehr. Die Zunge bewegte sich ihm zwischen den Lippen vor Vergnügen. »Bravo!« sagte er zu seinem jungen Talent. Was es hervorbrachte, war eine durch keinerlei Mitwissenschaft gehemmte Phantasie über die Oper des hohen Herrn, den er ein zivilisatorisches Genie von höchstem Rang nannte, – aber die blühende Wiedergabe des Kunstwerkes diente zugleich als Lockung für das benachbarte und befreundete Land, das nicht nur die Oper spielen sollte, sondern wo auch das zur Zulassung an der Börse empfohlene Papier zu Hause war. »Sonderbar« – dies fiel ihm auf – »der Artikel umfaßt A und B, Geschäft und Vergnügen, somit das gesamte Leben, und doch ist alles Hirngespinst, Geistererscheinung oder Schwindel: kein Mensch könnte jetzt noch beschwören, was.« Er ging an die Polstertür. »Hinter diesen Matratzen sitzt mein Direktor, hält sich, bei seinen Atrappen und seinem Telephon, für einen ausgekochten Lebenskenner und ahnt nicht, daß er nur ein kümmerlicher Poet in der Dachkammer ist, dem es verdammt hineinregnen könnte.«
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