Abgesehen davon, dass diese Biester das wenige, was an Pflanzenwuchs noch da war, sicher ziemlich schnell den Ödland-Rindern weggefressen hätten. Doch so sehr Red Sid diese Viecher auch verabscheute, eines musste man ihnen lassen: Sie waren schnell - sehr schnell! Ohne es sicher zu wissen, hatte der besoffene Priester damals geschätzt, dass diese Wesen, die sicher aufgrund zu wenigem Pflanzenwuchs Fleischfresser geworden waren (eine annehmbare Theorie, aber das hatte Red Sid nicht wirklich interessiert), wenigstens doppelt so schnell laufen konnten wie jene Vorläufer davon, die die Alten angeblich Fury genannt hatten. Das hatte der Priester aus alten Büchern herausgelesen, die nicht auf dem Index der Inquisition oder dem Schweigebann der Kirche an sich standen. Fury klang irgendwie nicht schlecht, so dass Red Sid seinem ersten Ecar Equis diesen Namen gegeben hatte. Ja, Fury war ein gutes Tier gewesen, auch wenn es ein hinterlistiges Mistding hatte sein können. Leider war es in einem Kampf mit Raidern verwundet worden, so dass Red Sid - praktisch veranlagt - die besten Teile davon mitgenommen und den Rest der umfassenden Menagerie der Ödland-Bestien überlassen hatte. Vor wenigen Tagen nun hatte man ihm diesen Ecar hier anvertraut - und Sid hätte schwören können, dass der Stallmeister des Ordenshauses, der ihm das Tier übergab, ein hämisches Grinsen in seiner blöden Visage hatte. Red Sid verzog bei dem Gedanken das Gesicht. Warte nur, du Arschloch, bis ich zurück bin, dann verfüttere ich dich an dieses Stück Scheiße, auf dem du mich hier rausgeschickt hast. Bei dem Gedanken fühlte sich der "Gestrafte" ein wenig beruhigt. Er musste wieder an die Ironie denken, dass die Kirche aufgerechnet IHN angestellt hatte, um eine Raider-Bande aufzuspüren, die mal wieder ihr Unwesen in den zur Abtei gehörenden Dörfern trieb. Red Sid grinste schadenfroh. Diese eitlen Pfaffen der Feuerkirche brauchten ihn - einen "Gestraften", den die Inquisition mit misstrauischen Argusaugen verfolgte, um eines ihrer Probleme zu lösen. Wie niedlich, dachte er.
Denn Red Sid war im Grunde ein lebender Frevel. Das hörte sich im ersten Moment komisch an, aber betrachtete man Red Sid nur einen Augenblick, wusste man, was damit gemeint war. Denn Red Sid war ein Mensch, der schon sehr lange lebte. Die Priester sagten, es sei ein Gift der Alten, das dafür verantwortlich sei, die Inquisition spielte mit der Idee, es könne ein Fluch sein, für den man seinesgleichen am besten verbrennen sollte - aber damit waren sie zögerlich. Denn nicht wenige sogenannte "Gestrafte" dienten als erfahrene Krieger - ihrem fürchterlichen Aussehen zum Trotz - in den Reihen der Truppen der Kirche und auch der von Fürsten und Kriegsherren. Sicher, bisweilen hängte man den "Gestraften" eine örtliche Seuche oder eine Hungersnot an und brachte ein paar von seiner Art um, aber das kam nur selten vor.
Die Gestraften sahen im Grunde aus wie Menschen, denen die Haut teilweise abgefault war, denen die Muskelstränge offen lagen. Kinder in den Dörfern rannten ihnen nach und riefen "Monster, Monster" oder Ähnliches, "normale" Menschen mieden sie wie den Gelben Tod. Aber das machte sie nicht zu schlechteren Söldnern, die - vor allem in Kriegszeiten - sehr begehrt waren.
Zu gut waren die auf furchtbare Weise entstellten "Gestraften" bei dem, was sie taten. Kein Wunder, immerhin besaßen nicht wenige von Red Sids Art hunderte Jahre Erfahrung in Kampf und Aufklärung. Jeder Kriegsherr, der auf ihre Dienste verzichtete und gegen einen Feind zog, der "Gestrafte" in seinen Reihen hatte, musste damit rechnen, gnadenlos unterzugehen. Kein zivilisierter Mensch konnte sich mit Red Sid oder seinesgleichen messen, was Aufklärung, aber selten genug auch, was den Kampf anging. Auch Auftragsmorde wurden von gewissen "Gestraften" zuverlässig ausgeführt. Red Sid grinste freudlos bei dem Gedanken an die sogenannten "Zivilisierten" im Osten. Brutal, unmenschlich waren nur zwei Worte, die ihm in Bezug auf die stinkenden, verschmutzten, übervölkerten Moloche einfielen, die auf jenen bröckelnden Ruinen standen, welche einst Städte der Alten gewesen waren. Intrigen, Kleinkriege und das damit einhergehende Elend hatten einen riesigen Pool von Söldnern geschaffen, gut ausgerüstet und erfahren, mit welchen sich meist nur die Leibwachen der Fürsten und - natürlich - die Ordenstruppen messen konnten, sollte jemand dumm genug sein, gegen letztere anzutreten (und damit gegen die Kirche - niemand aus den Zivilisationen im Osten hatte das seit Menschengedenken gewagt). Aber die Krieger der Stämme, jene wilden, freien und erbarmungslosen Völker, wuchsen in den Ödlanden auf - ihnen war die Kirche egal, sie waren gefährliche Gegner, auch wenn ihre Zerstrittenheit sie nie zu einer echten Gefahr für die Zivilisation in den Städten werden ließ. Die Tribes mochten nicht die lange Erfahrung der "Gestraften" besitzen - dafür sorgten die mitleidlosen Ödlande früh genug - aber sie kannten die verwüsteten Länder weit besser als jeder Eisenmensch. So nannten die Stämme die Städter und die Kirchenleute. Die Kirche hatte bereits zwei Kreuzzüge gegen die Tribes geführt, beide mit mäßigem Erfolg, da die Stämme schwer zu fassen waren in der Weite des Landes, vor allem aber östlich der Berge, wo das Landmeer scheinbar kein Ende nahm. In blindem Zorn hatten die Kirchentruppen und ihre Verbündeten Frauen und Kinder sowie wenige Gefangene niedergemetzelt, was ihnen die Stämme nie vergessen hatten. So war der unnötige Hass zwischen den sesshaften und den umherziehenden Völkern noch gewachsen.
Red Sid schob die Staubmaske wieder über seinen Mund, rückte das Kettenhemd, welches an einigen Stellen mit Metallplatten verstärkt war, unter seinem Umhang zurecht. Er roch den Rauch, ehe er ihn sehen konnte. Denn der Wind drückte den schwarzen Qualm herunter, so dass er nicht in den Himmel stieg. Red Sid trieb sein Reittier an, als ihm bewusst wurde, dass in dieser Richtung ein kleines Dorf lag, eigentlich eher ein Weiler mit vier Familien. Der Jäger fluchte erneut, als er über den Hügel kam und die Feuer in der Ferne sah. Diese Dreckskerle, dachte er. Sie haben die Richtung geändert, sicher haben sie die Häuser aus der Ferne gesehen. Sid trieb den Ecar ohne Rücksicht an, flog nach wenigen Sekunden bereits über die staubtrockene Erde. Normalerweise zog er das Anschleichen und Dezimieren eines Feindes vor - aber genau diese Wahl hatte er in dem Fall nicht. Denn er sah die Raider, wie sie sich zwischen den brennenden Häusern - eigentlich eher Hütten - bewegten. Red Sid wusste, dass jeder Augenblick zählte, wollte er noch Menschen retten, die diesen erbarmungslosen Schweinen in die Hände gefallen waren. Ruhig überprüfte er den Sitz seiner Waffen - Reitersäbel, Kurzbogen, zwei Wurfspieße - dann fegte er auch schon direkt auf die ersten beiden Gebäude zu. Sid kannte die Zahl der Feinde von ihren Spuren her. Schnelligkeit und Überraschung gaben ihm eine gute Chance gegen die zahlenmäßige Überlegenheit. Die Möglichkeit, dass einer der Gegner ein früherer Soldat aus den Städten oder gar ein Ritter war, musste er leider auch in Betracht ziehen, auch wenn letzteres nur selten vorkam.
Ein Raider kam gerade lachend aus einem dieser Häuser, seine abgetragene Lederkleidung voller Blut. Das letzte, was er in seinem Leben sah, war die Spitze des mit Widerhaken bewehrten Wurfspießes, ehe dieser genau zwischen seinen Augen in seinen Schädel einschlug. Ohne groß darauf zu achten, raste Sid weiter, sein Säbel beschrieb einen Bogen, als er einen weiteren Raider vor sich auftauchen sah. Der Kopf des Mannes, bärtig und mit einem Ausdruck völliger Überraschung auf seinem Gesicht, flog durch die Luft. Dummerweise saßen die beiden anderen Raider bereits im Sattel von zwei Ecars und reagierten schnell. Einer trieb sein Tier an und hielt einen Speer stoßbereit vor sich, der andere blieb stehen und nahm einen Bogen zur Hand. Sid stieß wieder einen Fluch aus, dann warf er seinen verbliebenen Spieß kraftvoll durch die Luft. Er hatte keine Zeit, nachzusehen, ob er getroffen hatte, denn im nächsten Atemzug musste er sich im Sattel nach rechts legen, um der Speerspitze des angreifenden Raiders um Haaresbreite zu entgehen.
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