»Du liebe Zeit, die ganze Stube voller Rauch! Was wird die gnädige Frau dazu sagen! Du sollst doch nicht rauchen, Bärbel.«
»Riecht man es wirklich so sehr?«
»Na, die gnädige Frau wird Augen machen.«
»So machen wir rasch die Fenster auf.«
Die Fenster wurden geöffnet. Anna zog sich entrüstet zurück, aber der Rauch wollte doch nicht völlig weichen.
»Wirst du wirklich ausgescholten?« fragte Edith.
»Nun – ja«, sagte Goldköpfchen kleinlaut, »ich habe eben wieder mal über die Stränge geschlagen.«
»Was machen wir da?«
Goldköpfchen legte nachdenklich die Hand an die Stirn, dann sprang es auf. »Hurra, ich hab’s!« Weg war sie.
Eine Minute später kam Bärbel mit dem Staubsauger ins Zimmer. »Paß auf, Edith, der saugt alles weg. Das haben wir schon mal gemacht, als wir Benzin vergossen hatten.«
Der Staubsauger wurde angestellt, wieder erschien Anna, aber lachend ging sie davon, als sie das listige Manöver durchschaute.
Als Frau Lindberg am Abend heimkam, roch sie aber doch noch den Rauch. Sie winkte ihre Enkelin heran.
»Nun, Kind, was habt ihr denn heute angestellt?«
Bärbel kniff das rechte Auge zu und blickte mißtrauisch auf die Großmama.
»Die ›Räuber‹ gelesen und uns in Armin Rabes versenkt.«
»Hast du deiner Freundin auch etwas vorgesetzt?«
»An leibliche Genüsse haben wir nicht gedacht, Großchen. Was brauchen wir zu essen und zu trinken, wenn wir die göttliche Kunst haben.«
»Aber geraucht habt ihr?«
»Ja.«
»Sollst du das?«
»Großchen, es war eigentlich kein Zigarettenrauchen, – es war etwas ganz anderes. Setze dich mal zu mir, ich will dir das erklären.«
»Ich glaube, Goldköpfchen, hier bedarf es keiner Erklärung.«
»O ja, Großchen, es waren die Zigaretten, die Armin Rabes raucht, teure Zigaretten, fünf Pfennige ein Stück. Edith hat sie mit schweren Opfern errungen. Da haben wir gedacht, wir sind es seiner Kunst schuldig, – wir haben ihm zuliebe geraucht, wir haben ihm das Rauchopfer gebracht.«
»Ihr seid beide recht verdrehte Mädel. – Wenn Armin Rabes ins Wasser springt, braucht ihr ihm doch nicht nachzuspringen. Du weißt, mein liebes Kind, ich sehe es nicht gern, wenn du rauchst, und ich möchte in Zukunft bitten, daß du es mit deinen fünfzehn Jahren noch läßt. Eßt Schokolade, das ist für euch weit gesünder als dieser Unsinn. Nicht wahr, du gibst dem Großchen recht?«
»Sei mir nicht böse, Großchen, aber so ganz recht hast du diesmal nicht. Trotzdem verspreche ich dir, daß die nächste Versuchung an mir vorübergehen wird.«
So war der Frieden zwischen Großmutter und Enkelin wieder hergestellt.
Drei Tage später erhielt Goldköpfchen vom Vater nicht nur die gewünschten drei Mark, sondern einen Fünfmarkschein, mit dem Bemerken, daß Herr Wagner sich ja denken könne, wozu seine Tochter jetzt vor Weihnachten das Geld brauche. Sie solle sparsam damit umgehen und bei ihrer Heimkehr Bericht darüber erstatten.
Bärbel strahlte vor Glück. Fünf Mark hatte sie für den geliebten Armin Rabes. Jetzt war die Bekanntschaft gesichert. Er würde sich nicht so reich beschenken lassen, ohne die Spenderinnen zu belohnen.
Nun galt es, Kriegsrat abzuhalten. Die anderen Mitschülerinnen brauchten nichts zu wissen; nur Edith Scheffel nahm teil an allen Plänen. Wie würden alle vor Neid platzen, wenn Bärbel von Armin Rabes gegrüßt wurde. Wie wunderschön mußte es sein, wenn er ihretwegen das Haupt entblößte, wenn er seine Augen über die Backfische gleiten ließ, in Freude und Dankbarkeit.
»Fünf Mark sind zehn Schachteln Zigaretten«, sagte Bärbel.
»Wollen wir nicht lieber etwas Schokolade beipacken?«
»Oder eine Büchse Ananas? Der Kaufmann drüben hat sie schon für eine Mark und zehn Pfennige.«
»Die Auswahl ist schwer«, erklärte Edith. »Ob wir erst einmal heimlich anfragen lassen, welche Leidenschaften er hat?«
Stundenlang wurde beraten, und endlich entschloß man sich doch für Zigaretten und Schokolade. Dazu sollte ein Gedicht gelegt werden, das die Bitte einschloß, ein einziges Mal den Künstler zu sehen und zu sprechen.
Zigaretten und Schokolade waren längst gekauft, nur das Gedicht wollte nicht gelingen. Bärbel trug sich mit dem Gedanken, Gerhard Wiese zu bitten, irgendwo etwas abzuschreiben. Aber da kam sie bei Edith sehr schlecht an.
»Wozu sollen wir einen so dummen Jungen in unser Geheimnis einweihen? Abschreiben können wir allein. Deine Großmutti hat doch sicherlich Gedichtbücher da.«
»Ja, wir wollen mal suchen, ob irgendwo etwas paßt.«
Bärbel schleppte Schiller, Goethe, Heine, Uhland und Chamisso herbei.
»Wir wollen suchen.«
Krampfhaft blätterten die beiden jungen Mädchen. Nichts wollte so recht passen, bis Bärbel plötzlich vor Begeisterung aufschrie:
»Ich habe was! – Amalia heißt es! – Höre zu:
Schön wie Engel von Walhallas Wonne,
Schön vor allen Jünglingen war er.
Himmlisch mild sein Blick wie Maiensonne,
Rückgestrahlt vom blauen Spiegelmeer.
Seine Küsse, paradiesisch Fühlen,
Wie zwei Flammen sich ergreifen, wie
Harfentöne ineinanderspielen
Zu der himmelvollen Harmonie.«
»Das ist ja ganz schön«, sagte Edith, »aber es steht doch nichts von Zigaretten und einem Wiedersehen darin.«
»So machen wir noch einen Vers dazu, und wenn der auch nicht so schön ausfällt, – wenn nur der Anfang recht poetisch klingt.«
»Also, dichten wir!«
Nach einer vollen Stunde war der Vers endlich beendet.
»Unsere Seelen dampfen dir entgegen.
Diese Spende, sie sei dir genehm.
Tritt entgegen uns, auf unseren Wegen,
Denn wir flehen um ein Wiedersehn.«
»Eigentlich reimt es sich nicht ganz«, sagte Edith.
»Ach was, das merkt er nicht. Mir brummt der Kopf, wir schicken es so ab.«
Alles wurde niedlich eingepackt, mit roten Seidenbändchen umwunden; dann gingen die beiden jungen Mädchen gemeinsam zur Post und gaben das Päckchen am Schalter ab.
»Wird es aber bestimmt noch heute expediert? Es ist von größter Wichtigkeit?«
Der Schalterbeamte lächelte. Er hatte die Adresse gelesen und ahnte, daß zwei Backfischchen dem vergötterten Armin Rabes ein Geschenk machen wollten.
»Natürlich wird es heute noch expediert«, sagte der freundliche Sekretär, »morgen früh, mit der ersten Post hat er es.«
»Oh«, hauchte Bärbel erfreut, »können Sie uns nicht genau die Minute sagen, in der das Päckchen bestellt wird?«
»Zwischen acht und neun Uhr.«
»Danke sehr.«
Sie gingen davon.
»Weißt du, Edith, ich werden morgen im Französisch nicht viel leisten, ich werde immerfort nur an ihn denken müssen. – Zwischen acht und neun Uhr bekommt er das Päckchen. Ob er wohl sehr glücklich darüber sein wird?«
»Aber gewiß, – überglücklich!«
»Ob er uns ein Wiedersehen ermöglicht?«
»Er ist doch ein feiner Mann, er wird sich bestimmt bedanken.«
»Ach, daß er es doch täte!«
So unaufmerksam wie heute war Bärbel Wagner in der Schule noch nie gewesen. Doktor Gerlach, der Ordinarius, fand tadelnde Worte für seine Schülerin. Bärbel senkte nur ergeben den Kopf und flüsterte Edith zu:
»Ich leide gern für ihn. – Ob er es schon hat?«
Drei Tage vergingen in schwebender Pein. Bärbel war schon ganz niedergeschlagen.
»Die schönen fünf Mark«, klagte sie, »er hat unser Geschenk angenommen und nicht recht beachtet. Wenn ich heute nochmals fünf Mark hätte, ich schickte ihm gewiß nichts.«
»Ich gehe nie wieder ins Theater, wenn er spielt«, sagte Edith.
»Man müßte ihm schreiben, was sich schickt.«
»Ja, ja, Schauspieler sind mitunter ganz gewöhnliche Menschen.«
»Da spielt er nun heute einen Prinzen, also einen ganz vornehmen Mann, und dabei bedankt er sich nicht einmal für solch ein fürstliches Geschenk. Ach, Edith, ich habe richtige Herzschmerzen, wenn ich an diese große Enttäuschung denke.«
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