»Ach, Wanda, gib mir nur schnell einen Topf!«
Die Köchin gab einen Milchtopf vom Brett herunter, und Bärbel eilte beglückt davon, hin zum Kaufmann. Emil hatte sich hier sehr oft Sirup gekauft und dadurch den Neid Goldköpfchens erregt. Sie hatte zwar jedesmal mit dem Finger hineinstippen dürfen, mehr aber hatte ihr der Knabe nicht abgegeben.
Nun hielt sie dem Kaufmann den Topf und das Geld hin und verlangte strahlend, er möge ihr für das ganze Geld Sirup geben.
»Na, viel gibt es da nicht.«
Als Bärbel die geringe Menge sah, war sie recht niedergeschlagen.
»Bärbel bringt dir noch eine Zeitung«, flüsterte sie, »dann gibst du noch mehr.«
»Zeitungen kannst du mir immer bringen, Bärbel, Papier kann ich immer brauchen, Papier zum Einpacken habe ich immer nötig.«
»Krieg’ ich dafür Geld?«
»Freilich, – für jedes Pfund einen Pfennig.«
Bärbel wußte nun freilich nicht, wieviel ein Pfund sei. Es ließ seinen Topf beim Kaufmann stehen, eilte zurück zur Apotheke und trug aufs neue ein Paket Zeitungspapier davon.
Der Kaufmann träufelte daraufhin noch einen Löffel Sirup in den Topf; und stolz nahm Goldköpfchen das Gefäß mit dem kostbaren Inhalt in beide Arme.
Nun zur Mutti!
Noch niemals hatte Bärbel ein so stolzes Gefühl im Herzen gehabt wie heute. Sein Gesichtchen strahlte, als es mit dem Topf das Schlafzimmer betrat und ans Bett der Mutter eilte.
»Weil du dem Vati das Zwilling geschenkt hast, schenkt dir Bärbel auch was!«
Bärbel hielt den Topf hin, und interessiert schaute Frau Wagner hinein.
»Ist das Sirup?«
»Gelt, Mutti, nun haben wir eine rechte Freude!«
»Soll ich den Sirup haben, Goldköpfchen?«
»Ja, Mutti, nur einmal lecken möchte ich dran.«
»Das ist sehr lieb von dir, mein Kind, da freut sich die Mutti sehr darüber.«
Bärbel stippte mit dem Fingerchen in den Sirup und hielt ihn der Mutter hin.
»Koste mal.«
»Aber, Kind, du betropfst ja die Decke!«
»Koste mal, Mutti«, drängte die Kleine.
»Dazu braucht man doch einen Löffel.«
»Ich hol’ dir einen!«
Schon war das Kind aus dem Zimmer, stürmte in die Küche und verlangte einen Löffel.
Die stark beschäftigte Köchin reichte dem Kinde einen großen Holzlöffel, mit dem Bärbel zur Mutter zurückkehrte.
»Nu komm her, Mutti!«
Schon war der Löffel in den Topf gesteckt, und rasch mußte Frau Wagner zugreifen, um eine größere Schmutzerei zu verhüten.
»Die Mutti wird nachher essen. – Woher hast du denn den Sirup?«
»Ich hab’ Zeitungen verkauft. Ein Mann hat mir Geld gegeben.«
Noch dachte sich Frau Wagner nichts Schlimmes dabei; aber als Bärbel berichtete, daß es von jetzt ab jeden Tag der Mutti einen Topf mit Sirup bringen werde, und daß auch das Zwilling etwas abbekommen könne, fragte sie genauer und erfuhr, auf welche Weise sich das Kind Geld verdient hatte.
Sie vermochte nicht zu zürnen. Sie hörte aus jedem Wort des Kindes das heiße Verlangen, der Mutter eine Freude zu machen; aber Frau Wagner nahm sich vor, den Gatten darauf aufmerksam zu machen, damit die kleine Zeitungsverkäuferin ihren neuen Beruf wieder einstelle.
»Leck’ doch nur ganz wenig daran«, bettelte Bärbel immer wieder. Es blieb Frau Wagner schließlich nichts anderes übrig, als tatsächlich ein wenig von dem Sirup zu genießen.
»Du hast’s gut«, sagte Goldköpfchen, »du kannst nun jeden Tag einen Sirup essen, und dann kriegst du immer was geschenkt, wenn du einen Zwilling bringst.«
»Die Zwillinge sollen erst groß werden, Bärbel, vorläufig wollen wir keine mehr.«
»Ach nee, Mutti, wir haben genug! Wenn sie nur nicht immerzu schreien wollten. – Was wollen sie denn eigentlich?«
»Das Schreien klingt deiner Mutti wie Gesang in den Ohren.«
»Soll ich auch schreien, Mutti?«
Frau Wagner wurde von den vielen Fragen dadurch erlöst, daß sich auf dem Hofe ein Leierkasten hören ließ.
Bärbel stürzte ans Fenster, schlug in der Hast an den Topf mit dem Sirup, der fiel zu Boden, und die dicke, klebrige Flüssigkeit ergoß sich auf den Bettvorleger.
»Ach, mein schöner Sirup!«
Lina beseitigte zwar den Schaden ziemlich rasch; aber in Bärbels Herzen blieb doch ein Stachel zurück; die Mutti hatte den schönen Sirup nun nicht essen können. So nahm sich die Kleine vor, noch viel mehr zu kaufen, damit die Mutti immerzu Sirup essen könne.
Im Augenblick hatte Bärbel neue Interessen. Gemeinsam mit Emil und Bruder Joachim sammelte sie für den Leierkastenmann die Geldstücke auf, die ihm zugeworfen wurden. Als schließlich nichts mehr kam, eilte das Kind zum Onkel Provisor und quälte ihn so lange, bis er noch zweimal Geldstücke aus dem Fenster warf. Bärbel wollte zwar noch mehr erzwingen, aber Senftleben weigerte sich. Ebenso erging es ihr bei Lina und Wanda.
»Da könnten wir viel geben. Bald singt einer, bald spielt einer, die Leute verdienen ohnehin viel zu leicht ihr Geld.«
Und als nun gar Emil den Gedanken zum Ausdruck brachte, daß es eigentlich das Beste sei, wenn man sich später auch einen Leierkasten kaufe und von einem Ort zum anderen ging, schoß in Bärbels Köpfchen der Gedanke auf, daß sie vielleicht auch mit einem Leierkasten Geld verdienen könnte. Der Emil würde gewiß Rat wissen.
»Wenn ich nur einen Leierkasten hätte«, meinte der Knabe, »ich ginge schon auf die Höfe. Dann spielte ich und singe dazu und bekomme massenhaft Geld.«
»Ich kann singen«, sagte Bärbel.
Emil lachte: »Nu ja, – kannst ja auf die Höfe gehen und singen; dir wird man schon was geben.«
»Kommst du mit?«
Emil kraute sich verlegen den Kopf. »Wenn ich groß bin, mache ich’s, – aber wenn man klein ist, kriegt man viel mehr. Da schmeißen die Leute nur so mit Markstücken nach einem.«
»Vor vielen Tagen sind auch Kinder hier gewesen, die gesungen haben«, meinte Bärbel.
»Freilich, und die haben viel Geld bekommen.«
Am Nachmittage wurde die Großmama darüber befragt.
»Großmama, kriegen Leute, die singen, viel Geld?«
»Freilich, Bärbel. Es gibt in der Stadt Leute, die singen vor den Menschen sehr schöne Lieder.«
»Kleine Kinder?«
»Nein, Damen und Herren.«
»Singen nicht auch kleine Kinder?«
»Natürlich.«
»Und dafür kriegt man viel Geld?«
»Deine Großmama hat einmal viele Kinder singen hören, das war sehr schön.«
»Hast du dich darüber gefreut?«
»Jawohl, Goldköpfchen.«
»Freust du dich auch, wenn Bärbel singt?«
»Freilich, mein Kind.«
Bärbel sprang der Großmutter an den Hals.
»Großmama, hast du nicht ’nen Leierkasten?«
»Nein, Bärbel, wozu brauchst du denn den?«
»Dann ginge der Emil leiern, und Bärbel singte, und dann schmeißen uns die Leute nur so mit Geld.«
»Bist ein kleines Schäfchen, Bärbel. Man muß sehr schön singen können, wenn man etwas verdienen will. Für kleine Kinder ist das überhaupt nichts.«
Als am nächsten Tage die Papierkammer verschlossen war und Bärbel sich vergeblich bemühte, ihre Erwerbsquelle nicht versiegen zu lassen, vertraute sie sich schließlich Lina an und bat um deren Hilfe.
»Was willst du haben?«
»Papier«, flüsterte Bärbel.
»Du weißt doch, in der Toilette hängt eine ganze Rolle.«
»Kann ich das auch nehmen?«
»Ja.«
Das leuchtete Goldköpfchen ein. Es hatte oft gesehen, daß der Fleischer den Aufschnitt in schönes, weißes Papier einpackte. Es machte nicht viel Schwierigkeiten, die Papierrolle abzuhaken; und strahlend eilte das Kind damit zum Kaufmann.
»Gibst du mir wieder einen Taler hierfür?« Bärbel hielt ihm die Rolle hin.
»Was soll ich denn damit?«
»Du hast doch gesagt, ich soll dir Papier bringen?«
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