Nicht nur die Vogelkäfig, sondern auch das Arbeitskörbchen samt dessen Inhalt und die Stickerei, bei deren Aufnehmen Philipp wie vor der Berührung einer Natter zurückgefahren war, wurden weggeschafft. Unser Held hatte die Schlüssel auf dem Boden liegen lassen. Amine öffneten die Schränke, reinigte die Glastüren, und war eben im Begriff, die silbernen Flaschen blank zu reiben, als ihr Vater in das Zimmer trat.
»Barmherziger Himmel!« rief Mynheer Potts, »und alles dies ist Silber? Dann muss es wahr sein, und er hat wirklich Tausende von Gulden! Aber wo sind sie?«
»Kümmert Euch nicht darum, Vater; Euer Eigentum ist ja geborgen, und dass Ihr es nicht verlort, habt Ihr bloß Philipp Vanderdecken zu danken.«
»Ja, ganz richtig; aber da er hier leben will – er wird wohl viel essen – und was wird er mir bezahlen? Er sollte wohl gut ausrücken, da er so viel Geld hat.«
Aminens Lippen kräuselten sich zu einem verächtlichen Lächeln, ohne dass sie jedoch eine Antwort gab. »Ich möchte nur wissen, wo er sein Geld aufbewahrt; und er will zur See gehen, sobald er ein Schiff kriegen kann? Wer wird dann auf sein Eigentum Acht haben, wenn er fort ist?«
»Das will ich tun, Vater,« versetzte Amine.
»Ach– ja – gut – wir wollen Sorge dafür tragen. Das Schiff könnte zu Grunde gehen.«
»Nein, Vater, nicht wir werden Sorge dafür tragen. Ihr habt nichts damit zu schaffen; kümmert Euch um Eure eigne Habe.«
Amine stellte das Silber in die Schränke, verschloss die Türen und nahm, als sie hinausging, um das Frühstück zu bereiten, – die Schlüssel mit sich, während der alte Mann zurückblieb und durch die Glasscheiben das kostbare Metall im Innern betrachtete. Seine Augen waren fest darauf geheftet, ohne dass er sie abzuwenden vermochte, und von Zeit zu Zeit murmelte er vor sich hin:
»Ja, es ist alles Silber.«
Philipp kam die Treppe herunter; als er auf seinem Wege nach der Küche an dem Zimmer vorbeiging und Mynheer Poots vor dem Schranke bemerkte, trat er gleichfalls ein. Er war nicht überrascht über die angenehme Veränderung, fühlte aber mit tiefgerührtem Danke, warum, und durch wen es geschehen war. Amine kam mit dem Frühstück, und ihre Augen drückten mehr aus, als es ihren Lippen möglich gewesen wäre; unser Held setzte sich mit weniger Kummer und einer entwölkten Stirn zu seinem Mahle nieder.
»Mynheer Poots,« begann Philipp, sobald er sein Frühstück beendigt hatte, »ich gedenke, Euch im Besitze meines Häuschens zu lassen, und hoffe, Ihr werdet Euch wohl darin befinden. Die kleinen Anordnungen, die etwa nötig sein dürften, will ich vor meiner Abreise Eurer Tochter anvertrauen.«
»Ihr verlasst uns also, Herr Philipp, und wollt zur See gehen? Es muss allerdings angenehm sein, fremde Länder zu sehen – weit besser, als ein ewiges Zuhause bleiben. Wann gedenkt Ihr abzureisen?«
»Ich werde diesen Abend nach Amsterdam aufbrechen,« versetzte Philipp, »um wegen eines Schiffs meine Vorkehrungen einzuleiten, komme aber wahrscheinlich vor meiner Ausfahrt noch zurück.«
»Ah! Ihr wollt wieder kommen? Ja – Ihr müsst nach Eurem Geld und Eurer Habe sehen – müsst das Geld zählen – wir wollen es gut in Acht nehmen. Wo habt Ihr Euer Geld, Herr Vanderdecken?«
»Das soll Eure Tochter erfahren – diesen Morgen, noch vor meinem Aufbruche. Spätestens in drei Wochen könnt Ihr mich wieder zurückerwarten.«
»Vater,« sagte Amine, »Ihr habt dem Bürgermeister versprochen, sein Kind zu besuchen; es ist Zeit, dass Ihr geht.«
»Ja, ja – beiläufig – Alles zu seiner Zeit! Aber ich muss zuerst Herrn Philipps Willensmeinung hören – er hat mir vor seiner Abreise noch viel zu sagen.«
Philipp konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, wenn er sich erinnerte, was vorgefallen war, als er Mynheer Poots zuerst nach seiner Wohnung berief; aber der Rückblick endete mit Kummer und einer verdüsterten Stirne.
Amine, welche wohl wusste, was in den Gemütern ihres Vaters und Philipps vorging, brachte jetzt Ersterem den Hut und führte ihn nach der Tür. Mynheer Poots war zwar nicht sonderlich geneigt, sich entfernen zu lassen, zugleich aber auch gewöhnt, den Willen seiner Tochter nie zu bestreiten, weshalb er seinen Weg zum Kinde des Bürgermeisters antrat.
»Sobald schon, Philipp?« fragte Amine, nach dem Zimmer zurückkehrend. »Ja, Amine; ich muss unverweilt aufbrechen, hoffe aber, vor meiner Ausfahrt wieder zurückzukommen. Sollte dies nicht der Fall sein, so will ich Euch gleich jetzt die betreffenden Weisungen erteilen. Gebt mir die Schlüssel.«
Philipp öffnete das untere Fach des Schrankes und den Deckel der eisernen Truhe.
»Hier, Amine, ist mein Geld; wir brauchen es nicht zu zählen, wie mir Euer Vater vorschlug. Ihr seht, dass ich Recht hatte, als ich behauptete, dass ich Tausende von Gulden besitze. Vorderhand sind sie mir nichts nütze, da ich mein Gewerbe zu erlernen habe. Sollte ich eines Tages zurückkehren, so können sie mir zu einem eigenen Schiffe verhelfen; aber mein künftiges Geschick ist ungewiss.«
»Und wenn Ihr nicht wieder zurückkehren solltet?« entgegnete Amine mit Ernst.
»Dann soll alles, was das Häuschen enthält, wie auch das Häuschen selbst, Euer Eigentum sein.«
»Ihr habt Verwandte – oder nicht?«
»Nur Einen – einen reichen Onkel, der uns nur wenig in unserer Not unterstützte und kinderlos ist. Ich habe ihm nicht viel zu verdanken und er braucht nichts. Auf der ganzen Welt befindet sich nur ein einziges Wesen, das in meinem Herzen Interesse geweckt hat, und dieses Wesen seid Ihr, Amine. Ich wünsche, dass Ihr in mir einen Bruder seht – und ebenso werde ich Euch stets wie eine teure Schwester lieben.«
Amine gab keine Antwort. Philipp nahm noch einiges Geld aus dem bereits angebrochenen Beutel, um damit seine Reisekosten zu bestreiten, verschloss dann Truhe und Fach und übergab die Schlüssel an Amine. Er wollte sie eben anreden, als sich ein leichtes Pochen an der Tür vernehmen ließ und Pater Sensen, der Priester, eintrat. »Gott sei mit dir, mein Sohn, und auch mit Euch, mein Kind, das ich noch nie gesehen habe. Vermutlich seid Ihr die Tochter des Mynheer Poots?«
Amine antwortete mit einer Verbeugung des Kopfes.
»Ich bemerke, Philipp, dass das Zimmer jetzt geöffnet ist, und habe von aller vergangenen Kunde erhalten. Der Wunsch, mit dir zu sprechen, führt mich hierher; ich muss daher diese Jungfrau bitten, uns für eine Weile allein zu lassen.«
Amine verließ das Zimmer, worauf der Priester sich auf das Kanapee setzte und Philipp an seine Seite winkte. Eine Wiederholung ihres Gesprächs würde zu lange sein. Der Priester befragte Philipp zuerst über sein Geheimnis, konnte aber nicht die gewünschte Auskunft erhalten, da ihm Letzterer nur so viel anvertraute, als er bereits Amine mitgeteilt hatte. Unser Held erklärte ihm sogleich seine Absicht, zur See zu gehen, mit dem Bemerken, dass er, im Falle er nicht wieder zurückkehren sollte, sein Eigentum – dessen Betrag er nicht berührte, dem Doktor und seiner Tochter vermacht habe. Der Priester erkundigte sich sodann über Mynheer Poots und fragte Philipp, zu welchem Glauben er sich bekenne, da er den Mann noch nie in einer Kirche gesehen habe und die Welt sich mit dem Gerüchte trage, dass er ein Heide sei. Philipp gab hierauf, wie gewöhnlich, eine freimütige Antwort und erklärte, dass die Tochter wenigstens gerne erleuchtet zu werden wünsche, weshalb er den Priester bitte, ein Geschäft zu übernehmen, dem er selbst nicht gewachsen sei. Pater Seysen, der Philipps Gefühle gegen das Mädchen bald zu würdigen wusste, erwies sich bereitwillig, diesem Gesuch zu entsprechen. Nach etwa zwei Stunden wurde ihre Unterhaltung durch die Rückkehr des Herrn Poots gestört, der, sobald er Pater Seysen bemerkte, augenblicklich das Zimmer wieder verließ. Philipp rief Amine, stellte sie dem Priester vor und bat sie, seine Besuche anzunehmen, worauf der gute alte Mann das Pärchen segnete und sich entfernte. »Ihr habt ihm doch kein Geld gegeben, Herr Philipp,« fragte Mynheer Poots, sobald Pater Seysen das Gemach verlassen hatte.
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