José-André Lacour
Fanfan von der Tulpe
Die 1001 Verrücktheiten des Fanfan von der Tulpe
Illustrierte Ausgabe
Fanfan von der Tulpe
José-André Lacour
Die 1001 Verrücktheiten des Fanfan von der Tulpe
Illustrierte Ausgabe
Impressum
Texte: © Copyright by José-André Lacour
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Illustrator: © Copyright by Walter Brendel
Übersetzer: Unbekannt
Verlag: Das historische Buch, 2021
Mail: walterbrendel@mail.de
Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Berlin
Inhalt
I Ein echter Sohn Frankreichs
II Die kleinen Strolche von Saint-Denis
III Vorwärts, Fanfan! Marschiere, von der Tulpe!
IV Feuertaufe auf Korsika
V Auf geheimen Pfaden
VI Abenteuer in London
VII Der Wind der Freiheit
Nachbemerkung
I Ein echter Sohn Frankreichs
1
An einem milden Maimorgen des Jahres 1758 schlenderte ein recht stattlicher Herr, dessen Gewandung — Dreispitz aus feinstem Haarfilz, reich bestickter Gehrock, weichseidene Strümpfe — von der des gemeinen Volkes auffällig abstach, gemächlichen Schrittes die «Straße des raunenden Brunnens» hinan. Er war eine imponierende Erscheinung, dieser offensichtlich noch nicht Vierzigjährige mit der hohen Stirn, dem sinnlichen Mund und dem geradezu majestätischen Embonpoint, der ihn allerdings etwas schwerfällig wirken lieg, was er durch einen schlanken Spazierstock mit Goldknauf wohl zu kaschieren suchte. Beim Herannahen dieser ehrfurchtgebietenden Gestalt verneigten die Krämer sich auf der Schwelle ihrer Laden und traten die Passanten beiseite. Man sah ihm ein Weilchen nach, bis er sich den Blicken entzog, da er unversehens in eine Nebenstraße eingebogen war.
Der Seiler Rambert war einer von jenen gewesen, die diese hohe Persönlichkeit ehrfürchtig gegrüßt hatten. Nun wandte er sich seinem Ladennachbarn, dem Barbier Picard, zu. «Monseigneur geht auf Fischfang», bemerkte er mit vielsagendem Blick. Da sein Vater Fischhändler gewesen war, pflegte er, getreu dem väterlichen Erbe, seine Worte diesem Berufsstand zu entlehnen.
«He, nicht so laut!» entgegnete der Barbier. Er war ein vorsichtiger Mann, denn seiner Meinung nach erhielten die Mächtigen dieser Erde von allem, was über sie gesprochen wurde, unverzüglich Kenntnis, da sie ja von einem Schwarm von Leibwächtern und Spionen umgeben waren, die überall ihre Ohren spitzten! So schien es ihm auch jetzt geraten, schleunigst in seinem Laden unterzutauchen, obwohl weit und breit kein Kunde zu erkennen war, aber er wollte sich nicht länger der Gefahr aussetzen, noch weitere Unziemlichkeit aus dem losen Maul seines Nachbarn zu vernehmen.
Auch der Seiler trat ins Haus, um seiner mit Kartoffelschälern beschäftigten Frau zu berichten, wen er soeben draußen hatte vorbeigehen sehen.
«In letzter Zeit kommt er sehr regelmäßig», war alles, was Madame Rambert dazu bemerkte, und ihr Mann lieg es dabei bewenden, wiewohl er es sich nicht versagen konnte, gewissen Träumereien nachzuhängen, die in seinem Dickschädel aufgeflammt waren.
Wenn er dem erlauchten Edelmann folgen durfte und dort, wo jener hinging, ebenfalls Einlag fände — er hätte viel darum gegeben! Aber das kam einem Mann seines Standes ja nicht zu! Dazu hätte es wenigstens einer Revolution bedurft! Und wer wurde schon eine Revolution machen, damit er, der Seiler Rambert, eines Tages die gleichen Freuden genießen könnte wie Monseigneur, der Herzog von Orleans!
Besagter Herzog von Orleans hatte derweilen seinen Schritt verlangsamt, um sich die verheißungsvollen «Augenblicke der Wonne» noch ein Weilchen vorzuenthalten. Er war ein unnachahmlicher Genieger. Indes huschte hin und wieder, wohl in Vorahnung dessen, was ihn erwartete, ein Lächeln über sein Gesicht, obwohl seine Gedanken gleichzeitig, wie so oft, auch um ernstere Probleme kreisten. Mit wem mochte seine Gattin ihn in letzter Zeit wohl wieder betrügen? Mit dem Grafen Melfort? Dem Abbe de Martin? Oder gar dem Kutscher Lacroix? Sie, eine geborene Bourbon Conti! Aber eben mit Feuer unter dem Hintern. Er wusste nicht einmal, ob er wirklich der Vater seines Sohnes, des Herzogs von Chartres, war. Es war schon deprimierend. Und das war auch der Grund, weshalb der Herzog nur hin und wieder flüchtig lächelte, während er seinen Weg fortsetzte. Doch da er zu Gedankensprüngen neigte und eigentlich auch nicht nachtragend war, fand er sehr schnell seine gute Laune wieder, kaum dass er, am Ziel seines Weges angelangt, den Glockenstrang gezogen hatte.
Verzückt lauschte Herzog Louis dem hellen Klang der Klosterglocke, der scheinbar endlos in dem langgestreckten Gewölbe widerhallte. War das Kling-Klang des Glöckchens nicht wie ein Echo auf den Namen Jeanne? Sie allein war der Fisch, dem er entgegenfieberte, und nicht etwa das ganze Kloster, wie das tumbe Volk zu meinen schien, dem sein Geheimnis nicht gänzlich verborgen geblieben war.
Recht abrupt öffnete sich plötzlich das Tor, und der Herzog stellte überrascht fest, dass es die Mutter Oberin persönlich war, die den Pfortendienst versah. Er verneigte sich tief, grüßte galant, mit seinem Dreispitz einen weiten Kreis beschreibend, und sagte, während er näher trat und sie ihm die Reverenz erwies:
«Ihr seid ja ganz rot, ehrwürdige Mutter, und — meiner Treu! völlig außer Atem. Doch wohl nichts Ernstes?»
«Nein, nein, Monseigneur.» Dieses hastige Sprechen passte so gar nicht zu ihr . . .
«Sollte die Pfortenschwester etwa erkrankt sein?»
«Nein, nein, Monseigneur. Sie bemüht sich nur gerade um eine unserer Pensionärinnen, die von einer Unpässlichkeit befallen wurde. Auch ich komme soeben aus ihrer Kammer, weswegen Ihr mich so außer Atem findet.»
Der Herzog hatte das Gefühl, dass ihm etwas verheimlicht wurde. Es lag so gar nicht im Charakter der Mutter Oberin, einer felsenfest in der Bibel wurzelnden Frau, sich einer derartigen Erregung, ja fast Kopflosigkeit zu überlassen, nur weil eine der Pensionärinnen sich unpässlich fühlte. Wahrscheinlich steckten Geldsorgen dahinter, dachte der Herzog. Und da er der Wohltäter dieses Hauses war, würde sie sicher später zu ihm davon sprechen. Das dürfte es sein, was sie so erregte. Sie verabscheute es nämlich, an seine Börse appellieren zu müssen. Die traditionelle Tasse Kaffee erwartete den Herzog in jenem kleinen, als Sprechzimmer dienenden und daher weniger klösterlich-spartanisch eingerichteten Raum, wo er sich stets ein Weilchen niederzulassen pflegte, um mit der Oberin die Angelegenheiten des Klosters zu erörtern. Und so machte er es sich auch diesmal in dem eigens für ihn bereitgestellten Sessel bequem und wartete, dass sie ihm erzählte, was sie auf dem Herzen hatte. Eine Viertelstunde lang sprach man über dies und jenes, doch fiel kein Wort von Seiten der Mutter Oberin, das auf ein Ersuchen um finanzielle Unterstützung oder Protektion irgendwelcher Art hatte schließen lassen, woraus der Herzog folgerte, die Oberin müsse wohl selbst an einer Unpässlichkeit leiden. Da er der Meinung war, nun hinreichend Zeit auf die ernsthaften Angelegenheiten verwendet und sich somit seine Belohnung verdient zu haben, sah er auf seine Uhr, erhob sich und sagte:
«Ehrwürdige Mutter, kommen wir nun zum übrigen. Ich bin recht ungeduldig, die Fortschritte unserer kleinen Mädchen seit der letzten Woche zu sehen.»
Täuschte er sich, oder hatte sie wirklich etwas entgegnen wollen? Doch hielt sie inne, verneigte sich erneut und schritt ohne ein Wort ihm voran durch den kleinen, mit Liguster bepflanzten Hof, bis hin zu dem alten gotischen Gebäude, das als Schulhaus diente. Sie hatten es beinahe erreicht, als ein schriller Schrei widerhallte. Ein einziger nur. Und dieser wurde durch ein im Schlafsaal des ersten Stockwerks heftig zugeschlagenes Fenster abrupt abgeschnitten.
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