»Hallo, da sind wir.« Fröhlich grinsend kamen die beiden auf sie zu. Sie hatten sich in Schale geworfen. »Wie sieht es aus? Habt ihr Lust zu tanzen?«
»Ja, natürlich. Gleich geht es los«, sagte Ulrike, während Conny verzweifelt nach Worten rang, um ein Gespräch mit Andreas anzufangen. Es fiel ihr zu ihrem großen Entsetzen nichts ein. »Ah, gerade kommt unser Tanzlehrer!«
Ein elegant gekleideter Herr mit kecker Stirntolle trat ein. Er trug eine dunkle Kombination und hielt den Stapel mit den Anmeldeformularen in der einen, das Mikrofon in der anderen Hand.
»Wow«, sagte Conny überrascht. »Da ist ja Herr Koberer. Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt.«
Der Tanzlehrer trat auf das spiegelglatt polierte Parkett.
»Hallo und herzlich willkommen zur ersten Tanzstunde in unserem Kurs. Da mich alle inzwischen persönlich kennen, erspare ich mir eine Vorstellung. Darf ich Sie jetzt bitten, zu mir zu kommen?«
Lautes Stühlerücken, dann drängelten die Teilnehmer aufs Parkett. Conny sah sich nach Andreas um.
»Darf ich bitten?«, einladend hielt er ihr den Arm hin.
»Danke, gern.«
Gefolgt von Martin und Ulrike, begaben sie sich auf die Tanzfläche.
»Bitte bilden Sie Paare, sodass ich erkennen kann, wer zu wem gehört.« Verhaltenes Lachen, leises Raunen und das Tapsen von Schritten, die einzelnen Paare bildeten sich.
Vorsichtig zog Andreas sie dichter heran und drückte einmal kurz ihre Hand. Die Nervosität, die sie vorhin so gequält hatte, verschwand. Die Unruhe im Saal legte sich, und Herr Koberer ging mit prüfendem Blick durch die Reihen. Zufrieden nickte er und griff nach seinem Mikrofon.
»Als ersten Tanz habe ich für heute den Langsamen Walzer ausgesucht. Ich denke, dieser bietet sich an, damit Sie sich näher kennenzulernen. Aber auch für mich ist das die Gelegenheit, mich von Ihrem Können zu überzeugen.«
»Dann wollen wir mal«, sagte Andreas und wandte sich ihr zu. Schwach rieb ihre Kleidung aneinander. Dezent lag der Duft seines Rasierwassers in der Luft.
Wie trunken stand sie vor ihm und spürte jeden seiner Atemzüge.
Die ersten Takte des Walzers erklangen. Conny lauschte und versuchte, sich in die Musik hineinzufühlen. Vorsichtig legten die beiden ihre ersten Schritte auf dem Parkett hin. Geschickt, sehr selbstbewusst und sie nicht drängend, führte er sie. Rasch verschwanden die anfängliche Steifheit und die Unsicherheit. Gelassen bewegten sie sich im Rhythmus der Musik.
Immer wieder kreuzten sich ihre Blicke, und Conny hatte das Gefühl, wie Butter in der Sonne zu schmelzen. Seine Hand rutschte an ihrem Rücken ein Stück tiefer. Vertraulich blinzelte er ihr zu, oder bildete sie es sich nur ein? Ihre Gedanken schweiften ab. Andreas war mehr für sie als nur ein netter Tanzpartner. Das spürte sie deutlich. Und mit jedem Takt verstärkte sich dieses Gefühl.
Leise klang die Musik aus, viel zu schnell, wie Conny fand. Erwartungsvoll blieben die Paare stehen und wandten sich Herrn Koberer zu, der sie die ganze Zeit über beobachtet hatte.
»Das lief ja wie geschmiert. Deshalb machen wir gleich weiter mit dem Cha-Cha- Cha. Los geht es.«
Aufmunternd lächelte Andreas ihr zu und legte los. Der Rhythmus ging in ihr die Beine, so dass sie sich fast automatisch bewegten.
Wie Gespenster huschten sie über das Parkett, der Schwung und Elan von Andreas riss Conny mit. Immer mehr fühlte sie, wie sehr ihr das Tanzen in der vergangenen Zeit gefehlt hatte. Ihre Körper bewegten sich im Gleichtakt.
Die erste Dreiviertelstunde verging ziemlich rasch. Connys Atem ging schneller, und ihr Herz klopfte aufgeregt. Ob das nun am flotten Tanzen lag, wusste sie nicht so genau.
»Wirklich beeindruckend, was Sie mir heute zeigen. Bevor es allerdings weitergeht, legen wir eine kleine Pause ein.«
Herr Koberer wickelte das Mikrofonkabel auf und verließ den Rand der Tanzfläche.
Andreas führte Conny zum Tisch zurück. Dort warteten die beiden anderen schon auf sie. Begeistert sah Ulrike sie an, ihr war der Spaß an der Sache deutlich anzusehen.
»Wir holen etwas zu trinken. Darf es Mineralwasser sein?« Tief blickte Andreas in Connys blaue Augen und las die Antwort darin. Bei Ulrike begnügte er sich mit einem einfachen »Ja.«
Zusammen mit Martin verschwand er in Richtung Theke.
»Wie war's?« Begierig, die Erfahrungen ihrer Freundin zu hören, legte sich Ulrike fast auf den Tisch.
»Er tanzt wie ein junger Gott. Vom ersten Augenblick an habe ich mich bei ihm wohlgefühlt. Mit Schrecken denke ich an meine allererste Tanzstunde. Damals hatte ich das Gefühl, in einem Schraubstock zu stecken.«
Entspannt lehnte sich Conny in ihrem Sitz zurück und musterte ihre Freundin, die nach weiteren Informationen gierte.
»Und wie war es bei dir?«, erkundigte sich Conny. »Du kannst die Schritte doch um einiges besser als ich. Bei der Rumba hab ich zweimal einen Fehler gemacht. Du sicher keinen Einzigen.«
»Du hast mich durchschaut. Martin hat mir deswegen sogar ein Kompliment gemacht.«
Conny verdrehte die Augen und betrachtete ihre lackierten Fingernägel, deren Farbe perfekt auf ihren Rock abgestimmt war. »Ich denke, wir haben mit unseren Tanzpartnern den großen Fang gemacht - oder?«
Mit einer Denkermine, bei der jeder Charakterdarsteller neidisch geworden wäre, saß Conny auf der Bettkante. Neben ihr lag - ganz entspannt - Ulrike, die Arme unter dem Kopf verschränkt.
»Du hast vielleicht Probleme«, stichelte diese. »Eine alte, abgewetzte Jeans, ein schlabberiges Shirt, und fertig ist das Maleroutfit. Ich jedenfalls werde es nicht so kompliziert machen.«
»Ach du!«, rief Conny. »Hast du schon einmal daran gedacht, dass in so einem Studentenwohnheim mehr als hundert männliche Wesen auf einem Haufen hocken? An solch einem Ort kann ich doch nicht in Lumpen erscheinen!«
»Dann zieh halt dein nagelneues Seidenkostüm an! Damit bist du garantiert passend gekleidet.« Herzhaft gähnte Ulrike und richtete sich auf.
»Auf solche Gedanken kommst auch nur du«, grollte Conny. »Ich wollte einen vernünftigen Vorschlag von dir hören.«
»Bitte Frieden! Ich habe keine Lust, den Abend damit zu verbringen, über nicht vorhandene Kleiderprobleme zu diskutieren. Im Internat hast du ständig Klamotten getragen, die für ein solches Unterfangen geeignet waren.«
Entschlossen stand Ulrike auf und zog ihre Freundin von der bequemen Unterlage. »Wir durchforsten jetzt deinen Kleiderschrank. Ich bin mir sicher, dort werden wir fündig.«
»Das passt dir wohl so«, knurrte Conny. »Ich kenn das doch. Wenn du auch nur einen einzigen Blick in meinen Schrank wirfst, bin ich garantiert mehr als drei Kleidungsstücke los.«
Der Schlüssel klemmte leicht, als Ulrike versuchte, ihn umzudrehen. Ein gezielter Tritt gegen die Tür führte schließlich zum Erfolg. Knarrend öffneten sich die beiden Flügel und gewährten Einblick ins Innere. Sauber zusammengelegt lagen Pullover und T-Shirts in den Fächern. Auf der Kleiderstange, die sich in der Mitte stark durchbog, hingen Jacken, Hosen und Blusen. Gespannt betrachtete Ulrike den Inhalt. Anerkennend pfiff sie.
»Die meisten Sachen sind ja topmodisch und brandneu. Wo hast du die Klamotten früher immer untergebracht? Damals war dein Kleiderschrank im Gegensatz zu heute leer.«
»Ja, das möchtest du wohl wissen. In deiner Gegenwart waren meine Sachen doch nie sicher vor dir.« Conny dehnte jedes Wort im Munde. »Zu Hause, wo sonst. Und jetzt, da ich allein lebe ...« energisch schob sie ihre Freundin beiseite und wühlte in den Regalen. Skeptisch beobachtete Ulrike diese Aktion. Sie wusste genau, dass Conny keines der Kleiderstücke für geeignet fand. Und so war es auch. Jedes Teil nahm sie heraus, musterte es kopfschüttelnd und legte es wieder zurück.
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