to saunter (ˈsɔːn.tər) - schlendern
Langsames und entspanntes Gehen,
meistens ohne bestimmte Richtung
Mick Saunter, 1957 in Wuppertal geboren, flog mit sechzehn vom Gymnasium, wurde Eisenwarenkaufmann, war Funker beim Bund, fuhr Lkw, verkaufte Versicherungen und arbeitete in einer Autowerkstatt. Lernte das Tischler-Handwerk und holte den Schulabschluss nach, gründete eine Familie, studierte Holztechnik, und plante über viele Jahre Läden in ganz Deutschland. In der Lebensmitte lernte er durch Zufall (den es gar nicht gibt: Nichts geschieht zufällig, sondern hat immer einen Sinn) eine Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung kennen. Das veränderte in seinem Leben alles: Er begann mit geistig und psychisch behinderten Menschen zu arbeiten, leitete die Arbeitstherapie in einer Suchthilfeklinik, und lebte als Heimleiter gemeinsam mit Menschen, die ständige Betreuung brauchen. Lernte, wie unendlich wichtig es ist das Leben mit dem zu verbringen, was man wirklich will - und fing mit fast sechzig an zu schreiben.
www.saunter.de
Mick Saunter
Zweimal
Fish and Chips,
please!
Zwei Rentner auf ihrem ersten Roadtrip:
Mit dem Motorrad durch Irlands Westen und Südengland
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© Copyright 2019 by Mick Saunter
Umschlaggestaltung Michael Jeuter
Edition Moodchanger
Verlag Michael Jeuter, Truchtlaching
michaeljeuter@web.de
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Aus dem Duden:
Roadtrip, der [ˈrɔʊ̯dtrɪp]
Weite Reise mit dem Auto,
oft ohne feste Streckenplanung
Aus dem Englischen für Road = Straße und Trip = Ausflug, Reise
2018, irgendwann im Frühjahr
Bei Tochter und Schwiegersohn
„Echt jetzt?“.
Meine Tochter sah mich mit aufgerissenen Augen ungläubig an. Unwillkürlich hatte sie ihren Kopf etwas vorgeschoben, und ihr Mund war leicht geöffnet.
„Ihr wollt wirklich mit euren Motorrädern nach Irland?“.
Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen, ihr Mund klappte zu, und ihre Lippen wurden zu einem schmalen Strich.
Au weia - das kenn ich. Wenn sie mich so anschaut bedeutet das meistens: Jetzt wird‘s ernst.
Sie lehnte sich etwas zurück, und begann mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln. Kopfschüttelnd sah sie mich an - grad so als würde sie denken: Dieser bekloppte Alte! Wann wird der denn endlich mal erwachsen! Hört das denn nie auf!?!
„Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du mit deinen beiden Bandscheibenvorfällen und dem Blechknie! Und was ist mit der Arthrose im anderen Knie? Und deinem Blutdruck?“.
Sie schnaubte durch die Nase, und verdrehte die Augen.
„Wie weit ist das denn überhaupt?“.
Ich zuckte die Schultern.
„Keine Ahnung – muss ich erst mal googeln. Aber ganz schön weit schon, glaub ich“.
Bei dem Gedanken daran wurde mir schon ein bisschen mulmig: Ich hatte bisher nur mal flüchtig auf eine alte Landkarte geschaut, und die Spanne zwischen Zeigefinger und Daumen mit dem Maßstab verglichen. Das waren bestimmt 1.900 bis 2.000 Kilometer oder so, mindestens.
Einmal quer durch den Westen Europas.
Wir würden uns die ganze Zeit im Sattel unserer Moppeds die Hintern platt sitzen, bei der für eine Fahrt durch England und Irland nicht so ganz ausgeschlossenen Aussicht auf viel Regen, Wind, Nebel und Kälte.
Wahrscheinlich würden wir frieren, klatschnass werden, uns im Linksverkehr verfahren, fragwürdiges Essen bekommen, miserablen Kaffee trinken - und uns schließlich irgendwann selbst im Hals stehen. Und das in unserem Alter! Andere Rentner sitzen während der Urlaubsreise bequem im Sessel eines Fliegers, lassen sich vom freundlichen Flugbegleiter Tomatensaft und Prosecco servieren, und freuen sich auf die All-Inclusive-Verpflegung in einem ruhigen, sonnigen Ferien-Ressort, jenseits irgendwelcher Probleme. Und was den Zustand meines Rückens und mein künstliches Knie betraf, hatte sie ja nicht ganz Unrecht. Von meinem zu hohen Blutdruck mal ganz zu schweigen.
„Da habt‘s euch aber was vorgenommen, Respekt“, meinte Schwiegersohn in Spe. Er fährt einen Chopper, und kann sich so ungefähr ausmalen, was unser Vorhaben bedeutet: Mit dem Motorrad in den äußersten Südwesten Irlands.
Und das Alles mit meinem alten Schätzchen.
Nein, damit meine ich natürlich nicht meine wunderbare Frau, mit der ich diese für unser Alter möglicherweise etwas - nun ja, nennen wir es mal ungewöhnliche Idee entwickelt hatte. Aber, vielleicht erzähl ich doch erst mal von Anfang an, wie es überhaupt dazu kam.
~
Der Ursprung von allem war das Geschenk einer Freundin zu Helgas sechzigstem Geburtstag: Jaqueline und ihr Mann Michael haben in Irland, genauer in Fahan, auf der im Südwesten gelegenen Halbinsel Dingle, ein Ferienhaus; und das Geschenk war ein Urlaub dort. Eigentlich sollte es mit dem Flieger dorthin gehen. Aber damals bekam Helga in der Firma keinen Urlaub, dann kam eine längere Krankheit dazwischen - wie so oft im Leben war immer was, und die Zeit verging und verstrich. Bis - ja: Bis wir uns zwei Jahre später kennenlernten!
Wir beide sind leidenschaftliche Motorradfahrer. Oder, wie es nicht nur in meiner Heimat dem Ruhrgebiet heißt: Wir sind Moppedfahrer. Auf einem Motorrad unterwegs zu sein ist für uns das Lebensgefühl, ohne das wir nicht auskommen.
Bei Helga fing es damit 2001 an, noch in ihrer schwäbischen Heimat. Eigentlich kam sie dazu wie die Jungfrau zum Kind: Die kleine Yamaha Virago 125 war in ihrer Familie sozusagen über, nachdem sie gegen was Stärkeres eingetauscht worden war.
Also die Yamaha, nicht Helga.
Irgendwann stand die Frage im Raum, ob sie es denn nicht auch mal versuchen wolle, das Motorradfahren – der Pkw-Führerschein, wenn er vor dem 1.4.1980 ausgestellt worden ist, schließt ja die Fahrerlaubnis für Motorräder bis 125 cm³ mit ein. Bisher war sie nur ab und an ein kurzes Stück mitgefahren; selbst aber noch nie.
Wer Helga kennt weiß, dass sie sich nicht zweimal bitten lässt, etwas Neues zu versuchen. Also: Ein paar erste Fahrversuche auf dem Parkplatz von Möbel Mahler, ein wenig Anfahren und Anhalten geübt, die Knöpfe und Hebel der Maschine einstudiert und dann: Raus auf die Straßen der schwäbischen Alb!
Schneller noch als ihre Familie „Wann gibt‘s oigentlich mol widdr Schpätzle mit Röschtzwiebeln?“ sagen konnte war sie auf und davon - und genoss das Gefühl, selbst mit zwei motorisierten Rädern auf der Straße unterwegs zu sein total. Ab jetzt unternahm sie mit dem Bike immer öfter ihre „kleinen Fluchten“ aus dem Alltag; und war bald gründlichst vom Biker-Virus infiziert.
Ein hinterhältiges Ding, dieses Virus: Hat es sich erst mal eingenistet, dann wird man es nicht mehr los. Die Symptome einer Infektion sind meistens eindeutig: Ein plötzlich erwachender und unbezähmbarer Drang nach Freiheit, Abenteuer und frischer Luft, schubweise auftretende Freude an dem Geruch von Benzin, Gummi und Öl, und dann noch die Lust daran, sich in merkwürdige Kleidungsstücke und unbequeme Kopfbedeckungen zu zwängen. Und das alles verbunden mit der tiefen Erkenntnis, dass das bisherige Dasein in Blechdosen namens Auto nur eine sinnlose Vergeudung von Lebenszeit war.
Mich hatte es das erste Mal 1969 erwischt, mit zwölf: Als ich in den Sommerferien mit meinen Eltern zum ersten Mal in Spanien war - in Sitges, an der Costa del Garraf in Katalonien. Bisher kannte ich nur Familie, Schule, Schwimmverein, Konfirmandenunterricht und sonntägliche Langeweile; und Urlaub bestenfalls in Holland bei Frau Antje, oder auf Baltrum in der Pension Stranddüne. Mit Frühstück und Strandkorb in den Dünen inklusive.
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