„Letzte Woche Freitag in einem Hotel.“
Sie schrieb Robin die Adresse auf.
„Wissen Sie, mit wem Fabian Tschötz noch etwas am Laufen hatte?“
„Nein, nur von der einen Krankenschwester hat er mir erzählt. Sie war eifersüchtig. Merle.“
Robin und Susanne sahen sich erstaunt an.
„Davon hat uns die nette Dame gar nichts gesagt.“
„Bitte, Herr Hinschler, sagen Sie meinem Mann nichts. Er ist eigentlich einer von den Guten.“
Robin nickte. Als die Frau ausgestiegen und im Haus verschwunden war, sah er Susannes Ärger.
„Wenn er so ein Guter ist, sollte sie ihn nicht bescheißen!“, knurrte sie.
„Das denke ich auch, aber wir sind nicht für die Moral der Menschen verantwortlich.“
„Warum hast du eigentlich keine Freundin? Du bist doch auch einer von den Guten?“
„Weil ich keine Zeit dafür habe. Und nun besuchen wir unsere liebe Krankenschwester noch einmal. Eifersucht ist ein sehr interessantes Motiv.“
Der Arzt klopfte kurz und betrat das Zimmer mit wehendem Kittel. Jewgeni saß auf dem Bett, seine nackten Füße baumelten ein Stück über dem Boden. Leo stand vor dem Spiegel im Bad und ging neugierig zurück ins Bett. Er hatte sich die Haare gekämmt, die dadurch aber keineswegs ordentlicher aussahen.
„Hey, Doktor Benger, wollen Sie uns besuchen?“
„Ich wollte Sie entlassen. Herr Sabritschek, Ihre Werte sind in Ordnung, wir schicken Sie zurück in Ihre Zelle und sind bei der Planung einiger Reha-Maßnahmen. Man kümmert sich dort um Sie.“
„Ich bin gesund?“
„Nein, gesund sind Sie erst, wenn Sie Ihren Lebensstil anpassen. Kein Stress, gute Ernährung und Sport, den natürlich in Maßen. Und Sie, Herr Krummhorst, dürfen mit. Der Gips bleibt noch ein bisschen dran, lassen Sie ihn sich nicht kaputtschlagen. Ich will Sie hier nicht mehr sehen. Die Rippe wird noch eine Weile wehtun, heilt aber von selbst.“
„Cool, Doktor. Siehst du, Chef, jetzt bleiben wir zusammen.“
Der Arzt sah missmutig zu Jewgeni.
„Chef?“
Jewgeni zuckte mit den Schultern.
„Na dann. Auf Wiedersehen.“
Als sie wieder allein waren, ergoss sich ein irrer Redefluss über Jewgeni, in dem Leo ihre gemeinsamen Aktivitäten in schillernden Farben beschrieb. Jewgeni hoffte, dass es sich lohnte, diesem Irren nicht sofort den Hals umzudrehen. Er legte sich auf sein Bett und starrte an die Decke, während Leo redete und redete. Bald fielen ihm die Augen zu und er dachte an alte Zeiten. Sie waren ein gutes Team gewesen, sie konnten sich aufeinander verlassen. Der einzige Störfaktor war Ludgers Anwalt gewesen.
Der hatte immer auf Ludger eingeredet: „Tu dies nicht, tu das nicht, das ist zu gefährlich …“
Jewgeni hatte immer gedacht: Was für ein feiger Hund! Lässt sich auf die Sache ein und jammert dann. Aber Ludger hielt ihn für wichtig. Hätte er ihn doch gleich verschwinden lassen. Doch für diese Dinge war er nicht zuständig gewesen. Er war der Kerl, der Eindruck machte. Er drohte, boxte und nahm auch mal einen in den Schwitzkasten. Die wichtigsten Probleme löste Sandro, ein desillusionierter Endzwanziger ohne Empathie und bereit, für Geld alles zu tun. Aber auf Sandro konnte man sich verlassen. Jewgeni hatte zugesehen, wie sein Kollege, ohne mit der Wimper zu zucken, den Mann, der sich ihnen widersetzte, im Rhein ersäufte.
Ludger war immer großzügig gewesen, hatte aber auf Anraten des Anwaltes alles akribisch notiert und das hatte ihnen letztendlich Ärger gemacht. Die Schlampe, die er entführt hatte, hatte später für Ludger gearbeitet und sie ebenso verraten. Aber die hatte ihre Strafe bekommen: Sie durfte ihren Mann beerdigen. Dieser Drecksack hatte mehr Geld gewollt und Ludger gedroht. So ein Idiot.
Jewgeni sah Eric vor sich: aalglatt und arrogant bis in die Haarspitzen. Er hatte sich eingeschlichen und sie an die Bullen ausgeliefert. Und dann hatte die miese Kommissarin einfach Ludger erschossen. Das hatte in der Zeitung gestanden. Um jemanden zu retten. Jemanden. Sicher diesen Anwalt.
Am besten hatte ihm Doktor Rosenschuh, der Staatsanwalt, gefallen. Dem stand die Gier in den Augen, dass es nur so blitzte, wenn Ludger ihm dies und das versprach. Der war Wachs in Ludgers Fingern. Aber am Ende ist er auch in den Bau gegangen.
Jetzt schlich ein Lächeln in sein Gesicht. Es hatte noch mehr in der Zeitung gestanden: Die Kommissarin war Opfer eines Psychopathen geworden. Er hatte sie erschossen. Da waren sie und Eric schon ein Paar gewesen. Er konnte sich noch genau erinnern: „Bianca Verskoff, die Lebensgefährtin des Staatsanwaltes Eric Ströckwitz, ist heimtückisch ermordet worden. Wir trauern um eine hervorragende …“
Und so weiter und so weiter. Jewgeni öffnete die Augen und sein Herz klopfte schneller. Der Gedanke, dass bald auch jemand einen Nachruf auf Eric schreiben würde, beflügelte seinen Hass. Er hatte lange nicht mehr daran gedacht, erst Leo hatte ihn wieder darauf gebracht. Das Gefühl, dem Verräter die Kehle durchzuschneiden, musste grandios sein. Er sah vor sich, wie das Blut hervorsprudelte, wie der Typ die Augen aufriss und wie er, Jewgeni, ihn dann auslachte. Danach würden sie sich besaufen und vielleicht würde er Leo auch noch die Kehle durchschneiden, damit der endlich die Schnauze hielt.
„Mann, was ich mich freue, Chef, wenn wir morgen zusammen auf dem Hof spazieren gehen. Niemand wird mich jemals wieder anfassen. Und als Dank helfe ich dir, deinen Verräter zu erledigen.“
Jewgeni nickte. So wird es laufen. Mal sehen, wie lange es dauerte, bis er wegen seiner gesundheitlichen Probleme rauskam. Er musste dringend seine Anwältin anrufen und das mit ihr besprechen.
Am späten Nachmittag kamen die Wachhabenden und brachten Jewgeni und Leo zurück in ihre Zellen. Niemand erkundigte sich nach ihrem Befinden, niemand sagte oder fragte irgendetwas. Sie verabschiedeten sich und Jewgeni genoss die Ruhe in seiner Zelle. Er sollte noch schlafen, deshalb stellte ihm nur jemand sein Abendessen auf den Tisch.
Leo hingegen erzählte dem Wärter, dass er jetzt den Schutz von einem richtig guten Mann genießen würde.
„Hey, da fasst mich keiner mehr an. Ich muss denen gleich sagen, dass es jetzt knallt, wenn sie mir ans Leder wollen.“
„Herr Krummhorst, ruhen Sie sich noch aus mit der Rippe. Provozieren Sie Ihre Mithäftlinge nicht, dann brauchen Sie auch keinen Beschützer.“
Damit ging die Zellentür zu und Leo konnte sich seinen Racheplänen hingeben. Er malte sich aus, wie er stundenlang mit Jewgeni im Auto saß, belegte Brötchen aß, Bier trank und jeden Schritt von diesem Eric beobachten würde. Sie würden abwechselnd schlafen und dem Mann auf Schritt und Tritt folgen. Wenn der Typ irgendwohin laufen würde, könnte Leo ihm zu Fuß folgen, denn ihn kannte Eric ja nicht. Jewgeni durfte das nicht, er sah viel zu auffällig aus. Da würde der Verräter gleich Lunte riechen.
Wenn sie ihn dann allein sahen, vielleicht abends, wenn er am Rhein spazieren ging, würden sie ihn in die Zange nehmen. Er stellte sich vor, wie Jewgeni Eric, der um sein Leben bettelte, festhielt und Leo zunickte. Er würde ihm ein Messer überreichen, das im Mondlicht glänzte. Leo würde genau zuschauen, wie die Klinge durch den weißen Hals des Opfers glitt, als wäre er aus Butter.
Leo kicherte vor sich hin und rieb sich die Hände. Er wollte sich genau ansehen, wie das Blut heraussickerte oder spritzte. Jewgeni würde Eric dann auf den Boden sacken lassen, der Fußweg wäre rot.
Und dann würden sie ihn an den Beinen und den Schultern packen - dabei würde der Kopf schlaff herunterhängen - und ihn in den Rhein werfen. Der Fluss würde die Leiche mitnehmen und vielleicht nie wieder hergeben. Danach würden sie sich die Hand geben. Leo kicherte grunzend. Die blutüberströmte Hand. Sabber lief ihm aus dem linken Mundwinkel und er wischte ihn mit dem Ärmel ab.
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