Sie beobachtet ein paar der anderen Frauen mit einem nicht ganz so zufriedenen Gesichtsausdruck, die an uns vorbeigehen.
Mein Mund öffnet sich. Doch da ich ehrlich gesagt überhaupt nicht weiß, was ich von mir geben soll, schließe ich ihn direkt wieder.
„Aber mir ist das egal“, erklärt sie als Nächstes und zuckt mit den Schultern. „Das ist deren Problem und nicht meines. Komm´ mit, ich werde dir deinen Arbeitsplatz zeigen.“
Mit diesen Worten setzt sie sich in Bewegung und geht voraus. Schnell folge ich ihr in einen riesigen Raum, der sich am Ende des Ganges befindet. Wie sich herausstellt wurde er als Großraumbüro eingerichtet, in dem sich unzählige Schreibtische befinden, von denen sich immer zwei gegenüber stehen.
„Ich sitze dort und du auf der anderen Seite“, verkündet sie und zeigt auf zwei Schreibtische, die sich in der Mitte befinden. „Wenn du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden. Denk dran, es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten. Ich habe vor etlichen Jahren selber einmal angefangen und weiß daher, dass man am Anfang immer etwas wissen will.“
Sie zwinkert mir zu und nimmt mir so einen Teil meiner Angst.
„Danke“, murmle ich und lächle sie an.
„Die meisten hier sind irgendwann von anderen Agenturen dazu gekommen, da sie abgeworben wurden. Ich habe hier schon vor Jahren angefangen und weiß daher, wie der Hase läuft und auch, dass es nicht einfach ist am Anfang. Doch ich habe gesehen, dass du sechs Sprachen fließend sprichst. Das ist das doppelte als die meisten hier. Vor allem in deinem Alter. Viele haben erst später neue gelernt, was es aber nicht unbedingt einfacher macht. Deswegen bin ich mir sicher, dass du das wunderbar machen wirst. In diesem Fall mache ich mir überhaupt keine Sorgen.“
Ihre Worte muntern mich ein wenig auf. Auch, wenn es ihr vielleicht gar nicht bewusst ist, so nimmt sie mir ein wenig die Angst vor den nächsten Stunden.
„Unser Chef ist übrigens die ganze Woche nicht da. Das sollte auch noch ein wenig Druck rausnehmen.“
Ich kann nicht verhindern erleichtert aufzuatmen. Ja, es nimmt mir ein wenig den Leistungsdruck. Vor allem beschafft es mir aber auch Zeit, mich hier mit allem vertraut zu machen und dann nicht mehr wie eine totale Anfängerin zu erscheinen, sobald er wieder im Büro ist.
Schon als kleines Kind habe ich Sprachen geliebt. Mich hat es immer fasziniert, in wie vielen Sprachen und auf wie vielen unterschiedlichen Wegen man sich ausdrücken kann. Außerdem war ich dort immer besser drin, als in Mathe. Zahlen haben nie wirklich einen Sinn für mich ergeben. Die unterschiedlichsten Rechenwege und Techniken fand ich immer furchtbar kompliziert. Wörter und Buchstaben hingegen haben mir nie Probleme bereitet.
Mir ist klar, dass das für einige wahrscheinlich keinen Sinn ergibt. Schließlich habe ich schon in der Schule erlebt, dass viele sich eher im sprachlichen Unterricht schwertun, als in Mathe. Doch das ist mir egal.
Dementsprechend leicht ist mir auch meine erste Arbeitswoche gefallen. Ich habe Dokumente und wichtige Schriftstücke in verschiedene Sprachen übersetzt. Dabei war ich so in meine Arbeit vertieft, dass ich nicht immer pünktlich das Büro verlassen habe. Auch heute musste Susan mich darauf hinweisen, dass ich nun Wochenende habe. Ich gebe zu, dass ich das sonst wahrscheinlich vergessen hätte.
Während ich nun durch die Straßen gehe, komme ich nur langsam voran. Zum einen liegt es daran, dass ich mich aufmerksam zu allen Seiten hin umsehe, sodass mir nichts entgeht. Doch sie sind auch so voll, dass es mir vorkommt, als würde es eine Ewigkeit dauern, bis ich die nächste Kreuzung erreicht habe.
Als ich um die Ecke biege, höre ich mein Handy leise in der Tasche klingeln. Schnell ziehe ich es heraus und werfe einen Blick auf das Display, sodass ich nicht mehr auf meine Umgebung achte. Dennoch gehe ich weiter und bleibe nicht stehen.
Erschrocken zucke ich einige Sekunden später jedoch zusammen, als ich merke, dass ich gegen jemanden oder etwas gelaufen bin. Schnell hebe ich meinen Kopf und sehe dunkle Augen direkt vor mir. Sie sind mir so nah, dass meinen Kopf ein Stück in den Nacken legen muss, um ihn besser ansehen zu können. Doch es dauert nicht lange, bis ich bereue, dass ich das getan habe. Noch in der gleichen Sekunde bleibt mein Herz stehen und mein Mund öffnet sich ein Stück, da ich keine Luft mehr bekomme. Zumindest kommt es mir gerade so vor.
Es dauert einen Moment, bis ich merke, dass sich ein schiefes Grinsen auf seine Gesichtszüge gelegt hat, was mir zeigt, dass ihm meine Reaktion nicht entgangen ist. Und es dauert nochmal so lange, bis ich langsam einen kleinen Schritt nach hinten mache und ihn dabei genauer betrachte.
Er ist groß und breit gebaut. Seine dunklen Haare hat er lässig nach hinten gestylt. Auf seinem Hals erkenne ich ein Stück eines Tattoos. Müsste ich raten würde ich sagen, dass es ein Drache ist, doch so genau kann ich das nicht sagen, da es in seinem Shirt verschwindet. Allerdings lässt es mich neugierig werden.
Bevor ich mich jedoch irgendwie verraten kann, konzentriere ich mich schnell auf etwas anderes. Dabei fällt mein Blick auf seine elegante Kleidung, die aussieht, als würde er gerade zu einem Geschäftstermin fahren. Vor allem erkenne ich aber auf den ersten Blick, dass sie mehr kostet, als ich in einem Jahr verdiene. Sein Anzug, der komplett schwarz ist, sitzt perfekt.
Doch all das ist nur nebensächlich.
Von Sekunde zu Sekunde bin ich immer mehr damit beschäftigt zu verarbeiten, dass er sich nur wenige Zentimeter von mir entfernt befindet. Aus seinen dunklen und gefährlichen Augen sieht er mich an. Nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde wendet er sich von mir ab und gibt mir so die Chance, mich wieder zu beruhigen.
Ich nehme nur noch ihn wahr, auch wenn mein Verstand mir sagt, dass es nicht gut ist. Alles um uns herum verschwindet. Meine Sinne sind nur noch auf ihn konzentriert.
Schnell rufe ich mir in Erinnerung, dass dies nur so ist, weil er mir bereits jetzt schon mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat, als die meisten Männer in den letzten Monaten. Doch tief in meinem Inneren weiß ich, dass dem nicht so ist. Auch wenn ich nicht genau sagen kann, woher es kommt.
Es dauert eine Ewigkeit, bis ich auch nur ansatzweise wieder in der Lage bin, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Doch dann bringe ich automatisch noch mehr Abstand zwischen uns. Soweit das überhaupt geht, da um uns herum so viele Menschen sind, dass man sich kaum bewegen kann.
„Sorry“, murmle ich und schaue dabei an ihm vorbei.
Ich bin nicht schüchtern und auch sonst nichts in diese Richtung. Doch er hat etwas an sich, was dafür sorgt, dass meine große Klappe gerade sonst wohin verschwunden ist. Und das ist etwas, was mir eindeutig nicht gefällt.
„Ist schon in Ordnung“, erwidert er mit einer verführerischen Stimme und noch immer dem gleichen Grinsen auf den Lippen.
Beides zusammen lässt mein Herz schneller schlagen, als würde es sich aus meiner Brust befreien wollen.
Plötzlich habe ich es eilig von hier zu verschwinden. Dieser Mann schreit nach Gefahr. Und das ist etwas, was ich in dieser Stadt gerade überhaupt nicht gebrauchen kann. Es ist etwas, was ich allgemein in meinem Leben nicht gebrauchen kann.
Weder jetzt noch sonst irgendwann.
Ich will mir hier ein Leben aufbauen. Ich will meine Ziele verfolgen und auch erreichen. Da ist es wahrscheinlich besser, wenn ich mich nicht von ihm aus der Ruhe bringen lasse. Auch wenn ich innerlich zugeben muss, dass es mir gerade schwerfällt, die nötige Distanz zwischen uns zu bringen.
Ein letztes Mal lächle ich ihn kurz an, ehe ich mit großen und vor allem eiligen Schritten an ihm vorbeigehe. Dabei spüre ich seinen Blick in meinem Rücken. Ich drehe mich aber nicht noch einmal in seine Richtung, auch wenn ich das gerne würde.
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