Und das ist es, was ich will.
Unsere Wohnung, die wir für unser erstes Jahr angemietet haben, befindet sich mitten in Brooklyn. Da die Straßen voll sind, dauert es ein wenig, bis wir dort angelangt sind.
„Wir hätten vielleicht eine Pause mehr machen sollen“, stelle ich fest, nachdem ich ausgestiegen bin.
Ich lasse meine Schultern kreisen, um meine verspannten Muskeln zu lösen. Doch viel bringt es nicht.
„Der Meinung bin ich auch“, gibt Avery mir recht und streicht sich über den Nacken.
„Dann hätten wir noch eine und noch eine gemacht. Und dann wären wir erst in ein paar Stunden hier, wenn es bereits mitten in der Nacht ist. Ich wollte nicht bei Dunkelheit die Kartons nach oben schleppen“, erklärt Lucas, nachdem er sich neben uns gestellt hat.
Dabei verzieht er das Gesicht, sodass ich leise lachen muss. Ich kenne nämlich die Wahrheit über seine Worte und die sieht so aus, dass er sich eigentlich vorgenommen hat, heute Abend ein wenig um die Häuser zu ziehen und die Bars zu erkunden, die sich in unserer Nähe befinden.
„Jetzt hör lieber auf, es so spannend zu machen“, weise ich ihn an und werfe einen strengen Blick in seine Richtung.
„Okay, Ladys. Wie ihr ja bereits wisst, war ich bereits letztes Wochenende in der Stadt um die Schlüssel zu holen. Dabei habe ich mir die Wohnung natürlich auch angesehen. Daher kann ich euch mit Gewissheit verraten, dass sie euch gefallen wird. Und hier habe ich die Schlüssel für euch“, verkündet er gut gelaunt und überreicht sie uns.
„Wieso hast du sie uns nicht schon eher gegeben?“ Avery verzieht schmollend ein wenig das Gesicht.
„Ich habe mir einfach einen kleinen Spaß daraus gemacht.“
Ich gebe keinen Ton von mir, sondern gehe auf die Eingangstür zu. Dabei spüre ich den Blick der beiden in meinem Rücken, bevor sie mir folgen. Lucas geht die Treppen voraus und bleibt vor einer der zahlreichen Türen stehen, die sich in diesem Flur befinden.
„Du solltest dir vielleicht einen Job als Türsteher oder Bodyguard suchen“, stelle ich fest.
„Vielleicht werde ich das auch machen“, gibt er nur zurück, schiebt den Schlüssel in das Loch und öffnet endlich die Tür.
„Wow“, entfährt es mir, nachdem wir eingetreten sind.
Bereits auf den ersten Blick erkennt man, dass die Wohnung hell und geräumig ist. Die Fenster im Wohn- und Küchenbereich reichen fast bis unter die Decke und lassen die Sonne hinein, sodass alles im hellen Licht erscheint.
Neugierig gehen wir durch die anderen Räume, die alle ungefähr gleich groß sind, sodass es keinen Ärger geben wird, wer welches Zimmer bekommt. Auch hier gibt es große Fenster, die aber getönt sind, dass man von außen nicht hineinsehen kann.
„Das wird großartig werden“, verkündet Avery und klatscht begeistert in die Hände. Eigentlich fehlt es nur noch, dass sie wie ein kleines Kind auf und ab springt. Und ehrlich gesagt würde ich ihr das sogar zutrauen.
„Wir sollten alles ausladen, damit wir später noch um die Häuser ziehen können“, erklärt Lucas voller Tatendrang, wobei er auch seinen eigentlich Plan verlauten lässt.
„Ihr müsst ohne mich ausgehen“, gebe ich von mir und schüttle entschieden den Kopf.
„Das ist unser erster Abend in New York. Den kannst du nicht zu Hause verbringen.“
Lucas sieht beinahe geschockt aus über meine Entscheidung, als er mich mit großen Augen und einem geöffnetem Mund ansieht. In gewisser Weise kann man sagen, dass er mich ansieht, als wäre ich ein Gespenst.
Aber so kenne ich ihn. Er war schon immer gerne unterwegs und bei jeder Party dabei. Deswegen würde es mich nicht wundern, wenn er auch hier mehr unterwegs, als zu Hause ist.
„Ich weiß, und das holen wir auch nach. Die Firma hat mich gestern nur angerufen und mich gefragt, ob ich schon morgen anfangen könnte. Sie haben anscheinend einen Engpass im Büro. Ich konnte ja schlecht sagen, dass es leider nicht geht, weil meine besten Freunde lieber Party machen wollen. Außerdem möchte ich weder zu spät kommen, weil ich die ganze Nacht unterwegs war, noch müde sein, weil ich die ganze Nacht unterwegs war“, erkläre ich meinen Freunden.
„Na gut, Arbeit geht vor. Der Punkt geht an dich. Aber beim nächsten Mal bist du wieder dabei. Du wirst uns schließlich nicht ewig aus dem Weg gehen können“, bestimmt Lucas.
Er lässt keinen Zweifel daran, dass er ein Nein nicht akzeptieren will und das auch nicht wird. Doch das habe ich auch nicht vor. Denn wie sie schon festgestellt haben: Wir wohnen von jetzt an in New York!
„Am Wochenende. Diesen Abend überlasse ich die süßen Kerle euch.“
„Super, dann wollen wir mal anfangen.“
Da die Wohnung bereits möbliert ist und wir nur die wichtigsten Sachen mitgenommen haben, dauert es nicht lange, bis wir alles hochgetragen haben. Bereits eine Stunde später verabschieden beide sich und lassen mich alleine in der Wohnung zurück, nachdem sie sich umgezogen haben.
Seufzend stehe ich in der offenen Küche und sehe mich in alle Richtungen um. Ich bin von Kartons umgeben. Da wir beschlossen haben, dass wir diesen Raum gemeinsam einrichten werden, schließlich müssen wir uns alle hier wohlfühlen, gehe ich in mein Schlafzimmer und beginne dort mit der Arbeit.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mir diesen Abend nicht anders vorgestellt habe. Die Kartons laufen mir ja schließlich nicht weg. Allerdings habe ich auch gedacht, dass ich noch ein paar Tage Zeit habe, bevor ich mit meinem Job beginne. Da wurde mir jedoch ein Strich durch die Rechnung gemacht.
Doch mein Job geht vor, wie Avery es so schön gesagt hat. Er finanziert mir schließlich mein Leben hier.
Als ich am nächsten Morgen das Haus verlasse, scheint die Sonne. Es verspricht ein wunderschöner Tag zu werden. Doch das ändert nichts an meiner Nervosität.
Ich war noch nie gerne die Neue. Dabei ist es egal, ob ich auf eine neue Schule gekommen bin oder auf dem College neue Leute kennengelernt habe. Ich weiß, dass mir dieses Verhalten die Suche nach meinen leiblichen Eltern nicht einfacher macht. Doch gerade steht auch mein erster Arbeitstag im Vordergrund. Und den muss ich dringend ohne irgendwelche Katastrophen hinter mich bringen, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen.
Das Büro befindet in einem mehrstöckigen Haus. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gebäuden, die sich in dieser Stadt befinden, ist es eher klein, falls man es so bezeichnen kann. Ich finde, dass keines hier wirklich klein ist.
Lange habe ich mit mir gehadert, ob ich diesen Job annehmen soll. Die Verantwortung, die damit zusammenhängt, ist enorm. Doch ich weiß, dass es eine der besten Agenturen der Stadt ist. Es war großes Glück, dass ich dort als Berufseinsteigerin, einen Job bekommen habe.
Als ich die große Glastür erreiche, die in das Innere führt, bleibe ich einen Moment davor stehen und atme tief durch. So versuche ich die Nervosität in den Griff zu bekommen. Doch das gelingt mir nicht so gut, wie ich es mir wünsche. Deswegen öffne ich die Tür und gehe hinein. Wahrscheinlich wird es nämlich auch nicht besser werden, wenn ich noch länger hier stehe.
Obwohl es erst acht Uhr ist, herrscht bereits geschäftliches Treiben. Die Leute rennen von einem Raum in einen anderen und kommen bereits nach wenigen Sekunden wieder heraus.
Es dauert nicht lange, bis ich eine Ahnung davon bekommen habe, wieso ich heute schon anfangen sollte. Sie scheinen wirklich überlastet zu sein.
„Ms. Smith“, werde ich von einer älteren Frau begrüßt.
Mit einem breiten Strahlen auf dem Gesicht kommt sie zu mir. Auf den ersten Blick erinnert sie mich mit ihrer herzlichen Art ein wenig an meine Großmutter.
„Hallo“, erwidere ich freundlich.
„Ich bin Susan“, stellt sie sich mir vor. „Lasse dich von dem Chaos nicht aus der Ruhe bringen. Bei den meisten bin ich mir sicher, dass sie nur so tun, als hätten sie eine Menge zu tun, damit sie nicht soviel machen müssen und pünktlich Feierabend haben.“
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