„Ich weiß es nicht.“
„Du machst mir Angst.“ Ihre Stimme klingt argwöhnisch. Doch an ihrer Stelle würde es mir nicht anders gehen.
„Mason ist die nächsten Wochen in der Stadt“, rücke ich also mit der Sprache heraus. Die Worte platzen nur so aus mir heraus, als ich sie nicht mehr für mich behalten kann.
„Mason?“, hakt Lana mit viel zu hoher Stimme nach. „Du meinst deinen Bruder Mason?“
Ich weiß, dass ihr das überhaupt nicht passt. An ihrer Stelle würde es mir aber nichts anders gehen. Bei allem, was zwischen ihnen vorgefallen ist, ist es für mich nachvollziehbar, dass sie nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen ist.
„Ich kenne nur ihn.“ Ich tue so, als würde mich ihre Reaktion kaltlassen. Die Wahrheit sieht aber anders aus.
Es ist schon ein paar Jahre her, drei um genau zu sein, aber die beiden sind damals mehrmals im Bett gelandet. Zu ihrer Verteidigung muss ich aber vorbringen, dass sie jedes Mal nicht gerade nüchtern waren. Aber wie es bei meinem Bruder üblich ist, ist die Sache nicht gut ausgegangen, als er die Stadt für sein Studium verlassen hat. Die beiden haben sich gestritten, da sie wohl verschiedene Vorstellungen von ihrer gemeinsamen Zukunft hatten. Das soll in etwa heißen, dass mein Bruder gar keine hatte und zugegeben hat, dass er Lana nur ausgenutzt hat.
In gewisser Weise war ich schon froh, dass er es überhaupt zugegeben hatte, und nicht einfach verschwunden war, wie er es sonst gemacht hat.
Sobald ich davon erfahren habe, habe ich den beiden ins Gewissen geredet und ihnen gesagt, dass sie es lassen sollen. Außerdem habe ich Mason daran erinnert, dass sie meine beste Freundin ist und sie, dass das nicht gut ausgehen kann. Beide haben nicht auf mich gehört.
Da ich seine Schwester und ihre Freundin bin, stand ich in der Mitte und habe es so geschafft, es wenigstens zu verhindern, dass sie ihm an den Hals gesprungen ist. Trotzdem war ich wütend auf beide und habe auch eine zeit lang nicht mehr mit ihnen gesprochen.
Ich fahre schweigend über die Straße. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich weiß nicht mehr, ob es nicht schon Minuten sind. Eigentlich gehört meine Freundin nicht unbedingt zu den Menschen, die den Mund halten können. Umso mehr mache ich mir jetzt Sorgen um sie.
„Ist alles in Ordnung?“, erkundige ich mich, als ich hinter einem anderen Fahrzeug warten muss.
„Mir geht es bestens.“ Kaum hat sie ausgesprochen dringt ihr noch ein leises Seufzen über die Lippen, was mir zeigt, dass nicht alles in Ordnung ist. Zumindest nicht so, wie sie es gerne hätte.
„Du konntest schon besser lügen. Jetzt sag es mir“, fordere ich sie auf. Ich lasse nicht den geringsten Zweifel daran, dass ich es auch wirklich so meine.
Ich will wissen, was in ihrem Kopf vor sich geht. Denn wenn es etwas mit meinem Bruder zu tun hat, will ich lieber darauf vorbereitet sein.
„Ich muss zugeben, dass ich selber Schuld daran bin, was passiert ist. Ich wusste, worauf ich mich bei Mason einlasse, beziehungsweise ich hätte es wissen müssen. Schließlich habe ich es davor oft genug miterlebt. Und wenn ich nach seinen letzten Besuchen gehe, weiß ich, dass er sich noch immer nicht geändert hat.“
Als ich an einer Kreuzung stehen bleiben muss, drehe ich mich überrascht zu ihr. Für einen Moment kommt es mir so vor, als würde ich träumen. Ich habe damit gerechnet, dass sie laut schimpft und mich fragt, wieso ich es ihr nicht schon eher mitgeteilt habe. Doch das habe ich nicht erwartet.
„Also gehe ich richtig in der Annahme, dass ihr euch nicht streiten werdet, wenn ihr euch über den Weg läuft?“ Skeptisch ziehe ich die Stirn kraus.
Mit dieser Frage lehne ich mich vielleicht zu weit aus dem Fenster. Doch ich muss sie stellen. Alleine schon um zu wissen, auf was ich mich einstellen muss.
„Ich werde zumindest nicht damit anfangen. Sollte er einen blöden Kommentar von sich geben, kann ich für nichts garantieren. Du weißt, dass ich nicht still sein kann.“
„Das weiß ich“, sage ich noch, ehe ich mich wieder nach vorne schaue.
Ich nehme mir vor, dass ich die beiden nicht alleine lassen werde. Denn obwohl sie gesagt hat, dass sie sich nicht mehr mit ihm streiten will ich verhindern, dass sie es vielleicht doch machen. So schön die Vorstellung auch ist, dass es die nächsten Wochen ruhig zwischen den beiden ist, muss ich mich dennoch darauf vorbereiten, dass es eventuell nicht so ist.
„Aber du hattest recht. Mehr musstest du nicht erwähnen, damit ich doch den einen oder anderen Sekt trinke.“
„Es wird ein lustiger Abend werden.“
Noch bevor ich die Straßenecke erreicht habe, an der ich Lana herauslasse, hat sie den anderen bereits eine Nachricht geschrieben, die sofort begeistert sind.
„Wir treffen uns heute Abend bei dir“, verabschiedet sie sich ein paar Minuten später von mir und grinst von einem Ohr bis zum anderen. Ihre gute Laune ist zurückgekehrt, worüber ich froh bin.
Ein letztes Mal lache ich noch, ehe ich mich auf den Heimweg mache. Ein merkwürdiges Gefühl macht sich in mir breit. Es hat nichts mit meinem Bruder zu tun. Ich freue mich darauf, ihn zu treffen, nachdem wir in den letzten Monaten nur miteinander geschrieben haben. Es ist auch nicht der plötzliche Sinneswandel von Lana. Sondern eher ein Punkt, den ich ihr verheimlicht habe. Und das, obwohl ich nicht weiß, wieso ich es nicht erwähnt habe. Doch ich weiß selber nicht, wie ich mich deswegen verhalten soll.
Es ist nämlich so, dass er einen seiner Freunde im Schlepptau hat, der auch die nächsten Wochen bei uns verbringen wird. Ich kenne ihn nicht, weiß nicht seinen Namen. Allerdings bin ich den meisten Freunden meines Bruders schon über den Weg gelaufen. Aus diesem Grund kann ich mit Gewissheit behaupten, dass es nicht einen einzigen gibt, mit dem ich mich verstehe. Sie alle sind aufdringlich, laut und ich bezweifle sogar, dass sie überhaupt erzogen wurden. Alles in einem kann man feststellen, dass sie gerne die Regeln so auslegen, wie es ihnen gerne passt. Ich mache einen riesigen Bogen um sie, um meine Ruhe zu haben. Doch dieses Mal wird das nicht gehen.
Es sei denn, ich ziehe in der Zeit zu einer meiner Freundinnen .
Wobei sie bestimmt kein Problem damit hätte. Dennoch ist es eine bescheuerte Idee. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr und sehr wohl in der Lage, mich vernünftig mit ihm zu unterhalten. Ich klammere mich auch ein wenig daran, dass er nicht so ist, wie die anderen Jungs, mit denen Mason für gewöhnlich abhängt. Auch, wenn diese Chance doch eher sehr gering ist.
Als ich in unsere Einfahrt biege, entdecke ich als Erstes den großen schwarzen Geländewagen, der sich direkt vor mir befindet. Es ist nicht der meines Bruders und auch sonst kenne ich niemanden, der so einen fährt. Deswegen gehe ich davon aus, dass dieser hier seinem Kumpel gehört.
Nicht nur der Lack ist schwarz. Auch die Fenster sind so dunkel, dass man kaum einen Unterschied zwischen ihnen und der Karosserie erkennt. Da er rückwärts in der Einfahrt steht, erkenne ich, wie aggressiv er von vorne wirkt. Und ich habe das Gefühl, als würde das auch auf seinen Besitzer zutreffen. Es sorgt nicht unbedingt dafür, dass ich Lust habe, auszusteigen.
Diese Erkenntnis sorgt dafür, dass sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Beinahe verzweifelt versuche ich ihn wieder loszuwerden, als ich merke, dass ich kaum noch atmen kann. Doch es bringt nichts. Es kommt mir sogar eher so vor, als würde es noch schlimmer werden. Ich versuche mir vor Augen zu halten, dass mein Bruder bestimmt niemanden anschleppen würde, der sich überhaupt nicht benehmen kann. So genau kann ich das aber nicht sagen.
Um mich abzulenken, steige ich aus und schließe den Wagen hinter mir ab. Ich bin aber darauf bedacht, dass ich den anderen nicht mehr beachte und am besten auch nicht in seine Nähe komme.
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