Bis Ulf eines Tages, im Herbst vor viereinhalb Jahren, von einer Montage nach Hause kam und sie mit den Worten begrüßte:
„Du schnarchst, da ziehe ich mal besser aus dem Schlafzimmer aus!“
Sie war damals vollkommen perplex! Sprachlos beobachtete sie ihren
Noch-Ehemann bei seinem Auszug aus dem gemeinsamen Schlafzimmer, zwei Jahre nach ihrer Silberhochzeit.
„Da ahnte ich ja noch nicht, dass es richtig schlimm wird“, denkt Ivonne jetzt.

Sie hat auf einem kleinen Parkplatz angehalten.
Ihr schwirren so viele Gedanken gleichzeitig im Kopf herum. Es ist die wechselnde Erinnerung, an die Zeit, in der alles mit Friedhelm begann und wie es zu der endgültigen Trennung von Ulf kam. Gleichzeitig die Sorge um Friedhelm und die Fragen nach der Zukunft.
Wie geht es weiter mit ihr und Friedhelm, kann es überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft geben?
Dabei kommen ihr immer wieder die Tränen. Sie schaut auf den Zettel, den Werner Meyer ihr gegeben hat.
„Ich muss zu ihm, zu Friedhelm!“, denkt sie und weiter, „ich muss jetzt für ihn da sein! In guten, wie in schlechten Zeiten!“
Und ihr fällt ein, wie sehr er sich um sie gesorgt hatte, als sie in ihrem kleinen Laden überfallen wurde. Ganz anders als Ulf.
Sie hatte diesen kleinen Laden ein paar Dörfer weiter auf gemacht, nach dem sie das Landkaufhaus schließen musste, um Zeit zu gewinnen und in Ruhe überlegen konnte, was sie nun in Zukunft beruflich machen könnte.
Im Verkauf Arbeit zu finden, entpuppte sich als schwierig. Mal war sie zu alt, mal überqualifiziert.
Aber dann hatte sie eine Idee, die sich bis heute als genialer Schachzug bewährt hat.
Sie beschloss noch mal zur Schule zu gehen, um dann Menschen zu unterrichten, die als Erwachsene im Einzelhandel eine Ausbildung oder Weiterbildung machten. Also auf die schulische Seite der Ausbildung zu wechseln. Sie hoffte damals, dass ihre Erfahrungen als Ausbilderin, ihr sicher im Beruf helfen würden. Was auch genauso gekommen ist.
Aber all das interessierte Ulf damals nicht mehr. Er glaubte auch nicht, dass sie wirklich versuchte eine Alternative zu finden. Und trotzdem, irgendwie dachte Ivonne zu dem Zeitpunkt noch, die Ehe muss erhalten bleiben.
Selbst als sie Friedhelm kennen lernte war für beide klar, dass sie ihre gemeinsame Zeit genießen, aber nie mehr daraus werden würde.
Aber als der Überfall auf sie geschah, hatte Ulf es übertrieben.
Ein Junkie hatte sie damals am hellerlichten Tag, es war ein Donnerstag, mit einem Messer überfallen. Sie hatte richtig reagiert und alles getan, was er wollte. Ihm das Geld aus der Kasse gegeben und sich dann auf dem Bauch in ihrer kleinen Fotostudioecke gelegt. Als er den Laden verließ, hatte sie gleich die Polizei gerufen. Diese war binnen Minuten bei ihr.
Sie hatte den Überfall genau geschildert und Fragen beantwortet. Als die Polizei weg war, hat sie ihre Tochter Nadine angerufen, die auch sofort kam und Ulf anrief, der auf Montage war. Sie verabredeten, dass Ulf Ivonne zu hause anrufen würde gegen 19:00, wenn er im Hotel sei.
Ivonne konnte zu dem Zeitpunkt keine Entscheidung treffen. Sie war nicht in der Lage, den Laden zu schließen und so hat sie mit ihrer Tochter noch bis zum offiziellen Feierabend verkauft.
Zwischendurch hatte sie Friedhelm eine Mail geschickt, damit er nicht aus den Nachrichten hört, was geschehen war.
Er rief sofort an und fragte mit besorgter Stimme, wie es ihr gehe und dass er leider nicht sofort kommen könne, da er auf einer Werft in Ostfriesland war.
Aber er versprach am nächsten Tag nach der Arbeit auf der Werft zu kommen.
Alle Stunde schickte er dann eine sms. Da kannten sie sich gerade vier Wochen und hatten sich erst zweimal getroffen.
Dann fuhren Ivonne und Nadine gemeinsam nach hause, aßen ein wenig. Ivonne fühlte sich, als stünde sie neben sich. Als sie ihre Tochter verabschiedete, schaute Ivonne auf die Uhr, es war 19:30 Uhr. Sie wunderte sich kurz, dass Ulf noch nicht angerufen hatte. Ging dann aber mit dem Telefon und ihrem Handy in die Wanne. ,Vielleicht habe ich das mit der Uhrzeit ja auch falsch verstanden`, dachte sie.
Aus der Wanne kommend, ging sie ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und sah, es war nach 20:00 Uhr.
Dann bekam sie plötzlich eine sms nach der anderen von Freunden, die wissen wollten, ob sie das war, die überfallen wurde und ob es ihr gut gehe. In den Nachrichten wurde der Überfall gebracht.
Sie beantwortete die Nachrichten und rief dann ihre Tochter an, um zu fragen, welche Zeit denn ausgemacht war, wann Ulf anrufen wollte. Nadine bestätigte ihr, 19:00 Uhr und fand es auch komisch, dass Ulf noch nicht angerufen hatte.
Inzwischen war es fast 21:00 Uhr.
Sie schrieb ihm eine sms und fragte darin, wann er sie anrufen wolle. Er schrieb zurück, er sei noch unterwegs. Als er dann nach 23:00 Uhr anrief, ist sie nicht mehr ans Telefon gegangen. Auch weil sie insgeheim gehofft hatte, er sei unterwegs zu ihr. Aber an der Nummer, die im Telefon angezeigt wurde, erkannte sie, er war in seinem Hotel. Die Montage war Freitag zu ende. Ulf kam trotzdem erst am Sonnabend nach hause. Das war der Auslöser für Ivonne, diese Beziehung endgültig zu beenden.
„In guten, wie in schlechten Zeiten!“, stieß ihr heute wieder mit einem bitteren Nachgeschmack auf.
Durch die Erinnerungen an die Ereignisse des Überfalls und die Tage danach, wird Ivonne etwas ruhiger. Jedenfalls soweit, dass sie nun wieder weiter fahren kann.
Doch während der Fahrt denkt sie wieder an Friedhelm und dass sie unbedingt zu ihm muss. Sie ist fest davon überzeugt, dass es ihm gut tun würde, wenn sie zu ihm geht, ihn besucht. Vielleicht hilft es ja, wenn sie ihm von ihren gemeinsamen Abenteuern erzählt.
Da fällt ihr ein, dass Friedhelm so sehr gelacht hat, als sie ihm die Geschichte mit Ulf erzählte, als dieser damals am Wochenende plötzlich aufgetaucht war.
„Du bist ja cool!“, hatte er damals lachend gesagt.
Der von ihr getrennt lebende Ehemann
„Ich bin am Wochenende nicht zuhause.“, sagte er am Telefon. Das hatten sie abgemacht, dass sie sich wenigstens Bescheid sagen, wenn einer nicht da ist. Das war auch gut so, Ivonne wollte keinen Streit. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch die Hoffnung, dass die Trennung friedlich abläuft.
Sie machte sich einen gemütlichen Samstagabend chattete mit Freundinnen und sah fern.
Am nächsten Morgen gönnte sie sich ein Frühstück im Bett mit Märchenfilm. Sie schlief ja nun im Gästezimmer, in dem es einen Fernseher gab.
Sie fand Frühstück im Bett plus Trickfilm gucken ist cool.
Dann stand sie langsam auf, puzzelt ein bisschen in der Wohnung, fing an Kartoffeln zu schälen.
Plötzlich erschien ihr „von ihr getrennt lebender Ehemann“.
„Willst du auch was zum Mittag?“, fragte sie ihn automatisch und wunderte sich,
dass er so früh da war.
„Nein, will nur duschen und mich umziehen.“, antwortete Ulf in diesem unpersönlichen Tonfall, den er sich ihr gegenüber zulegt hatte.
Ivonne wollte gerade antworten, da fragte er plötzlich:
„Hast du bei meiner Bekannten angerufen, gerade eben?“
Ivonne schaute ihn ungläubig an und sagte:
„Wie sollte ich? Ich weiß ja nicht mal, dass du eine Bekannte hast.“
„Na hätt´ ja sein können, du hast ja vielleicht die letzten Nummern auf meinem Handy abgelesen.“, meinte er dann.
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