Mit nicht sehr freudigen Gefühlen traf meine Tante ihre Vorbereitungen für diese Mittagstafel. Sie und ihr Mann hatten eine kleine Wohnung gemietet, Schlafraum und Speisezimmer im ersten Stock, während die kleine Küche und das Arbeitszimmer des Mannes im Erdgeschoß lagen. Man mußte ihr recht geben, das war kein passender Schauplatz für ein Bischofsdiner. Das Essen war nicht schwer zu beschaffen, das meiste schickte ihr ihre Mutter aus Marbacka. Aber Porzellan, Glas und Silber hatte sie nicht genug für so viele Gäste, so mußte sie sich das Fehlende bei Freunden und Bekannten ausleihen.
Die schwerste Sorge war aber doch, daß sie nicht darum herum konnte, Kalle Frykstedt zu bitten.
Die Mittagstafel fand also statt. Der Bischof kam mit dem ganzen Domkapitel, die Prüfungskameraden fanden sich ein, und auch Magister Frykstedt blieb nicht aus. Und wunderbarerweise wurde diese Mittagsgesellschaft der allergrößte gesellschaftliche Erfolg, den meine Tante je erlebt hatte.
Ich dachte daran, welch einnehmende, unterhaltende Hausfrau meine Tante noch in ihren alten Tagen sein konnte. Zu jener Zeit, als sie noch Schönheit und jugendlichen Frohsinn besaß, mußte sie ja unwiderstehlich gewesen sein. Und ich fragte ganz still, ob es nicht ihr Verdienst gewesen sei, daß das Fest so vortrefflich gelungen war.
Aber das verneinte sie auf das Bestimmteste. Es war nicht ihr Verdienst, sondern das Magister Frykstedts.
Erstens einmal war er so schön gewesen, mit den tiefen, melancholischen Augen und dem reichen, welligen Haar. Es war etwas Hochgestimmtes und Strahlendes um ihn gewesen. Die Freude, die er darüber empfand, daß es ihm gelungen war, eine neue Lebensbahn einzuschlagen, hatte ihn mit schönem, ernstem Enthusiasmus erfüllt.
Nie hatte sich meine Tante gedacht, daß ein Mensch einer so starken Inspiration mächtig sein könnte. Er hielt eine Rede nach der anderen, und das waren keine gewöhnlichen Tischreden, sondern sie waren voll von den tiefsten Gedanken. Alles, was er bei dieser Mittagstafel vorbrachte, war so interessant, daß alle nur ihm lauschen wollten. Er wurde der Mittelpunkt aller Gespräche, und er entführte die Anwesenden in neue unbekannte Welten. Aber obgleich man von den edlen und kühnen Ideen, die er hinwarf, tief ergriffen war, fanden doch alle, daß er selbst das größte Wunder war. Man genoß das erhebende Schauspiel, den Genius in einer Menschenseele lodern und leuchten zu sehen.
Unter den Eingeladenen befanden sich viele hervorragende Persönlichkeiten. Bischof Agardh war selbst ein hoher Geist, der Hausherr, sowie mehrere der Gäste waren begabte, gelehrte Männer. Sie wurden von Kalle Frykstedt mitgerissen, sie erhoben sich alle über ihre grauen Alltagsgedanken und taten beredte, tiefsinnige Aussprüche. Aber keiner war doch wie er.
Solange Magister Frykstedt am Mittagstisch saß, berührte er kaum den Wein, und überhaupt wurde an dieser Tafel Speise und Trank nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aber die Eingeladenen blieben doch Stunde um Stunde bei Tische sitzen. Endlich erhob sich der Bischof und nahm Abschied, indem er den jungen Gastgebern für das angenehmste Festmahl dankte, das er noch in seiner Bischofstadt miterlebt hatte. Zugleich mit dem Bischof entfernten sich mehrere der älteren Herren, und auch die Hausfrau zog sich zurück.
Aber einige von den Gästen konnten sich nicht entschließen, zu Bette zu gehen. Sie trugen Flaschen und Gläser in das Arbeitszimmer im Erdgeschoß, und da setzten sie das Fest bis zum lichten Tage fort.
Magister Frykstedt hielt die ganze Zeit herrliche Reden, aber nun begann er auch zu trinken. Gegen Morgen stand er, an den Tisch gelehnt, auf dem die Trinkwaren standen, und redete. Ganz plötzlich schwankte er, fiel zu Boden und riß das Tischtuch und alles, was an Flaschen und Gläsern darauf stand im Fall mit.
Als meine Tante am nächsten Morgen erwachte, hatte sie noch kaum recht an den gestrigen Tag zurückdenken und sich daran freuen können, daß alles so gut gegangen war, als sie auch schon erfuhr, daß eine Anzahl Gläser und Karaffen zerschlagen waren. Man kann sich ihre Bestürzung und Kränkung denken. Es wäre schon unangenehm gewesen, wenn das Zerstörte ihr gehört hätte, aber nun war ja fast alles geborgt. Unter dem Zerschlagenen befanden sich kostbare alte Erbstücke, die zu ersetzen nicht im Bereich der Möglichkeit lag. Meine Tante weinte, wenn sie an all die Ausgaben dachte, denen sie sich unterziehen mußten, um den Schaden gutzumachen, all die Entschuldigungen, die sie vorbringen mußte, und all den Ärger den sie ihren Freunden bereitete, weil sie ihr Eigentum nicht besser in acht genommen.
Im Laufe des Vormittags kam Magister Frykstedt zu Besuch. Meine Tante wischte sich die Tränen aus den Augen und empfing ihn ganz wie immer. Er war jetzt nüchtern und ruhig, dankte für den angenehmen Abend und blieb dann noch ein Weilchen sitzen und plauderte über alltägliche Dinge. Aber es war eine gewisse Unruhe über ihm. Er sah meine Tante forschend an. Er schien auf irgendeinen Ausbruch des Zorns oder der Bitterkeit zu warten. Endlich machte er einen Versuch, sich zu entschuldigen.
»Ich entsinne mich nicht recht...« sagte er und strich sich mit der Hand über die Stirn. »Es schwebt mir etwas dunkel vor ... ich werde mich doch hoffentlich gestern nicht schlecht benommen haben?«
»Nein,« sagte meine Tante, und ich kann mir vorstellen, wie sie ihn dabei mit ihrem bezauberndsten Lächeln ansah, »Sie haben sich gewiß nicht schlecht benommen, Magister Frykstedt. Sie waren derjenige, der uns alle unterhalten – ja, das ist viel zu wenig gesagt – uns alle hingerissen hat.«
Er sah sie staunend an. Ihre Antwort hatte ihn nicht ganz beruhigt. »Ich möchte um Entschuldigung bitten, wenn vielleicht doch irgend etwas ...«
»Sie haben sich durchaus nicht zu entschuldigen, Herr Magister,« sagte meine Tante mit entschiedener Stimme.
Ich begriff so gut, warum sie so geantwortet hatte. Der Mann, der vor ihr stand, hatte ihr Verdruß und große Kosten verursacht, aber sie hatte ihn als einen hochfliegenden Genius kennen gelernt, und sie konnte es nicht über sich bringen, zu gestehen, daß sie um seine Erniedrigung wußte.
»Ach, was bin ich froh,« hatte der Arme da gerufen. »Ach, was bin ich froh!« Er hatte die Hand meiner Tante geküßt wie ein Bettler, der ein Gnadengeschenk bekommen hat. Dann hatte er sich emporgerichtet und war strahlend und geistsprühend gewesen wie am vorhergehenden Tage.
Auch ich küßte meiner Tante die Hand, und es wurde mir schwer, die Tränen zurückzudrängen. Sie hatte immer etwas an sich, das zugleich bezaubernd und rührend war. Es ruhte Poesie über ihrem ganzen Wesen. Die Poesie der Menschen der alten Zeit.
Ich verstand wohl, was sie mich hatte lehren wollen, aber während ich mir der Lektion bewußt war, stieg ein großer Jubel in mir auf.
»Frauen vergangener Zeiten und Männer vergangener Zeiten,« dachte ich, »ihr mögt es selbst leugnen, ihr wart doch so, wie ich euch vor mir gesehen, in einem langen Traum.«
Das Heinzelmännchen von Töreby
Ich weiß noch, wie ich einmal als Kind an einem alten Hof vorüberfuhr, von dem man wußte, daß es da ein Heinzelmännchen gab. Dieser Hof lag sehr einsam und unschön an einem flachen Seeufer. Es war kein Garten um das hohe, weiße Wohnhaus, nur ein paar verkrümmte Bäume standen da. Es war der reizloseste Ort, den ich je gesehen. Aber es schien ein reicher Hof zu sein. Die Wirtschaftsgebäude waren wohlgebaut und von großem Zuschnitt, und auf den Feldern stand die Saat so üppig, daß ich mich noch heute dessen entsinne.
Das merkwürdigste war, die Ordnung zu sehen, die überall herrschte. Ich erinnere mich, daß wir ganz langsam vorbeifuhren, um zu sehen, wie gut die Gräben gezogen waren, wie schnurgerade die Wege liefen und wie fest die Brücken gebaut waren. Wir betrachteten die niedlichen, bemalten Boote, die sich am Strande schaukelten, und eine unermeßlich lange Waschbrücke, die gerade hinaus in den See lief. »Wahrscheinlich will das Heinzelmännchen, daß sie ihre Wäsche in richtig tiefem Wasser spülen, nicht in dem seichten Strandwasser,« sagten wir.
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