Selma Lagerlöf - Die Löwenskölds

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Selma Lagerlöf kehrt mit ihren Löwensköld-Romanen örtlich und zeitlich in die Welt ihres so erfolgreichen Debütromans «Gösta Berling» zurück: Värmland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie verknüpft darin eine grandiose Gespenstergeschichte mit lebendiger Charakterschilderung und vielen Themen, die zeitlebens für sie Bedeutung hatten: Pazifismus, Schuld und Vergeltung sowie die Frage nach dem Jenseits, einem Leben nach dem Leben. «Die Löwensköld»-Trilogie gilt das reifste Werk der Nobelpreisträgerin. In ihr vereint sich die mythische Sage eines Fluchs, der an den Ring des Generals Löwensköld geknüpft ist, mit den Lebensgeschichten von Charlotte Löwensköld und Anna Svärd, den vielleicht bewundernswertesten und modernsten Frauengestalten Selma Lagerlöfs.

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Selma Lagerlöf

Die Löwenskölds

картинка 1

Aus dem Schwedischen von Marie Franzos und

Pauline Klaiber-Gottschau

Mit einem Nachwort von Holger Wolandt

Urachhaus

Inhalt

Der Ring des Generals

Erstes Kapitel

Wohl weiß ich, dass es schon in früheren Zeiten viele Leute gegeben hat, die nicht wussten, was Gruseln heißt. Auch habe ich von einer ganzen Menge Leute gehört, denen es Spaß machte, über hauchdünnes Eis zu wandern, und die kein größeres Vergnügen kannten, als durchgängerische Pferde zu lenken. Ja, es hat sogar den oder jenen gegeben, der nicht davor zurückschreckte, mit dem Fahnenjunker Ahlegård Karten zu spielen, obgleich man wohl wusste, welche merkwürdigen Kunststücke er mit den Karten machte, sodass er immer gewinnen musste. Ich kenne überdies einige unerschrockene Gesellen, die sich nicht davor fürchteten, am Freitag eine Reise anzutreten oder sich an einen Mittagstisch zu setzen, der für dreizehn Personen gedeckt war. Aber ich wüsste doch gern, ob einer von diesen allen den Mut gehabt hätte, sich den schrecklichen Ring an den Finger zu stecken, der dem alten General Löwensköld auf Hedeby gehört hatte.

Es war derselbe alte General, der den Löwenskölds Haus und Hof, Namen und Adel verschafft hatte; und solange noch irgendeins von ihnen auf Hedeby wohnte, hing sein Bildnis in dem großen Salon des oberen Stockwerks am Pfeiler zwischen den Fenstern. Es war ein großes Gemälde, das vom Fußboden bis zur Decke reichte, und beim ersten Blick darauf meinte man, es sei Karl XII. in höchsteigener Person, der da im blauen Rock, große Sämischlederhandschuhe an den Händen, die Beine in den ungeheuren Stulpstiefeln fest auf den schachbrettartigen Boden gestellt, vor einem stand. Wenn man aber näher trat, da sah man allerdings, dass es ein Mann von ganz anderem Schlag war.

Ein großes, grobes Bauerngesicht stand über dem Rockkragen. Der Mann auf dem Gemälde schien dazu geboren zu sein, sein Leben lang hinter dem Pflug herzugehn. Bei all seiner Hässlichkeit sah er aber doch wie ein kluger, zuverlässiger, prächtiger Mensch aus. Wenn er in unserer Zeit das Licht der Welt erblickt hätte, wäre er mindestens Schöffe oder Bürgermeister geworden, ja, wer weiß, ob er nicht gar in den Reichstag gewählt worden wäre. Da er aber in den Tagen des großen Heldenkönigs gelebt hatte, so war er als armer Soldat in den Krieg gezogen, als der berühmte General Löwensköld zurückgekehrt und hatte von der Krone zum Lohn für seine Heldentaten das Rittergut Hedeby in dem Kirchspiel Bro bekommen.

Immerhin, je länger man das Bild betrachtete, desto mehr versöhnte man sich mit seinem Aussehn. Man meinte dann zu verstehen, dass die Krieger, die unter König Karls Befehl gestanden und ihm eine Furche durch Polen und Russland gepflügt hatten, so gewesen sein mussten. Nicht nur Abenteurer und Hofkavaliere hatten sich ihm angeschlossen, sondern gerade auch solche einfachen ernsten Männer, wie dieser hier auf dem Gemälde, hatten ihn geliebt und in ihm einen König gesehen, für den es wohl wert war, zu leben und zu sterben.

Wenn man das Konterfei des alten Generals betrachtete, war stets einer von den Löwenskölds bei der Hand, einen darauf aufmerksam zu machen, dass es durchaus kein Zeichen der Eitelkeit von dem General gewesen sei, wenn er den Handschuh von der linken Hand so weit abgestreift hatte, dass der große Siegelring, den er am Zeigefinger trug, auf dem Bilde zu sehen war. Diesen Ring hatte er vom König erhalten – für ihn gab es nur einen König –, und der Ring war mit auf das Gemälde gekommen, um zu zeigen, dass Bengt Löwensköld seinem Herrn treu war. Er hatte ja viele bittre Schmähreden über den Herrscher hören müssen; man hatte sich sogar erfrecht zu behaupten, der König habe durch Unverstand und Übermut das Reich bis an den Rand des Untergangs gebracht; der General aber hielt jedenfalls unbedingt an ihm fest. Denn König Karl war ein Mann, wie die Welt noch nie einen gesehen hatte. Und wer je in seiner Nähe hatte leben dürfen, dem war vollkommen klar geworden, dass es schönere und höhere Dinge gibt, für die man kämpfen kann, als Ehre und Erfolg in dieser Welt.

Genauso, wie Bengt Löwensköld den Königsring auf dem Bild hatte haben wollen, hatte er auch im Grabe noch bei ihm sein sollen. Aber auch dabei war keine Eitelkeit im Spiel gewesen. Es war nicht seine Absicht, damit zu prahlen, dass er den Ring eines großen Königs am Finger trug, wenn er vor Gott den Vater und die Erzengel hinträte; aber er hoffte vielleicht auf etwas andres: Wenn er da in den Saal einginge, wo Karl XII. mit allen seinen »Haudegen« um sich her versammelt war, würde der Ring ein Erkennungszeichen sein, und er dürfte auch nach seinem Tode in der Nähe des Mannes weilen, dem er sein Leben lang gedient und den er so hoch verehrt hatte.

Als der Sarg des Generals in die gemauerte Grabkammer gestellt wurde, die er sich auf dem Broer Kirchhof hatte herrichten lassen, steckte der Königsring noch an dem Zeigefinger seiner linken Hand. Unter den Anwesenden waren freilich viele, die es bedauerten, dass ein solches Kleinod einem toten Mann ins Grab folgen sollte; denn der Ring des Generals war fast so bekannt und berühmt wie der General selbst. Man erzählte, der Ring umfasse so viel Gold, dass es zum Ankauf eines Hofgutes reichen würde, und der rote Karneol, in den der Namenszug des Königs eingraviert war, sei auch nicht weniger wert. Man rechnete es den Söhnen hoch an, dass sie sich dem Wunsche des Vaters nicht widersetzt, sondern ihn das kostbare Stück hatten behalten lassen.

Wenn nun der Ring des Generals in Wirklichkeit so aussah, wie er auf dem Gemälde dargestellt war, dann war er ein hässliches, plumpes Ding, das heutzutage kaum irgendjemand am Finger tragen möchte; aber es ist sicher nicht daran zu zweifeln, dass er vor zweihundert Jahren ungeheuer hochgeschätzt wurde. Seht, man muss daran denken, wie es damals war: Mit nur ganz wenig Ausnahmen hatten alle Schmucksachen und alle Gefäße aus edlem Metall der Krone abgeliefert werden müssen; man hatte gegen Goertzens Taler und den Staatsbankrott zu kämpfen gehabt, und für sehr viele Menschen war Gold etwas gewesen, von dem sie reden hörten, das sie selbst aber niemals gesehen hatten. Und so kam es, dass die Leute den goldenen Ring nicht vergessen konnten, der zu niemandes Nutz und Frommen unter einen Sargdeckel gelegt worden war. Man hielt es fast für ein Unrecht, dass er dort lag. Der Ring hätte ja in fremden Ländern für teures Geld verkauft werden können und hätte dann vielen, die nichts zu brechen und zu beißen hatten als Häcksel und Baumrinde, ihr tägliches Brot geschafft.

Obgleich nun freilich viele gewünscht haben mochten, das kostbare Kleinod zu besitzen, war doch niemand darunter gewesen, der im Ernst daran gedacht hätte, es sich anzueignen. Der Ring lag in dem zugeschraubten Sarg in einem wieder vermauerten Grabkeller unter schweren Steinplatten, unerreichbar selbst für den kecksten Dieb, und man meinte, so müsse es bleiben bis an das Ende aller Tage.

Zweites Kapitel

Im Monat März des Jahres 1741 war der Generalmajor Bengt Löwensköld im Herrn entschlafen, und einige Monate später starb an der roten Ruhr ein kleines Töchterchen des Rittmeisters Göran Löwensköld, der als ältester Sohn des Generals nun auf Hedeby seinen Sitz hatte. An einem Sonntag gleich nach dem Gottesdienst wurde das Kind begraben, und alle Kirchenbesucher begleiteten den Leichenzug zu dem Löwensköldschen Grabe, wo die zwei gewaltigen Grabplatten schräg hochgestellt waren, und die Wölbung darunter war von einem Maurer aufgerissen worden, damit man den Sarg des kleinen Kindes neben den des Großvaters stellen könnte.

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