Barbara E. Euler
Raphaels Rückkehr
Krimi
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Inhaltsverzeichnis
Titel Barbara E. Euler Raphaels Rückkehr Krimi Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Nachtrag
Impressum neobooks
RAPHAELS RÜCKKEHR
Barbara E. Euler
For Wolf, always
Drei Jahre war er jetzt fort gewesen und der Kaffeeautomat war immer noch defekt.
Früher hatte er dagegengetreten.
Jetzt legte er den Kopf zurück und beobachtete, wie Anna auf den Rückgabeknopf einschlug, der sich in unerreichbaren Höhen befand, direkt neben dem Schlitz, der seinen Euro verschluckt hatte, auch er unerreichbar hoch.
„Lass gut sein“, sagte er gegen ihren Bauchnabel. Oder die Stelle, wo er ihren Bauchnabel vermutete. Er wendete seinen Rollstuhl und fuhr hinter Anna her ins Büro zurück. Dieses gläserne Büro, in dem er schutzlos war.
Drei Jahre. Das erste Jahr war ein wattiges Kontinuum aus Schwindel und Erbrechen und Schmerz gewesen, an das er wenig Erinnerung hatte.
Einige Male hatten ihn Kollegen besucht. Er wusste das nicht und das war gut so. Er hätte nicht gewollt, dass sie ihn so sahen.
Das zweite Jahr hatte er mit dem Versuch verbracht, die wattige Welt festzuhalten, in der es keine Erinnerung gab und kein Begreifen. Und damit, zu lernen, wie man weiterlebt, wenn das nicht mehr gelingt. Da besuchte ihn schon lang keiner mehr. Er war mit niemandem sehr vertraut gewesen.
Im dritten Jahr hatten sie ihn rausgeschubst ins Leben, genauer gesagt in eine betreute Wohnung. Die Betreuerin hieß Grit. Sie versorgte auch andere Patienten, aber er war der einzige mit Kategorie 4 und sie wohnte bei ihm. Vor drei Wochen hatte er sie rausgeschmissen. Sie konnte ihm nichts mehr bieten. In Wirklichkeit glaubte er, ihr nichts bieten zu können. Aber um sich das einzugestehen, würde er ein weiteres Jahr brauchen. Oder mehr.
„Grit … Anna …“, er räusperte sich. Die Inspektorin drehte sich zu ihm herum, die Brauen erhoben. Was musste sie jetzt verdammt nochmal so schauen. Raphael kniff die Augen zusammen. „Warum verdammt …“, sagte er und unterbrach sich. „Nichts“, murmelte er. Er sah Gespenster. Er war zu lange fort gewesen. „Die Akte über den Brand, haben wir die noch?“, fragte er, während er an seinen Schreibtisch zurückrollte. „Klar“, sagte sie, „die muss im Archiv sein …“, sie ging zur Tür zurück, „… warte!“ Er riss die Räder herum und verstellte ihr den Weg. „Es ist mein Fall“, sagte er hart und schoss den Gang hinunter, in kurzen, zornigen Schüben.
„Shit“, sagte Anna. „Ja. Shit“, wiederholte Piet, der Chef ihrer Abteilung war und auch mit im Zimmer saß. „Das geht jetzt schon eine Woche so …“, klagte die Polizistin, „Schick ihn heim.“ Sie wussten beide, dass das nicht ging. Raphael war in der Wiedereingliederungsphase. Für ein halbes Jahr. Man konnte ihm nicht kündigen. Man würde ihm nie mehr kündigen können. Er war schwerbehindert. Und jetzt hatte er auch noch einen eigenen Fall. Der Quotenkrüppel. Einmal war das Wort gefallen, als Raphael auf dem Klo war oder eine rauchen. Es war keiner aus ihrer Abteilung gewesen. Es war von ganz oben gekommen. Widersprochen hatte niemand. Natürlich nicht. Ihnen konnte man kündigen. Ihnen schon.
Im Lift starrte jemand auf die provozierende Leere unter Raphaels Rumpf. Raphael starrte zurück. Er konnte es nicht verbergen, verdammt. Man konnte nicht nichts verbergen.
„ Die … Tattoos …“, hatte er gelallt, als der Arzt seinen Bericht beendet hatte. Die farbenprächtige Landschaft aus Totenköpfen und Schwertern und Rosen und mehr Totenköpfen, die von seinen Zehen bis fast in die Leiste wucherte, hatte ihn Tausend Euro und zwölf schmerzhafte Sitzungen gekostet und für ein paar selige Stunden war das das einzige gewesen, woran er denken konnte. Mitten in der Nacht hatte er dann zu schreien begonnen; die einzig angemessene Reaktion. Aber keine, die er beliebig wiederholen konnte. Leider. So war er in den Nebel zurückgeflohen, für sehr lange Zeit.
„Die Akte Brabantia, bitte“, sagte er jetzt und ignorierte den Schrecken, den sein Anrollen in den Augen der Archivarin entfacht hatte. Er war ein verdammtes Monster. Er hätte niemals herkommen sollen. Sicher nicht in den Keller. „Danke“, sagte er sanft, als die Frau zurückkam. Er steckte die vergilbte Akte in die Tasche hinter sich und wandte sich zum Ausgang.
„Es hat neulich schon mal jemand nach dieser Akte gefragt“, sagte die Frau auf einmal nachdenklich. Raphael drehte sich zu ihr herum. „Tatsächlich …?“, sagte er gedehnt. Er war immer gut darin gewesen, eine Befragung wie beiläufiges Geplauder aussehen zu lassen. Mal sehen, ob er es noch beherrschte. Er verzog sich hinter einen massiven Schreibtisch, in sicherem Abstand zu der Frau. „Das kommt nicht oft vor, was?“, fragte er und begann mit dem Stempelkarussell zu spielen, das vor ihm stand. Drei Minuten später hatte er den Namen. Aber erst als er eine Tasse Kaffee mit ihr getrunken hatte, ließ die Archivarin ihn wieder fort. Jetzt wusste er schon ein bisschen mehr. Zum Beispiel, dass sie guten Kaffee machten hier unten, heiß und stark. Nicht diese Plörre, die aus dem Automaten kam – wenn sie kam. „Bis bald“, sagte er und brachte die Akte in sein Büro.
Die meiste Zeit schmökerte Raphael in alten Geschichten und fiel niemandem lästig. Die Brabantia war von der Stadt als Asylbewerberheim eingerichtet worden. Ein ausrangierter Lastkahn, wie ihn jetzt so viele bewohnten. Shabby chic. Eines Tages hatte es einen Brand gegeben. Vermutlich gelegt. Damals hatte sowas noch für Aufsehen gesorgt. Raphael erinnerte sich genau an die Entrüstung und das Entsetzen. Dass der Fall niemals aufgeklärt worden war, erfuhr er erst jetzt. Denn ungefähr eine Woche nach dem Brand war die Sache mit dem Lkw passiert.
Zu fünft hatten sie versucht, den Lkw zu stoppen, aber Raphael war es gewesen, dem es schließlich gelang. Als sie ihn fanden, lag er unter seiner Harley. Die Harley lag unter dem umgekippten Zwanzigtonner. Selbst der Notarzt hielt Raphael für tot. Den Flüchtlingen in dem verschweißten Container war nicht viel passiert. Ein paar Knochenbrüche. Ein paar Platzwunden. Ein, zwei Stunden später, und sie wären alle erstickt. Als Raphael schließlich über den Unfall zu recherchieren begann, meldeten die Verlagsseiten die Zeitungsberichte unisono als veraltet und nicht mehr abrufbar. Sie hatten alles gelöscht. Da hatte er geweint, das erste Mal in der ganzen Zeit.
„Raphael?“ Anna stand vor ihm. „Alles okay?“
„Alles okay, Anna“, bestätigte er kühl.
Quotenkrüppel, hatte Dovenhof gesagt, als Raphael in der Besprechungspause vom Klo kam und ein bisschen zu leise und zu flott hereingerollt war. Dovenhof musste es ja wissen. Als Polizist war der Mann eine Niete. Aber er hatte mehr Dreck am Stecken, als an einen Stecken passte, hatte Fanny, die Kellerfrau, gesagt und ihm bei einem Tässchen Kaffee die ein oder andere Akte aus ihrem Giftschrank gezeigt. Dovenhof hatte sich nicht geändert, nicht in all den Jahren. Im Gegenteil. Wenn man ihn jetzt schasste, würde er eine Menge Leute mit in den Abgrund ziehen. Raphael grinste.
Ihn nicht.
Zu seiner Zeit war Dovenhof nur ein dreckiger kleiner Bulle gewesen, den er, wo er konnte, mied. Als Dovenhofs kometenhafter Aufstieg begann, hatte Raphael bereits ausgecheckt. Außerdem war er in der Wiedereingliederungsphase. Plötzlich fühlte er sich unverwundbar. Und das war eine durchaus denkwürdige Erfahrung.
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