Verstehen, Verabschieden,
Verarbeiten
Ein einfühlsamer Ratgeber zum Umgang mit einer Fehlgeburt für Eltern und Umfeld
von
Sophie Mayr
1. Edition, 2021
© 2021 All rights reserved.
Sophie Mayr
Meringer Straße 25a
86947 Weil
mit sechs farbigen Illustrationen
von T.K. Diem Nguyen
und einem Gedicht
von Fabian Herzog
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1 Begriffserklärung
Kapitel 1.1 Was ist eine Fehlgeburt?
Kapitel 1.2 Was ist eine Totgeburt?
Kapitel 2 Die Fehlgeburt (Abort)
Kapitel 2.3 Was sind mögliche Ursachen für eine Fehlgeburt?
Kapitel 2.4 Wie kündigt sich eine Fehlgeburt an?
Kapitel 2.5 Die Blutung bei einer Fehlgeburt
Kapitel 2.6 Was passiert bei einer Ausschabung?
Kapitel 2.7 Symptome nach einer Fehlgeburt
Kapitel 3 Totgeburt oder „Stille Geburt“
Kapitel 3.2 Wie wahrscheinlich ist eine Totgeburt?
Kapitel 3.3 Wie läuft eine stille Geburt ab?
Kapitel 3.4 Wie können sich Eltern von ihrem Sternenkind verabschieden?
Kapitel 3.5 Erinnerungen an das Sternenkind schaffen
Kapitel 3.6 Wie lange dauert der Mutterschutz nach einer Totgeburt?
Kapitel 3.7 Symptome nach einer Totgeburt
Kapitel 4 Bestattung von Sternenkindern
Kapitel 4.1 Gesetzliche Regelungen
Kapitel 4.2 Beisetzung durch die Klinik
Kapitel 4.3 Individuelle Beisetzung
Kapitel 4.4 Ein Sternennest/Grab gestalten
Kapitel 4.5 Urkunden und Bescheinigungen vom Standesamt
Kapitel 5 Rituale, um Abschied zu nehmen
Kapitel 5.1 Dem Kind einen Namen geben
Kapitel 5.2 Eine Geburts- oder Todeskarte gestalten
Kapitel 5.3 Eine Kerze basteln
Kapitel 5.4 Ein Erinnerungskästchen gestalten
Kapitel 5.5 Einen Abschiedsbrief schreiben
Kapitel 5.6 Mizuko kuyo – ein japanisches Ritual für Sternenkinder
Kapitel 5.7 Ein Tattoo stechen lassen
Kapitel 5.8 Einen Ort zum Trauern schaffen
Kapitel 5.9 Einen Baum pflanzen
Kapitel 5.10 Plazenta vergraben und einen Baum pflanzen
Kapitel 6 Kindern das Sternenkind erklären
Kapitel 6.1 Ab welchem Alter können Kinder Trauer verstehen?
Kapitel 6.2 So zeigen Kinder ihre Trauer
Kapitel 6.3 So unterstützen Sie Ihr Kind in seiner Trauer
Kapitel 7 Wieder schwanger werden nach einer Fehl- oder Totgeburt
Kapitel 7.1 Wie hoch ist das Risiko einer erneuten Fehlgeburt?
Kapitel 7.2 Eine neue Schwangerschaft positiv erleben
Kapitel 8 Für Männer: Meine Partnerin hat eine Fehlgeburt – was nun?
Kapitel 9 Wenn Eltern im Freundeskreis betroffen sind
Kapitel 9.1 Zeigen Sie echte Anteilnahme.
Kapitel 9.2 Organisieren Sie die Hilfe, die gebraucht wird.
Kapitel 9.3 Für die Freunde da sein – aber wirklich!
Kapitel 9.4 Konkrete Hilfe anbieten.
Kapitel 9.5 Der Trauer Zeit lassen.
Kapitel 9.6 Beweise Feingefühl.
Kapitel 10 Selbsthilfegruppen
Nachwort
Mein Sternenkind
gesteh mir ein,
es ist in Ordnung
trauernd zu sein.
Und jeder Gedanke
welcher dir war vermocht,
ehe ich mich verkannte
dein kleines Herz pocht.
Es schlägt mit Mut und Lebenslust
bei der leuchtend Sternenwacht.
Ich kann es hören in meiner Brust
und schaue hinauf bei klarer Nacht.
Du wartest dort oben
beobachtest uns
in den gold-weißen Roben
der Nachthimmelskunst.
Darum will ich ein Lachen dir schenken
an jedem Tag,
weil nach vorne zu denken
dich zu beschützen vermag
Von Fabian Herzog
Vorwort
Vom eigenen Kind vor der Geburt Abschied nehmen zu müssen – betroffene Eltern bringt dieses Schicksal in eine psychische Ausnahmesituation. Waren da zuerst grenzenlose Freude über das neue Leben und gespannte Erwartung auf dieses kleine Wunder der Liebe, macht sich von einer Stunde zur nächsten tiefe Trauer breit. Obwohl das „Elternwerden“ manchmal nur wenige Wochen gedauert hat, ist der Abschiedsschmerz unvorstellbar groß. Ohnehin stellt jede Schwangerschaft einen außerordentlich emotionalen Lebensabschnitt dar, in dem das Wort „Hoffnung“ plötzlich einen tieferen Sinn erhält.
Neben dem Abschied bewegt Eltern, die eine Fehl- oder Totgeburt erleben mussten, oft die quälende Frage nach dem „Warum?“ oder „Warum ausgerechnet unser Kind?“. Dass ein offener, unverkrampfter Austausch über stille Geburten in unserer Gesellschaft noch immer recht zögerlich stattfindet und einer gewissen Tabuisierung unterliegt, macht es den Betroffenen nicht unbedingt leichter, Antworten oder Wege aus der Trauer zu finden.
Mit diesem Buch möchte ich Eltern, die wie ich ihr ungeborenes Baby verloren haben, einen Anker geben. Ich möchte Ihnen helfen, diese Situation zu verstehen – soweit das überhaupt möglich ist. Auch einige praktische Fragen aus dem medizinischen Bereich und gesetzliche Regelungen rund um Geburt und Bestattung werden in den Fokus rücken. Ein anderes Kapitel beschäftigt sich mit Ritualen, die das Abschiednehmen greifbar machen. So schwer dieser Schritt fällt – das Leben geht weiter. Auch für diese Zeit des Neu-Anfangs möchte dieses Buch Ihr hilfreicher Begleiter sein.
Kapitel 1 Begriffserklärung
Fehlgeburt oder Totgeburt – beide Schicksale machen Eltern erst einmal sprachlos und die Unterscheidung der verschiedenen Begrifflichkeiten mag von vielen Betroffenen als Wortklauberei empfunden werden. Die direkte Konfrontation mit dem Tod ist in jedem Fall schwer, so dass der Unterschied eigentlich nur im Medizinischen besteht.
Dennoch sollten Sie mit beiden Termini vertraut sein. Schließlich sind mit der medizinischen Einordnung unterschiedliche rechtliche Konsequenzen verbunden – beispielsweise, wenn es um die Bestattung oder um Fragen des Mutterschutzes geht.
Kapitel 1.1 Was ist eine Fehlgeburt?
Verliert eine Frau ihr Kind im ersten Schwangerschaftsdrittel, spricht man von einer „Fehlgeburt in der Frühschwangerschaft” oder einem „Frühabort”. In diesem ersten Stadium ist eine Schwangerschaft besonders anfällig für Störungen – etwa, weil es bereits bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, die befruchtete Eizelle sich nicht „richtig” einnisten konnte oder sich die Organe des Embryos nicht gesund entwickelt haben.
Fehlgeburten zu Beginn der Schwangerschaft werden von vielen Frauen nicht als solche bemerkt, sondern einfach als verspätete Regelblutung wahrgenommen. Als „Spätabort” oder „späte Fehlgeburt” wird der Tod eines Kindes nach der 12. Schwangerschaftswoche bezeichnet, solange das Gewicht 500 Gramm noch nicht erreicht hat.
Kapitel 1.2 Was ist eine Totgeburt?
Der liebevolle Begriff „Sternenkinder” bezeichnet Babys, die noch im Mutterleib, während oder kurz nach ihrer Geburt verstorben sind. Das Geburtsgewicht spielt dabei heute keine Rolle mehr. Früher verstand man unter Sternenkindern nur Babys, die weniger als 500 Gramm wogen. Mit dem eher positiv besetzten Namen wollten Eltern ein Gegengewicht zu den strengen Personenstandsgesetzen schaffen: Bis 2012 konnte ein totgeborenes Baby nur dann in das Geburts- beziehungsweise Sterberegister aufgenommen werden, wenn es mindestens 500 Gramm wog und eine bestimmte Körpergröße erreicht hatte. Statistisch gesehen war es so, als hätte es leichtere oder kleinere Kinder nie gegeben.
Viele verwaiste Eltern, die bereits eine tiefe emotionale Bindung zu ihrem Ungeborenen aufgebaut hatten, wollten diese bürokratische Ignoranz nicht akzeptieren. Zudem lenkt der Begriff der „Sternenkinder” den Blick auf das Leben und die Liebe zum Kind, während „Fehlgeburt” oder „Totgeburt” nicht über das Sterben und die Trauer hinausgehen.
Als Synonym für Sternenkind werden gerne auch die Bezeichnungen „Schmetterlingskind” oder „Engelskind” verwendet. Statt Sterne verweisen bei diesen Namen die Flügel auf eine mögliche Verbindung zum Himmel. Diese hat ihren Ursprung in der religiösen Vorstellung, dass die viel zu früh verstorbenen Kinder „in den Himmel kommen”. Selbst für Eltern, die keine oder zumindest keine tiefe Verbindung zu den Kirchen haben, ist das eine tröstliche Vorstellung. In jedem Fall erstrahlt die Erinnerung an ihr Kind durch diese eher positiv besetzten und hoffnungsvollen Begriffe in einem helleren Licht.
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