Manchmal war der König fassungslos, dass solche Verfügungen überhaupt zu Auseinandersetzungen mit dem Präsidenten der Generalrechenkammer führen konnten. Warum in aller Welt hatte er ihn denn damals trotz des Geschreies all seiner hohen Beamten geholt? Doch wohl, weil Creutz das Volk, aus dem er stammte, kannte!
„Ich habe es erst kennengelernt, als ich aus ihm herausgehoben war“, pflegte der große Rechner zu sagen. „Ich habe den Daumen auf den Beuteln. Ich stehe nach allen Schichten des Volkes hin gesondert da. Das schafft Abstand zu denen, die ewig begehren; es macht sie alle nichtig und gleich; der Unterschied liegt nur im Hundert und Tausend der Forderung. Ich öffne die Kassen. Ich sehe, wie die Menschen nehmen. Ich habe neue Augen bekommen.“
Creutz hasste es, dass der König im Statistischen Büro eines Generaldirektoriums – die statistische Abteilung war eine der Lieblingsschöpfungen des Königs und nach großen systematischen Gesichtspunkten angelegt – besondere „Historische Tabellen vom platten Lande“ führte, die nur die Menschen betrafen. Die Menschen! Hundertmal, wenn Creutz seine kühnen Zusammenziehungen der Unterstützungsetats in Vorschlag brachte, hatte der Herr „vom Menschlichen her“ ihm den Einwand entgegengehalten: „Wo die Räson?“ Und diese seine Räson war leider nie in Summen auszudrücken und in Multiplikationen zu erfassen.
Und wieder sprach der Herr solch verruchtes Wort: „Das Ersparte geht nach dem Osten. Ich darf es nicht behalten. Es gehört auch nicht der Mark oder Cleve oder Pommern oder Magdeburg. Im Osten ist Mangel. Hier ist die Anweisung auf vorerst dreiundfünfzigtausend Taler. Ich zweifle nicht, dass dies einen guten Effekt tun wird.“ So machte er sich arm am Abend des Festes. Er hatte schon zu oft so gesprochen.
Der Präsident der Rechenkammer zuckte nur die Achseln. Was sollte man von einem Herrscher denken, der in dieser verrotteten Welt in dem patriarchalischen Bestreben lebte, in seinem Lande keine Armen zu haben, und selbst der einzige Arme werden wollte! Die Schrullen eines Reichen waren ja aber von je die furchtbarste Gefahr für die Kassen! Die Kassen waren einem Creutz der Himmel.
Leider war über den Himmeln der Herr.
Der Herr war aber voller Hoffnung wie noch nie. Wenn nun noch dieses Opfer für Preußisch-Litauen gebracht war; vielleicht war dann ein erstes Ziel erreicht.
Er sagte es dem Plusmacher nicht. Er schrieb es dem Dessauer Freund, als er ihm für dessen Jubiläumsglückwunsch dankte; diesmal ging der Brief nach Bubainen. Seit Neujahr weilte der Fürst von Anhalt im Schnee und Eis der Wüste von Bubainen und Norkütten. Er hatte die Wildnis, die er zum Geschenk erhielt, mit seinem ganzen Herzen festgehalten. Er ging den Weg des Königs nach, und manchmal, weil Bezirk und Aufgabe um so vieles begrenzter war, schritt der Fürst sogar den Weg voran. Aufmerksam, neidlos, lernbegierig verfolgte der Herr all sein Tun. Der Dessauer sollte ihm seine Dörfer visitieren.
„Ich weiß nicht, ob ich recht habe“, sandte er Botschaft nach Bubainen, „aber ich habe itzo das feste Vertrauen, dass es in Preußen in kurzem wird besser werden. Die neuen deutschen und allmählich auch die alten litauischen Bauern bezäunen die Dörfer und Gärten. Alle haben sie nun Gärten. Es sieht nicht mehr wüst aus. Das Vieh läuft auch nicht mehr hirtenlos im Feld umher. Die Litauer beginnen überall gut zu stehen. Sie haben nun solch Brot, das mir gut schmeckt, und in ihren Baracken sieht es jetzt gut und wirtlich aus, da man Schüsseln, Speck und Fleisch findet, und die Leute sehen neuerdings auch dick und fett aus. Viele Bauern fangen an, in breiten Beeten dreimal zu pflügen und Misthügel zu machen. Und ist gar kein Zweifel, dass durch Gottes Hilfe sich alles soutenieren wird und ich itzo reich werde und in allen meinen Kassen es sehr spüre, dass das alles gut geht.“
Er, der am Festtag keine Tafel hielt, freute sich über Speck und Fleisch in den Schüsseln seiner Untertanen und spürte daran, dass er reich wurde. –
* * *
Der letzte, der an diesem Abend zu König Friedrich Wilhelm befohlen wurde, war Roloff.
„Ich habe keine Dankgottesdienste halten lassen und sie bis zum Sonntag verschoben“, begrüßte ihn der König.
Der Prediger entgegnete kurz: „Gott wird sich nie von Eurer Majestät betrogen fühlen.“
Von dem, was beide am drängendsten bewegte, redeten der König und der Prediger heute nicht; nur dass König Friedrich Wilhelm den Pastor Roloff noch fragte, ob denn noch immer nicht auch nur der leiseste Schatten eines Anzeichens zu erblicken sei, dass die Pastoren auf den Kanzeln und die Theologieprofessoren auf den Kathedern sich endlich besönnen, was Lehrgezänk und was Verkündigung der Gnade Gottes über dem armen, schuldigen Lande Preußen sei.
Kämpfende Lager von Frommen und Unfrommen, Rechtgläubigen und Irrgläubigen, das sei ihm kein Zweifel, ließen sich nicht vereinigen, wie man verfeindete und zersplitterte Kammern der Provinzregierungen in einem neuen zentralen Generaldirektorium zusammenfasse. Dass aber Gottes Geist in seinem Königreich und seiner Königszeit die Eitelkeit, die Selbstsucht, den Zwiespalt, die Sinnlosigkeit einer dreifach zerfallenen Evangeliumsverkündigung furchtbar hinwegfegen möge, darum bete er; er bete so, dass es manchmal schon wie ein Abtrotzen sei; Gott möge es ihm vergeben, wenn die Angst um den Verlust des reinen Gotteswortes ihn so unruhig mache.
„Eins ist dem Menschen aber wohl erlaubt“, begann der König vor dem großen Prediger zaghaft zu behaupten, „eins bleibt dem König wohl noch zu tun: Er kann die Kinder, auf denen doch die höchsten Verheißungen ruhen und die der Welt als einziges Beispiel gesetzt sind, zu Gliedern einer künftigen Kirche erziehen, die nicht mehr bloßes Kampffeld der Pastoren, Professoren und Konsistorialräte, des Klerus und der Orden ist: Ein König kann die Kinder lehren, von früh auf selbst die Bibel zu lesen –.“
Der König, wie er es oft tat – ganz gleich, ob draußen Dunkelheit oder Helligkeit herrschte – redete, am Fenster stehend und dem Partner des Gespräches den Rücken kehrend. Freilich, dann musste er solchen Partner gut kennen. Fremderen sah er, was wenig beliebt war, unentwegt in die Augen.
König Friedrich Wilhelms Worte klangen fast nach Schwärmertum.
„Dann könnten sie Kinder der Seligkeit werden.“
Das hatte der Pastor ganz deutlich gehört.
Aber schon wurde aus der leisen, schwärmerischen Rede der klare Plan, das durchdachte Gebot, das formulierte Edikt.
Das Schulproblem, das sei es, was dränge. Er habe vernommen, dass die Eltern, namentlich auf dem Lande, ihre Kinder nur sehr säumig zur Schule schickten. Die arme Jugend bleibe in großer Unwissenheit, unwissend im Rechnen, im Schreiben, im Lesen. Im Lesen – das heiße aber nun: in allem, was zu Heil und Seligkeit höchst notwendig ist. Denn Predigten – ah, die vermöchten heute das Heil nicht mehr zu wirken; in denen sei die Heilige Schrift verschüttet, wenn nicht gar entstellt und verraten. Wie wüchsen die preußischen Kinder auf; es mache ihn bitter.
Aber nun wollte er es ganz bestimmt und überaus rasch verordnen, dass künftig die Eltern an allen Orten, wo Schulen wären und Schulen neu geschaffen werden sollten, bei nachdrücklicher Strafe angehalten würden, ihre Kinder im Winter täglich und im Sommer, wenn man sie auf dem Lande in der Wirtschaft brauchte, zum mindesten ein- oder zweimal in der Woche zum Schulmeister zu schicken.
Der König zergliederte bereits die Einzelheiten des Lehrplans; er setzte bereits die bestimmtesten Posten im neuen Schuletat ein. Zwei Dreier die Woche, das mussten die Eltern wohl noch zahlen können. Wenn sie es ganz und gar nicht erübrigen konnten, dann schien es nun nicht zu viel verlangt, wenn man ein Ortsalmosen für die Armenkinder forderte.
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