Das leise, dunkle Lachen des Großkönig ertönte neben ihm. Desith ließ den Kopf hängen, sah aber die schwarzen Stiefel, die in sein Blickfeld in eine Pfütze traten. Brauner Schlamm klebte an ihnen.
»Zäher Bastard.«
»Ich bin kein Bastard«, keuchte er trotzig.
»Wohl nicht«, stimmte Melecay amüsiert zu. Er trat um Desith herum, bis er vor ihm stand. Desith sah nicht auf. Melecay griff unter seinen vor Nässe triefenden Mantel und zog seine lange Klinge aus der Scheide. Desith bekam es mit der Angst zu tun und atmete schwerer, schenkte dem Großkönig jedoch nicht die Genugtuung, ihm seine Furcht zu zeigen.
Etwas Kaltes, Hartes legte sich unter sein Kinn und hob sein Gesicht an. Der Knauf des Schwertes. Er ließ es nur widerwillig geschehen und sah dann voller Trotz zu Melecay auf. Er ignorierte Derricks massigen Leib im Hintergrund.
»Ich respektiere deinen Drang, dich zu wehren, das spricht für deine Stärke«, sagte der Großkönig zu ihm, »aber denk nicht einmal daran, mich anzuspucken.«
Dieser Mann konnte Gedanken lesen. Desith wollte es trotzdem tun, aber der winzige Fetzen Vernunft, mit dem er gesegnet war, hielt ihn letztlich doch davon ab. Er Schluckte den gesammelten Speichel wieder runter.
Der Großkönig lächelte leicht, zufrieden. »Siehst du, Desith, ich verstehe dich. Besser als vermutlich jeder andere. Du bist wütend – Nein, warte, lass es mich passender ausdrücken: Du bist stinksauer und willst alles um dich herum zertrümmern, weil die Welt dir etwas genommen hat. Deinen Gefährten, deine Zukunft, sieben Jahre deines Lebens. Du hast das Gefühl, alle sind gegen dich und unterschätzen dich und du musst beweisen, dass du auch ohne Derrick stark bist.« Er legte den Kopf schief und musterte Desiths Gesicht. »Ich bewundere diese Wut und ich bewundere dich für deinen Trotz. Auch ich war oft wütend, vor allem in deinem Alter, und auch heute noch. Dein Problem ist allerdings, dass du nichts hast, außer dir selbst. Du bist allein.« Er zog den Knauf zurück und gab Desiths Gesicht frei, der aber noch immer trotzig das Kinn reckte. Der Großkönig ging vor ihm in die Hocke, bis sie auf Augenhöhe waren. »Du hast deinem Vater getrotzt, für die Liebe, du hättest einen Krieg in Kauf genommen, für die Liebe. Das habe ich an dir geschätzt, dir ist alles gleich, du interessierst dich nur für dich selbst. Und das ist gut, ein Mann sollte sein Schicksal immer selbst bestimmen«, sagte er ernst zu ihm, »aber das kann er nur, wenn er sich aus dem Nichts eine Grundlage schafft. Kurz um, du bist immer noch allein, Desith, niemand steht dir bei, niemand folgt dir. Du kannst nicht allein gewinnen, verstehst du? Aber das heißt nicht, dass du verloren hast. Du und ich, wir sind keine Feinde. Und manchmal nimmt ein Mann ein Schicksal an, um es zu gegebener Zeit zu seinen Gunsten zu wenden.« Dabei tippte er sich an die Schläfe. »Du musst auf deinen Kopf vertrauen, Junge, nicht auf deine Furcht, nicht auf dein Herz. Denk nach«, beschwor er ihn, »ich weiß, hinter all der Wut steckt auch ein kluges Köpfchen. Sieh in einer ausweglosen Situation deinen eigenen Vorteil. Verstehst du, was ich dir sagen will?«
Desith starrte ihm ungerührt ins Gesicht, er hatte Schmerzen und er musste einiges an Überwindung aufbringen, dem Großkönig nicht ins Gesicht zu kotzen. Aber ja, er verstand es.
Er verstand, dass Melecay versuchte, ihm eine Sache schön zu reden, die nicht schön war.
So einfältig ließ er sich nicht manipulieren.
Melecay kam noch etwas näher, seine Augen nahmen ein seltsames Leuchten an, und als hätte er Desiths Gedanken erraten, sagte er: »Denk nicht an eine ausweglose Flucht, Junge. Ich habe vorgesorgt. Deine Ketten bestehen aus Silber, selbst wenn du dich auflösen könntest, würden sie es verhindern. Du kannst nicht entkommen. Und du hast keine Wahl. Erlange meine Gunst, das ist der einzige Weg, deine Freiheit zu garantieren. Oder lebe ein Leben in Knechtschaft, denn ich bin nicht dein Vater, mir trotzt du nicht.«
Sich auflösen? Er wagte zu bezweifeln, dass irgendein Sterblicher das konnte, aber es war interessant zu hören, was man ihm zutraute.
Desith lehnte den Kopf an den Pfahl und strafte Melecay mit eisernem Schweigen.
Der Großkönig belächelte ihn nur. »So stolz, so stark. Als ob man in den Spiegel sähe.« Doch er schüttelte bedauernd den Kopf. »Nur leider keinen Funken Weitsicht.«
Er stand auf, und Desith verfolgte ihn mit durchbohrenden Augen. »Ich gebe dir etwas zum Nachdenken.« Melecay faltete die Hände über dem Knauf seiner Klinge. »Es ist keine Liebe, die Ehen, Bündnisse und Paare ein Leben lang zusammenhält.«
»Sondern?«, erwiderte Desith mit rauer, gelangweilter Stimme.
»Es ist Macht.« Damit ließ der Großkönig ihn allein im Regen zurück.
Und tatsächlich, obwohl Desith sich dagegen wehrte, dachte er ungemein intensiv über seine Worte nach.
*~*~*
»Ah das brennt!« Gereizt zog er das Gesicht aus ihrem Griff und fluchte vor sich hin.
Seine Mutter verpasste ihm einen Klapps auf den Hinterkopf. »Jetzt stell dich nicht so an.« Trotzdem nahm sie den in Brandwein getränkten Lappen aus seinem Gesicht. »Du kannst froh sein, dass du genauso eine dicke Haut, wie einen Dickschädel hast. Diese Wunden werden Narben hinterlassen.«
»Das zeugt von Charakter«, gab er zynisch zurück.
Sie runzelte die Stirn und betrachtete ihn einen Moment sorgenvoll. Er wich geflissentlich ihrem forschenden Blick aus und starrte auf den Boden seines Zeltes. Der Tisch, an dem er am Abend zuvor mit Desith gesessen hatte, war noch genauso verwüstet, wie sie ihn verlassen hatten, die Karte beiseite gewischt, Desiths Fingerabdrücke im Fett, der Krug mit schalem Met und die beiden Becher. Das Lager war zerwühlt, roch nach einem Hauch von Feigen – roch nach Desith. Das Bärenfell vor dem Bett wies einen Abdruck auf, wo sie gelegen und geschwitzt hatten. Wo er, Vynsu, … genau wie so oft in letzter Zeit einfach alles hingenommen hatte, wie ein Sklave, der allen anderen gehorchen musste.
Er hasste sich in diesem Moment für das, was er war, vermisste den unbeschwerten, von seinen Instinkten geleiteten Burschen, der er vor gerade mal sieben Jahren noch gewesen war. Bevor Ehen, Pflichten, Vaterschaft, Verlust und Reue ihn zu diesem, wie Desith es nannte, seelenlosen Mann ohne Biss gemacht haben.
Seine Mutter stellte seufzend ihre Utensilien beiseite und setzte sich auf den Hocker, den sie vor ihn gezogen hatte. Vynsu lehnte halb auf dem Tisch, sein Blick glitt ins Leere.
»Vermisst du es?«, fragte sie, klug wie sie war, und wrang den Lappen in einer Schale mit sauberem Wasser aus.
»Was?«, knurrte er.
»Dieser unbeschwerte Junge zu sein, der lieber dem Haus fernblieb, Huren bestieg und an jeder Ecke einen blutigen Streit anzettelte?« Sie klang nicht tadelnd, nur neugierig.
Das brachte Vynsu dazu, die angespannten Schultern hängen zu lassen und sie anzusehen. »Ja, vielleicht. Manchmal.« Er schämte sich dafür.
Sie lächelte mitfühlend. »Du wirst erwachsen, Vynsu, das ist normal. Du hast deine Jugend damit verbracht, deinem Onkel nachzueifern, in dessen Fußstapfen du treten solltest. Und dann wurdest du überlistet, man hat dir die Frau genommen, weil du nicht da warst, um zu verhindern…«
Er drehte gequält das Gesicht fort.
»Das hat dir gezeigt, dass du angreifbar bist, dabei dachtest du, du wärst so unantastbar wie dein Onkel.« Sie faltete den Lappen, hing ihn über den Schüsselrand und schob beides ein Stück von sich, ehe sie sich zu ihm umwandte und ihm eine Hand auf den Arm legte. »Dein Onkel ist auch nicht unverwundbar, Vynsu, das müsstest du wissen. Er mag dich geprägt haben, du magst ihm nachgeeifert haben, aber das Herz, das jetzt in deiner Brust schlägt und dir sagt, was du zu tun hast und wie viel es ertragen kann, das ist ganz allein dein Herz, mein Sohn. Das bist du. Und nichts anderes will ich, dass du bist. Melecay ist nicht das Vorbild, von dem ich mir erhoffte, dass es dich beeinflusst.«
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