„Ja“, sagte Pater Brown mit einem Seufzer, „ich soll das also so verstehen, dass sie endgültig das Verbrechen dieses Unglücklichen oder seine Privatrache – wie immer Sie es nennen wollen – gutheißen? Dann wird es ihm ja nichts schaden, wenn ich Ihnen mehr darüber mitteile.“
Er stand plötzlich auf. Sie verstanden die Bewegung nicht, aber auf sonderbare Weise schien sie die Luft des Zimmers zu verändern, ja abzukühlen.
„Wilton hat Daniel auf recht merkwürdige Art getötet“, fing er an.
„Wie?“ fragte Crake plötzlich.
„Mit einem Pfeil“, erwiderte Pater Brown.
Dämmerung zog sich in dem langgestreckten Zimmer zusammen, das Tageslicht war nur noch ein schwaches Leuchten von dem großen Fenster im inneren Zimmer her, wo der Millionär gestorben war. Fast automatisch wanderten die Augen der Gruppe langsam dorthin, aber noch hörte man keinen Laut. Dann endlich ertönte die Stimme des alten Crake, heiser, kreischend und senil, ein krähendes Geschwätz.
„Was soll das – was soll – Brander Merten durch 'nen Pfeil getötet – dieser Verbrecher durch 'nen Pfeil –“
„Durch denselben Pfeil,“ sagte der Priester, „und im gleichen Augenblick.“
Wieder herrschte ein ersticktes, aber doch geschwollenes und zum Bersten gespanntes Schweigen. Dann begann der junge Wain: „Meinen Sie –“
„Ich meine, dass Ihr Freund Merton Daniel Boon war“, sagte Pater Brown fest. „Einen anderen Daniel werden Sie nicht finden. Ihr Freund Merton war in den Pokal verliebt – er betete ihn jeden Tag an wie einen Götzen; als wilder Bursch hat er einmal zwei Menschen getötet, um in den Besitz des Kleinods zu gelangen. Freilich glaube ich auch jetzt noch, dass die beiden nur im Verlauf des Einbruchs getötet wurden. Jedenfalls hatte er jetzt den Pokal. Drage kannte die Geschichte und erpreßte Geld von ihm. Aber Wilton war aus einem ganz anderen Grunde hinter ihm her. Vermutlich hat er die Wahrheit erst erfahren, als er schon hier im Hause war. Jedenfalls aber hat seine Jagd in diesem Hause und in dem Zimmer dort geendet, denn dort hat er den Mörder seines Vaters umgebracht.“
Lange Zeit antwortete niemand. Dann hörte man, wie der alte Crake mit den Fingern auf dem Tisch trommelte und brummte: „Brander war gewiß wahnsinnig. Ja, er muß wahnsinnig gewesen sein.“
„Aber um Himmelswillen!“ platzte Peter Wain los, „was sollen wir tun? Was sollen wir sagen? Das ändert ja alles! Was sollen wir mit den Zeitungen und den Geschäftsleuten anfangen? Brander Merton ist ungefähr dasselbe wie der Papst oder der Präsident.“
„Ja gewiß, das ändert natürlich alles“, begann der Anwalt Barnard Blake leise. „Der Unterschied bringt mit sich –“
Pater Brown schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. Man konnte sich fast einbilden, dass ein gespenstisches Echo von dem geheimnisvollen Kelch erklang, der noch immer im Nebenzimmer stand.
„Nein!“ rief er mit einer Stimme wie ein Pistolenschuß. „Es gibt keinen Unterschied. Ich habe Ihnen die Möglichkeit gelassen, den armen Teufel zu bedauern, solange Sie ihn noch für einen gewöhnlichen Verbrecher hielten. Damals wollten Sie nicht auf mich hören – damals waren Sie nur für persönliche Rache. Sie waren dafür, ihn ohne Gehör und ohne öffentlichen Prozeß hinschlachten zu lassen wie ein wildes Tier. Sie sagten, es sei ihm recht geschehen. Gut. Wenn Daniel Boon recht geschah, dann ist auch Brander Merton recht geschehen. Entscheiden Sie sich – für Volksjustiz oder unsern langweiligen Rechtsweg – aber im Namen des Allmächtigen, lassen Sie gleiche Willkür herrschen oder gleiches Gesetz.“
Niemand antwortete außer dem Anwalt, und er antwortete mit einem Knurren.
„Was wird die Polizei sagen, wenn wir ihr mitteilen, dass wir das Verbrechen gutheißen wollen?“
„Was wird sie sagen, wenn ich ihr mitteile, dass Sie es schon gutgeheißen haben?“ antwortete Pater Brown. „Ihre Ehrfurcht vor dem Gesetz kommt etwas spät, Herr Justizrat.“
Nach einer Pause fuhr er mit milderer Stimme fort: „Ich persönlich bin bereit, die Wahrheit zu sagen, wenn die zuständige Stelle mich ausfragt. Sie andern können tun, was Ihnen beliebt. Aber es wird tatsächlich kaum etwas ausmachen. Wilton rief nur an, um mir zu sagen, dass ich jetzt die Freiheit hätte, Ihnen seine Beichte zu überbringen. Denn als Sie davon hörten, war er menschlicher Strafe bereits unerreichbar.“
Er ging langsam ins Nebenzimmer und trat an den kleinen Tisch, an dem der Millionär gestorben war. Der Koptenpokal stand noch auf dem gleichen Fleck. Einen Augenblick lang blieb er dort und betrachtete den Strauß von Regenbogenfarben, hinter dem der Abgrund des Himmels blaute.
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