Mit dem Ellbogen gegen die Leiter hinter der Brücke gestützt, versuchte Sterne, der Erste Offizier, zuzuhören und zwinkerte dabei aus der Entfernung dem Zweiten Ingenieur zu, der für einen Augenblick heraufgekommen war und im Niedergang zum Maschinenraum stand. Während er sich an einem Bündel Putzwolle die Hände abwischte, sah der gleichgültig nach links und rechts zu den Uferbänken hinüber, die langsam an der „SOFALA“ vorbeiglitten.
Massy wandte sich dem Deckstuhl voll zu. In seine Stimme kam wieder eine leise Drohung.
„Nehmen Sie sich inacht! Ich kann Sie immer noch entlassen und Ihr Geld ein Jahr lang zurückbehalten. Ich kann...“
Doch angesichts der stummen, starren Unbeweglichkeit des Mannes, dessen Geld ihn im letzten Augenblick vor völligem Ruin gerettet hatte, erstarb ihm die Stimme in der Kehle.
„Nicht, dass ich Sie wegschicken wollte“, fing er nach einem kurzen Schweigen in töricht eindringlichem Ton wieder an. „Ich wünsche mir nichts Besseres, als freund mit Ihnen zu bleiben und das Abkommen zu erneuern, wenn Sie sich bereit erklären, mir mit noch ein paar hundert Pfund zum Einbau der neuen Kessel auszuhelfen, Kapitän Whalley. Ich habe es Ihnen schon früher gesagt. Die „SOFALA“ braucht neue Kessel; Sie wissen es so gut wie ich. Haben Sie sich das überlegt?“
Er wartete. Das dünne Pfeifenrohr mit dem ungefügen Kopf am Ende hing von seinen dicken Lippen nieder. Die Pfeife war ausgegangen. Plötzlich nahm er sie aus den Zähnen und rang leicht die Hände.
„Glauben Sie mir nicht?“ Er stieß den Pfeifenkopf in die Tasche seiner fadenscheinigen Jacke.
„Es ist, als hätte man mit dem Teufel zu tun“, sagte er. „Warum sprechen Sie nicht? Zuerst waren Sie so hochnäsig und unnahbar gegen mich, dass ich kaum über mein eigenes Deck zu kriechen wagte. Nun kann ich kein Wort aus Ihnen herausbringen. Sie scheinen mich gar nicht zu sehen. Was soll das heißen? Meiner Seel! Sie erschrecken mich mit dem Taubstummentrick. Was geht in Ihrem Kopf vor? Was für Pläne wälzen Sie denn dort gegen mich, dass Sie kein Wort reden können? Sie werden mich niemals glauben machen, dass Sie – Sie – nicht wissen, wo Sie ein paar hundert Pfund hernehmen sollen! Sie haben mich dazu gebracht, den Tag zu verfluchen, an dem ich geboren wurde...“
„Herr Massy“, sagte Kapitän Whalley plötzlich, ohne sich zu rühren.
Der Ingenieur fuhr heftig zusammen.
„Wenn das so ist, kann ich Sie nur bitten, mir zu vergeben.“
„Steuerbord“, murmelte der Serang dem Steuermann zu und die „SOFALA“ bog um die zweite Biegung in die gerade Stromstrecke ein.
„Uff!“ Massy schauerte. „Mir läuft es kalt über den Rücken. Warum sind Sie hierhergekommen? Was hat Sie dazu bewogen, an jenem Abend ganz plötzlich an Bord zu kommen, mit Ihrem großartigen Gerede und Ihrem Geld – und mich zu versuchen? Ich habe mich immer gefragt, was Ihr Beweggrund war. Sie haben sich an mich gehängt, um sich ein schönes Leben zu schaffen und sich an meinem Herzblut zu mästen, das sage ich Ihnen. War das nicht so? Ich glaube, Sie sind der schlimmste Geizkragen in der Welt, oder warum denn sonst...“
„Nein. Ich bin nur arm“, unterbrach Kapitän Whalley mit steinernem Gesicht.
„Stütze das Ruder“, murmelte der Serang. Massy wandte sich ab und sprach über die Schulter zurück.
„Ich glaube es nicht“, sagte er in seinem rätselhaften Ton. Kapitän Whalley machte keine Bewegung. „Da sitzen Sie wie ein vollgefressener Geier – genau wie ein Geier.“
Er schickte noch einen leeren Blick auf den Flusslauf und die beiden Ufer, anscheinend ohne etwas zu sehen, und verließ langsam die Brücke.
* * *
IX
Während er sich zum Weggehen wandte, bemerkte Massy den Kopf Sternes, des Ersten Offiziers, der mit seinem leise vertraulichen Lächeln, dem roten Schnurrbart und den zwinkernden Augen am Fuß der Leiter wartete.
Sterne war, bevor er auf die „SOFALA“ gekommen, Zweiter Offizier bei einer der großen Schiffahrtsgesellschaften gewesen. Diese Stellung hatte er „aus allgemeinen Gründen“, wie er sagte, aufgegeben. Die Beförderung sei sehr langsam gewesen, meinte er, und so sei es ihm an der Zeit erschienen, fortzugehen, um etwas rascher voranzukommen. Es schien, als wollte niemand sterben oder die Firma verlassen; alle klebten sie an ihren Plätzen, bis sie schimmelig wurden; er hatte das Warten satt und fürchtete überdies, dass, wenn wirklich ein Posten frei wurde, die besten Angestellten durchaus nicht sicher waren, die verdiente Beachtung zu finden. Überdies war der Kapitän, unter dem er zu dienen hatte, Kapitän Provost, ein unberechenbarer Mann, der, wie Sterne glaubte, aus dem oder jenem Grunde ein Vorurteil gegen ihn gefasst hatte. Höchstwahrscheinlich wohl, weil Sterne meistens mehr als seine Pflicht tat. Hatte er etwas versehen, so konnte Sterne wohl einen Tadel vertragen, wie ein Mann; er erwartete aber auch, wie ein Mensch behandelt und nicht immer wieder angeredet zu werden, als wäre er ein Hund. Er hatte Kapitän Provost klipp und klar gebeten, ihm zu sagen, worin er gefehlt habe, und Kapitän Provost hatte ihm in verächtlichster Weise geantwortet, er sei ein vollendeter Offizier, und wenn ihm die Art nicht passte, in der man mit ihm spräche, so sei hier die Laufplanke – er könne sofort an Land gehen. Aber jedermann wusste ja, was für ein Mann Kapitän Provost war. Eine Beschwerde bei der Gesellschaft hatte keinen Sinn. Kapitän Provost hatte zu großen Einfluss. Trotz allem musste er ihm ein gutes Zeugnis ausstellen. Er versicherte, dass er mit gutem Gewissen behaupten könne, es läge nicht das Geringste gegen ihn vor, und da er zufällig gehört habe, dass der Erste der „SOFALA“ an jenem Morgen mit Sonnenstich ins Spital gekommen sei, so habe er nichts dabei gefunden, sich vorzustellen und zu versuchen, ob er für den Posten nicht geeignet wäre...
Er war frisch rasiert, mit rotem Gesicht zu Kapitän Whalley gekommen, die magere Brust herausgereckt, und hatte seine kleine Geschichte mit offener, männlicher Selbstsicherheit erzählt. Dann und wann zitterten seine Augenlider leicht, oder seine Hand fuhr verstohlen zu dem Ende des grellroten Schnurrbartes hinauf. Seine Brauen waren gerade, buschig und nussbraun, und die Geradheit seines offenen Blickes schien die Grenze der Unverschämtheit zu streifen. Kapitän Whalley hatte ihn auf Probe genommen, dann, da der andere Mann, von den Ärzten nach Hause geschickt worden war, die nächste Reise über und dann wiederum die nächste behalten. Nun hatte er feste Anstellung erreicht und gab sich seinen Pflichten mit unterstrichenem Diensteifer hin. Sobald man ihn ansprach, begann er aufmerksam zu lächeln, wobei seine ganze Haltung eine große Ergebenheit ausdrückte. In dem raschen Zwinkern aber, das fortwährend anhielt, lag etwas wie Hohn, als wäre ihm allein ein besonders guter Witz auf Kosten der gesamten Menschheit, allen anderen unergründlich, bekannt.
Mit diesem Lächeln sah er auch Massy entgegen, der Stufe um Stufe herunterkam; sobald der Erste Ingenieur das Deck erreicht hatte, fuhr er herum und stand ihm Auge in Auge gegenüber. Von gleicher Größe, sonst aber gänzlich unähnlich, sahen sie einander ins Gesicht, als wäre etwas zwischen ihnen – etwas anderes als der breite Sonnenstreifen, der durch eine Spalte im Sonnensegel quer über die Deckplanken fiel und die Füße der beiden Männer trennte wie ein Strom; etwas Tiefgründiges, Abgefeimtes, Unberechenbares, wie ein ausgesprochenes Einverständnis, ein geheimes Misstrauen oder eine gewisse Angst.
Schließlich zwinkerte Sterne mit seinen tiefliegenden Augen, schob sein scharfgeschnittenes, glattes Kinn vor, das rot war wie das übrige Gesicht, und murmelte:
„Haben Sie's gesehen? Er hat gestreift! Haben Sie's gesehen?“ Massy hob sein gelbes, fleischiges Gesicht und gab verächtlich zurück:
Читать дальше