Es war nur ein kleiner Irrtum. Das Schiff konnte kaum um die doppelte eigene Länge zu weit nördlich sein; und ein Weißer, der nach einem Grund dafür suchte – denn es war unmöglich, bei Kapitän Whalley krasse Unwissenheit anzunehmen, Mangel an Übung oder Nachlässigkeit – wäre versucht gewesen, seinen eigenen Sinnen zu misstrauen. Ein ähnliches Gefühl war es auch, das Massy, mit zu einem ängstlichen Grinsen gebleckten Zähnen, reglos erhielt. Nicht so der Serang. Er war von jedem verstandesmäßigen Misstrauen gegen seine Sinne frei. Wenn es seinem Kapitän gefiel, den Schlamm aufzurühren, so war das recht. Er hatte in seinem Leben weiße Männer öfter als einmal einer unbegreiflichen Anwandlung nachgeben sehen. Er war nur ehrlich neugierig, was wohl daraus werden würde. Schließlich trat er augenscheinlich befriedigt von der Reling zurück.
Er hatte keinen Laut von sich gegeben: Kapitän Whalley aber schien die Bewegungen seines Serangs beobachtet zu haben. Mit starr gerecktem Kopf und kaum die Lippen bewegend fragte er:
„Macht sie noch Fahrt, Serang?“
„Noch ein wenig Fahrt, Tuan“, antwortete der Malaie und fügte dann beiläufig hinzu: „Sie ist drüber weg.“
Das Lot bestätigte seine Worte; die Wassertiefe nahm bei jedem Wurf zu, und der Geist der Aufregung verließ plötzlich den Laskar, der in seinem Segeltuchgürtel über die Seite der „SOFALA“ hinaushing. Kapitän Whalley befahl, das Lot einzuholen, ließ ohne große Eile die Maschinen voraussetzen, wandte seine Augen von der Küste ab und wies den Serang an, einen Kurs nach der Mitte der Mündung zu steuern.
Massy schlug sich geräuschvoll die flache Hand auf den Schenkel.
„Sie haben die Bank gestreift. Sehen Sie nur achtern, ob Sie das nicht taten! Sehen Sie auf die Spur, die wir hinterlassen haben! Sie ist deutlich zu sehen. Bei meiner Seel! ich hatte es mir gedacht! Warum taten Sie das? Was zum Teufel hat Sie dazu gebracht? Ich glaube, Sie wollen mich erschrecken.“
Er sprach langsam, wie tastend, und hielt die vorquellenden schwarzen Augen fest auf seinen Kapitän gerichtet. In seinem beginnenden Zornausbruch fehlte auch eine leicht wehklagende Note nicht, denn im Grunde war es das klare Gefühl, unverdientes Unrecht erlitten zu haben, was ihn diesen Mann hassen ließ. Diesen Mann, der für fünfhundert lumpige Pfund ein Sechstel des Gewinnes für die Vertragsdauer von drei Jahren beanspruchte. Sooft dieser Groll die Ehrfurcht besiegte, die er vor Kapitän Whalleys Persönlichkeit empfand, pflegte er vor Wut geradezu zu wimmern.
„Sie wissen gar nicht mehr, was Sie erfinden müssen, um mir die Seele aus dem Leibe zu ärgern. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mann Ihrer Art sich herbeilassen würde...“
Er unterbrach sich halb hoffnungsvoll, halb schüchtern, sooft Kapitän Whalley in seinem Deckstuhl die geringste Bewegung machte, als hätte er erwartet, durch ein sanftes Wort versöhnt oder aber angefahren und von der Brücke verjagt zu werden.
„Ich bin verblüfft“, fuhr er wieder fort und bleckte dabei immer noch wachsam und ohne Lächeln seine großen Zähne. „Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich glaube, Sie versuchen es, mich zu erschrecken. Um ein Haar hätten Sie das Schiff für mindestens zwölf Stunden auf der Bank festgesetzt und dabei überdies noch die Maschinen verschlammt. Kein Schiff kann es sich heutzutage mehr leisten, auf einer Fahrt zwölf Stunden zu verlieren – wie Sie sehr gut wissen mussten und ja auch ganz bestimmt sehr gut wissen, nur...“
Sein halblauter Redefluss, die seitliche Drehung seines Halses, die dunklen Blicke aus den Augenwinkeln ließen Kapitän Whalley unbewegt. Er sah unter finster gerunzelten Brauen vor sich auf das Deck. Massy wartete eine kleine Weile und begann dann leise zu drohen.
„Sie glauben wohl, mir mit dem Abkommen Hand und Fuß gebunden zu haben. Sie glauben mich in jeder Art, wie es Ihnen gefällt, peinigen zu können. Oh! Aber denken Sie nur daran, dass es noch volle sechs Wochen läuft. Zeit genug für mich, Sie zu entlassen, bevor die drei Jahre um sind. Sie werden schon noch etwas tun, das mir ein Recht gibt, Sie zu entlassen und zwölf Monate auf Ihr Geld warten zu lassen, bevor Sie mir die Fünfhundert abverlangen und mir so den letzten Pfennig für die neuen Kessel nehmen können. Sie brüten über diesem Gedanken, nicht wahr? Ich habe das Gefühl, dass Sie hier sitzen und brüten. Es ist, als hätte ich meine Seele für fünfhundert Pfund verkauft, um schließlich auf ewig verdammt zu sein...“
Er unterbrach sich abermals, ohne ein Zeichen der Verzweiflung, und fuhr dann gleichmäßig fort:
„... Mit den abgenützten Kesseln und der Inspektion, die jeden Augenblick kommen kann, Kapitän Whalley... Kapitän Whalley, sagen Sie doch, was machen Sie mit Ihrem Geld? Sie müssen irgendwo einen ganzen Haufen Geld haben – ein Mann wie Sie muss das haben. Es liegt auf der Hand. Ich bin kein Narr, müssen Sie wissen, Kapitän Whalley – Partner.“
Nochmals brach er ab, als wäre er nun endgültig fertig. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und warf einen Blick auf den Serang zurück, der mit ruhigem Flüstern und leichten Handbewegungen den Kurs des Schiffes angab. Die kreisende Schraube sandte kleine Wellen mit dunklen Kämmen gegen die öden, flachen Ufer aus schwarzem Schlamm. Die „SOFALA“ war in den Fluss eingefahren; die Spur, die sie in der Sandbank eingeritzt hatte, lag nun eine Meile weit zurück, außer Sicht, gänzlich verschwunden; und die glatte, leere See längs der Küste war gleichfalls zurückgeblieben, dem tödlich grellen Sonnenschein überlassen. Zu beiden Seiten bedeckte üppiger Mangrovenwald die halb flüssigen, niedrigen Ufer; und Massy fuhr in seinem alten Ton wieder fort, mit jähem Anlauf, als würden ihm die Worte wie die Weise eines Spielwerkes durch Drehen eines Handgriffes erpresst.
„Wenn mich jemals jemand darangekriegt hat, dann sind Sie es. Ich scheue mich nicht, das zuzugeben. Ich habe es gesagt – da. Was wollen Sie mehr? Ist es nicht genug für Ihren Stolz, Kapitän Whalley? Sie haben mich von allem Anfang an in die Tasche gesteckt. Das stimmt in jeder Hinsicht, wenn ich es recht überdenke. Sie haben mir erlaubt, die Klausel wegen Trunkenheit aufzunehmen, ohne etwas dazu zu sagen; Sie sahen nur recht bekümmert drein, als ich darauf bestand, es schwarz auf weiß zu haben. Wie hätte ich denn wissen können, was bei Ihnen nicht in Ordnung war? Gewöhnlich ist immer irgendwo etwas nicht in Ordnung. Und nun sehen Sie sich an: als Sie an Bord kamen, stellte es sich heraus, dass Sie seit vielen Jahren nichts anderes als Wasser zu trinken gewohnt sind.“
Sein vorwurfsvolles Klagen hörte auf. Er versank in tiefes Brüten, nach der Art dummschlauer Menschen. Es schien unbegreiflich, dass Kapitän Whalley über den Ausdruck von Ekel in dem wuchtigen, gelben Gesicht nicht in Lachen ausbrach. Doch Kapitän Whalley hob den Blick nicht und saß in seinem Armstuhl, im Innersten verletzt, würdig und ohne Bewegung.
„Es hat mir viel geholfen“, fuhr Massy eintönig in seinen Vorwürfen fort, „eine Entlassungsklausel wegen Trunkenheit gegen einen Mann aufzunehmen, der nichts als Wasser trinkt. Und Sie sahen noch dazu empört aus, als ich an jenem Morgen im Kontor des Rechtsanwalts meinen Entwurf vorlas – Sie sahen so bestürzt aus, Kapitän Whalley, dass ich ganz sicher war, Ihren wunden Punkt getroffen zu haben. Ein Reeder kann ja gar nicht vorsichtig genug sein in der Wahl seines Kapitäns. Sie müssen sich die ganze Zeit über ins Fäustchen gelacht haben... wie? Was wollten Sie sagen?“
Kapitän Whalley hatte nur leise mit den Füßen gescharrt. In Massys seitlichen Blick trat eine dumpfe Feindseligkeit.
„Aber bedenken Sie doch, dass es noch andere Entlassungsgründe gibt. Da ist zum Beispiel andauernde Nachlässigkeit, die an Unfähigkeit hinreicht – es gibt auch grobe und wiederholte Pflichtversäumnis. Ich bin kein ganz so großer Narr, wie es Ihnen wohl passen könnte. Sie sind in letzter Zeit nachlässig gewesen – indem Sie alles diesem Serang überlassen haben. Was denn! Ich habe diesen alten Affen von Malaien für Sie Peilungen nehmen sehen, als wären Sie selbst zu groß, um persönlich Ihren Dienst zu tun. Und wie nennen Sie denn die dumme, schluderige Art, in der Sie das Schiff eben jetzt über die Bank geführt haben? Glauben Sie, ich lasse mir das gefallen?“
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