Die Grätsche, die es in dieser Zeit zu bewältigen gilt, ist der Übergang zwischen der alten und dieser karikierten neuen Zeit. Ob wir nun wollen oder nicht, wir müssen uns wohl oder übel damit auseinander setzen. Die ersten Anzeichen sehen wir schon in unserer depressiven Burnout-Gesellschaft, die erschreckender Weise nicht erkennt woran sie krankt.
Danke, Frau Doktor, da haben wir aber jetzt mal wieder eine tolle Theorie aufgestellt. Das will sowieso keiner hören und wissen. Jeder versucht einigermaßen mit allem zu Recht zu kommen was ihm begegnet. Das gelingt uns ja auch. Mehr recht als schlecht. Und da komme ich einfach so daher und verpöne den gesamten Fortschritt?
Nein, natürlich nicht. Wir sollten unsere Anpassungsfähigkeit allerdings dahingehend nutzen, dass jeder für sich versteht woran er arbeiten muss, um diesen Konsequenzen nicht hilflos ausgesetzt zu sein. Alles andere erzeugt vielseitiges Leiden. Wir sind nun mal soziale Wesen und voneinander abhängig, sonst verkümmern wir in uns selbst. Wer das ignoriert ist hoffnungslos verloren. Woran wir bisher litten ist nichts großartig anderes als unsere neuen Leiden. Nur in einem neuen Kleid.
Machen wir doch aus Einsamkeit und der Fähigkeit sie zu leben eine Tugend, die unser Überleben in einer computerisierten und automatisierten Welt sichert. Wir soll(t)en lernen alleine sein zu können und am besten auch zu wollen, wenn nötig – das zu üben und zu lernen, was uns bisher leiden ließ. Es ist nichts Schlimmes allein zu sein. Es ist sogar manchmal sehr förderlich, um ungestört an Dingen arbeiten zu können und sich zu entwickeln. Soll nicht heißen, dass es der Zweisamkeit vorgezogen werden sollte. Vielmehr ist es eine positive Ergänzung Einsamkeit als Seins Zustand zusätzlich zu akzeptieren und zu kultivieren. Denn Einsamkeit heißt nicht zwingend alleine zu sein, sondern ausschließlich bei sich und mit sich zu sein. Es hat also mit einer neuen Grundeinstellung des Lebens zum Thema Einsam, Zweisam, Mehrsam zu tun.
Ja, darf es denn wahr sein? Das kultivieren, was uns Leiden beschert? Ich soll Einsamkeit gut finden? Ich glaube es nicht.
Es geht doch nicht um gut finden – oder (?) - eigentlich doch. Was ist denn so schlimm daran mich selbst auszuhalten und zwar alleine? Das erwarte ich doch schließlich auch von Dir, mich auszuhalten und so zu nehmen wie ich bin. Vielleicht sollte ich vorher mal ausprobieren und erfahren, was ich Dir mit mir antue oder zumindest zumute. Wenn ich dann selbst mit mir alleine glücklich sein kann, dann geht das auch woanders. Kann ich überhaupt mit jemand anderem glücklich werden, wenn ich es mit mir selbst nicht hinkriege? Gehört nicht eigentlich Einsamkeitsfähigkeit und alleine-sein-können dazu als Grundvoraussetzung und Basis einer tragfähigen Beziehung, Freundschaft, familiärer Bindung oder jeglicher sonstiger Kontakte? Ich habe im Du nämlich nicht zu suchen, was ich in mir nicht finden möchte. Das lässt uns leiden, weil wir glauben der andere sei dafür verantwortlich. Wir geben uns nicht den Freiraum den wir brauchen, um durchatmen zu können und uns unserer eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden und (um) die Voraussetzungen zu schaffen sie zu befriedigen. Freiheit mit mir bedeutet auch frei sein können mit Dir. Frei von Leid. Auch frei von alten Leiden, die wir mit uns herumschleppen.
Wie jetzt, ich soll kompletto tutti bereinigt, defragmentiert und recycelt in eine neue Verbindung eintauchen? Super, da brauche ich bei und zwischen meinen Beziehungen aber diverse Jahre, wenn nicht gar ganze Leben, um alle Traumata zu verarbeiten und mich wieder in die Lage zu versetzen mich Ballastfrei auf jemand anderen einzulassen. Ist das wirklich erstrebenswert, oder tun wir das nicht automatisch, indem wir uns zurückbesinnen auf uns selbst?
Das, was dann aber passiert, ist, dass wir sämtliche Signale nach außen kappen. Andere spüren uns nicht mehr – genauso wenig wie wir uns selbst spüren können. Dabei könnten wir diesen Zustand hervorragend nutzen. Stattdessen leiden wir so vor uns hin, ungeliebt, dick, fett hässlich, unattraktiv, griesgrämig und vor allem einsam. Kultivieren wir Einsamkeit und Alleinsein allerdings und akzeptieren wir diesen Zustand als Notwendigkeit, können wir mehr Vorteile daraus ziehen, als uns womöglich lieb sein könnte. Denn wir bleiben im Geschäft, wir sind berührbar, wir sind da und bleiben es auch.
Ein Weg Einsamkeit und Alleinsein kompensieren zu wollen ist das Netz, das Internet(z). Es bringt uns aber nur dann etwas, wenn wir das Netz als Mittel zum Zweck nutzen, anstatt eine Beziehung zu ihm (als durch es) aufbauen zu wollen - der Ersatz für eine wirkliche reale Verbindung. Vorsicht - das Netz ist nicht berührbar, auch wenn es uns noch so persönlich daher kommt. Es vermag uns zu berühren, wenn wir diese Verbindung zu ihm in uns herstellen. Aber es ist und bleibt ein Netzwerk, nicht mehr und nicht weniger. Genau wie alle Personen, die wir in ihm erfahren. Das Internet erfüllt die Funktion für uns, die wir in es hineingeheimnissen und damit sollten wir sehr vorsichtig sein. Wir entfernen uns damit nicht nur von uns selbst sondern auch von allen anderen.
So ein Blödsinn, ich erschaffe mir doch dadurch erst die Kontakte, die ich ohne das Netz gar nicht erst hätte. Über große Entfernungen sogar visuell, von denen wir noch vor ein paar Jahrzehnten nur geträumt hätten. Jetzt ist aber mal wieder gut – wir sind alles mündige Wesen, die genau wissen was sie tun.
Eben nicht – nicht alle Nutzer sind mündig. Nicht umsonst sind sie eines (Kinder-/Jugend-) Schutzes bedürftig. Auch wir sind in diesem Metier Neulinge, weil nicht damit erwachsen geworden. Zwar mündige Neulinge, jedoch genauso schutzbedürftig. Und den müssen wir uns auch noch selbst angedeihen lassen. Diese vermeintliche Nähe, die hergestellt wird, die so nicht wirklich existiert und kann uns schon ziemliche Probleme bereiten. Wie kann unser Geist das verarbeiten, unser Gefühl das verkraften, unser Verhalten sich diesbezüglich anpassen?
Genial nach Hause zu kommen und es hat sich zwischenzeitlich jemand für mich interessiert. Vielleicht sogar jemand Neues? Im richtigen Leben ist das häufig nicht so, vor allem nicht so einfach, vielfach, schnell und direkt.
Aber genau das ist doch das irreale. In dieser Schnelllebigkeit bin ich schnell In und noch viel schneller wieder Out. Das will erst einmal verkraftet sein. Wenn ich damit in der Realität nicht zu Recht komme, wie sollte ich das erst in der Anonymität des Netzes im Zeitalter der Pseudonyme? Schützt mich die Distanz wirklich, oder lasse ich mich so sehr darauf ein, dass mich alles genauso berührt und Dinge auslöst, wie im normalen Leben?
Aber es schafft Wege aus der Isolation! Wirklich? Bin ich nicht erst dadurch fixiert isoliert, indem ich mich darauf einlasse, dass die virtuelle Welt bald gleich zu setzen ist mit meiner Realität, sie womöglich überschattet oder sie bereits oder bald sogar ersetzt? Die Hilfe, die wir uns selber geben sollten ist zu erkennen, dass alles außerhalb der menschlichen Ebene kein Ersatz sein kann für menschliche Nähe, Wärme, Liebe. Das ist das Einzige was zählt. Das ist nicht zu ersetzen.
Ach, ganz was Neues.
Wir suchen nach Wegen das herzustellen, was uns fehlt. Aus den Augen verlieren wir schnell, dass die Mittel dorthin nicht gleichzeitig die gewünschten Ergebnisse sind. Darin hängen zu bleiben ist fatal. Die Sucht nach Liebe bringt uns dazu viele verschiedene Fährten aufzunehmen – es sind jedoch nur Wege...und der Weg ist doch bekanntlich das Ziel.
Aber das weiß ich doch alles.
Also Krankheit als Weg, wie in den 70ern propagiert? Sucht ist eine Krankheit, die Leiden schafft. Alle Formen von Süchten lenken uns von der eigentlichen Sucht nach Anerkennung sprich Liebe ab. Wenn eine Sucht kurzfristig dazu dienlich ist das zu erkennen, dass wir eigentlich geliebt sein wollen, dann kann es ein Weg sein zu sich selbst und der Ausweg aus der Sucht herauszukommen. Süchte sind legitim, mittlerweile überall sichtbar und häufig unterschätzt. Der Suchtfaktor Liebe findet sich bei der meist jüngeren Generation in der moderneren Form als Essstörungen wieder. Ablenkung auf den Körper. Richtig ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen, aber doch nicht durch die Identifikation des Problems in der Körperlichkeit. Das sind allenfalls Symptome, die vom grundlegenden Problem ablenken. Oder stoßen sie uns regelrecht darauf?
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