In der Zwischenzeit sollte er wohl versuchen, sich aufzusetzen. Auch wenn er es seinem Getreuen zutraute, dass er ihn wie einen Greis auf dem Sterbebett füttern würde, wollte er sich und ihm diese Peinlichkeit ersparen. Na ja, vor allem sich.
»Gibt es neue Meldungen?«, fragte er und lüftete das Laken. Scham? Kannte er nicht, vor allem nicht Marks gegenüber, neben dem er auch ungeniert pissen und scheißen ging.
»Mak traf soeben ein, aber seine Tasche war wie bei den letzten Malen leer.«
Verdammt. »Gut.« Nein, es war nicht gut, er nahm die Nachricht nur zur Kenntnis. Warum antwortete Kacey seit Wochen nicht?
»Auf Sari und auf Botschaften aus Nohva warten wir noch«, schloss Marks ab und beäugte Riath neugierig, während er nähertrat.
Das Zeltinnere schwankte und verschwamm, als Riath sich aufgesetzt hatte. Er petzte für einen Moment die Augen zusammen und massierte mit zwei Fingerspitzen seine Schläfe. Die schwüle Hitze war ein Graus, ein feiner Schweißfilm schimmerte auf seinen nackten, glatten Muskeln, er fühlte sich klebrig und unsauber, stank. Das Aufsetzen hatte seine Atmung angestrengt, seine Lunge fühlte sich ausgetrocknet an und stach, als hätte er einen Berg bestiegen, sein Herz klopfte schwer.
Verdammte, sterbliche Hülle.
»Ich weiß, du kannst meine Sorgen darüber nicht mehr hören« - Marks griff zu einem silbernen Krug und goss Wasser in einen Kelch - »aber bist du dir wirklich sicher, dass er uns nicht verraten wird?«
Riath sah zu ihm auf, als er ihm das Wasser reichte, und trank gierig und dankbar. Kühl und wohltuend floss die klare Flüssigkeit seine Kehle hinab und bekämpfte den Schwindel. Erst nachdem er seinen Durst gestillt hatte, antwortete er.
»Warum sollte er das tun?« Er wusste, warum, und wich deshalb grimmig Marks Blick aus, indem er so tat, als wollte er den Kelch austrinken.
»Immerhin«, Marks druckste etwas herum, »war sie seine Schwester.«
Riath wischte mit dem Unterarm über seine feuchten Lippen und stellte den Kelch mit einem lauten Geräusch auf den kleinen Tisch neben seinem Lager. »Wir können Kacey vertrauen, er weiß, dass es um mehr als um die Familienehre geht.«
Marks wirkte noch immer besorgt, er verzog die vollen Lippen.
»Wo bleibt mein Becherchen mit Blut, Mutti?« Riath klimperte mit scheinheiliger Unschuld mit seinen langen Wimpern, wodurch er nur verdeutlichte, dass für ihn das Thema beendet war.
Es genügte, wenn er sich den Kopf zerbrach, Marks‘ Sorgen verstärkten im Moment nur seine eigenen, und wenn er nervös war, konnte er keine klugen Entscheidungen treffen.
Ein Ruck ging durch Marks. »Ja. Natürlich.« Er wandte sich eilig ab.
Als er zum Zelt hinaus ging, schlüpfte Mak hechelnd herein. Der Goldschakal sprang freudig auf Riath zu, der sofort die Arme ausbreitete und lachend den kleinen Scheißer empfing.
Mak und Sari waren sozusagen seine ersten Kinder gewesen, zwei Schakale, die er bei einer Jagd gefunden und liebevoll aufgezogen hatte. Und sie waren die mit Abstand treusten Diener und vertrauenswürdigsten Boten.
»Nächstes Mal«, sagte Riath zu Mak und strich ihm über die weichen Ohren, »beißt du Kacey in seinen süßen, kleinen Schwanz und zwingst ihn für mich zu einer Antwort, dann bekommst du zur Belohnung auch ein echtes Würstchen.«
Der Schakal hechelte und drehte sich auf Riaths Schoß auf den Rücken, sodass er sich fast an der eigenen, langen Zunge verschluckte. Er verstand die gesäuselten Worte als Lob, nicht als fiesen Scherz.
Riath kraulte ihm den Bauch. »Ich muss das wohl einfach selbst in die Hand nehmen.«
Auch wenn ihn ein Weg in die Hauptstadt des Kaiserreichs höchstwahrscheinlich den Kopf kosten würde. Er brauchte einen verdammt guten Plan.
Und um diesen zu schmieden brauchte er erst einmal ein saftiges Frühstück.
*~*~*
Der Tee war erkaltet und er verzog das Gesicht, als er unwissentlich daran nippte. Unglücklich stellte er ihn zurück auf das Silbertablett und schob beides von sich.
War denn wirklich bereits so viel Zeit vergangen, dass er nicht bemerkt hatte, wie sein Getränk erkaltet war? Er war sich sicher gewesen, dass einer der Diener seinen Tee gerade erst aufgebrüht hatte. Doch nein, ein Blick zu den Terrassen hinaus, die sich um das rechteckige Gebäude zogen, und er entdeckte, dass die Sonne zwischen den weißen Marmorsäulen weitergewandert war.
Er sah sich in der Versammlungshalle des Gerichtshauses um, hunderte von Menschen mit Titeln oder schlichtem, bescheidenem Reichtum tummelten sich in dem riesigen Saal auf weißen Marmorbänken, die Tribünenartig an drei Wänden hochgezogen waren. Eine Ansammlung alter und junger Elkanasai in knappen Tuniken und Togen und bunten Seidenschärpen, geflochtenen Frisuren und spitzen Ohren. Auf der höchsten Empore saß für gewöhnlich der Kaiser – heute vertreten von der Kaiserin – üblich flankiert von den fünf weisen Männern des Rates – Der Rat der Fünf. An den Seiten der Halle nahmen alle anderen Platz, die glaubten, sie hätten eine Stimme. Normale Bürger wurden selten empfangen, niedere Landbesitzer nahmen auf Holzbänken auf dem Boden zwischen den Emporen Platz, wie Angeklagte vor dem Richter.
Kacey saß von der Kaiserin aus an der rechten Wand ganz oben zwischen seinen hochrangigen Magierkollegen, als Vertreter und Sprecher der Akademie von Solitude. Der größten und berühmtesten Magieruniversität des gesamten Kaiserreichs. Vor genau drei Tagen hatte man ihm den Titel Oberster Magister verliehen, womit ihm die Schule quasi gehörte, nachdem sein Vorgänger nun leider seiner langen, leidensvollen Krankheit erlegen war.
Und so unschicklich sein nächster Gedanke auch war, der alte Mann hätte nicht zu einem günstigeren Zeitpunkt abtreten können, denn er war zuvor schon nicht in der Lage gewesen, die Belange der Akademie und der Schüler angemessen zu verwalten, vom Bett aus und halb im Delirium wie er nun mal war, war es ohnehin Kacey gewesen, der alles am Laufen gehalten hatte, doch leider waren ihm oft die Hände gebunden gewesen, da er für alles die Zustimmung und die Unterschrift des im Sterben liegenden Greises – die Götter mögen ihm gnädig sein – benötigt hatte.
Auch wenn er es niemals offen sagen würde, es gab leider häufig zu viele ältere Personen – vor allem in Führungspositionen –, die an ihren alten Denkweisen festhielten. So auch in Bezug auf die Sicherheit der Schule, nachdem sie zweimal angegriffen worden war. Die alten Magister waren sich einig, dass die Wachen und der Schutz der Stadt vollkommen genügten, immerhin wurden bisher alle Angriffe abgewehrt. Dass die Angreifer ihre Verteidigung irgendwann durchschauen würden, wollten sie nicht begreifen, sie hielten sich für klüger – und handelten doch unsäglich dumm. Sie hielten an ihren Traditionen fest, sich auf die Waffenkraft allein zu verlassen, obwohl vor einer Woche eine junge Schülerin umgekommen war und immer mehr Magier die Akademie verließen. Der Tod eines Mädchens war nicht genug, um zu erlauben, dass sie Magier auf den Kampf vorbereiteten, nicht einmal einen Schutzschild aus gebündelter Kraft wollten sie zulassen, dabei ginge es nur um die Verteidigung der Anlage und ihrer Bewohner. Kacey hatte seine treuen Schüler einfach zu sich genommen und gemeinsam einen Schutzschild beschworen – und viel Zorn und Unglauben geerntet. Doch zum Glück wählten nicht nur die älteren Lehrer den neuen Magister, sondern alle, auch die Schüler, und so übernahm er das ehrenwerte Amt.
Kurz um, er trug nun die gesamte Verantwortung für alle Magier des Kaiserreiches. Er sollte nervös sein, er sollte Angst haben, doch das hatte er nicht. Noch nie im Leben hatte er sich so sehr einer Verantwortung gewachsen gefühlt. Dort, wo er jetzt saß, dort gehörte er hin, denn er wusste genau, wofür er sich einsetzen wollte, und er würde nicht weniger als sein Leben dafür hergeben, um seine Schützlinge vor Schaden zu bewahren.
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