Rita M.Arane - Fake Face

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Eine Frau. Zwei Männer und das Gefühl nicht in diese Welt zu passen. Sie selbst weiß, dass sie anders ist als andere. Sie flieht vor ihren Leben. Vor sich selbst. Doch dann treten sie in ihr Leben und es ist dann nicht mehr so einfach, alles hinter sich zu lassen.
Ein packender Roman über Liebe, Vertrauen und den Mut zu sich zu stehen.

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Sie folgte der Wegbeschreibung von Mr. Fireman, und irgendwann sah sie die großen Ställe.

Wenig später hörte sie einige Pferde wiehern. Das Tor stand offen. Vorsichtig fuhr sie auf die große Einfahrt. Als sie ausstieg, kam ihr ein hagerer Hilfsarbeiter entgegen.

„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte der Mann, während er auf sie zuging.

„Ja, guten Tag. Ich habe hier eine Lieferung von Mr. Fireman.“ Der Mann schaute zu dem Lieferwagen rüber. „Okay, ich sag‘ dem Boss Bescheid“, antwortete der Mann und verschwand schnell in einem der flachen Backsteinhäuser. Elena schaute sich um. Sie sah eine große Koppel mit weiten Weideflächen. Überall gab es schöne arabische Hengste und Stuten. Auf der Koppel. Vor den Ställen. Vor der Reithalle. Pferde reckten ihre Köpfe aus den Stallfenstern. Einige wurden von ihren Pflegern gebürstet. Andere gesattelt. Die Luft war erfüllt von Heu und Gras. Sie bemerkte nicht, dass sich ihr in der Zwischenzeit ein Mann genähert hatte.

„Sie haben eine Lieferung?“, vernahm Elena eine ihr nicht unbekannte Stimme.

„Sie?!“, sagte Elena überrascht, als sie sich umdrehte. Jack O‘Neil stand lächelnd vor ihr. Sie hatte zuvor gar nicht auf die Namen in der Lieferpapieren geschaut.

„Elena!“ Er kannte ihren Namen noch, obwohl ihre erste Begegnung mittlerweile einige Zeit zurücklag.

„Sie sind noch hier? Ich dachte, Sie wären schon längst weitergezogen“, fuhr Jack fort.

„Ich habe Arbeit gefunden. Auf der Farm von Mr. Fireman.“

„Ich nehme an, zur Erntesaison?“

„Genau, aber danach bin ich dann wirklich weg.“ Nachdem sie das gesagt hatte, zog sich sein Lächeln merklich zusammen.

„Ähm … Mr. Fireman hat mir Hafer mitgegeben. Hier sind die Lieferunterlagen, Mr. O‘Neil.“

Elena überreichte ihm ein paar zusammengeheftete Papiere. Jack schaute zu seinen Hilfsarbeiten herüber, die unweit von ihm standen. Er machte mit seiner Hand eine kurze Bewegung, woraufhin die Männer sofort begannen, die großen Säcke abzuladen. Dann schaute er wieder zurück zu Elena:

„Jack … Nennen Sie mich Jack.“

Zustimmend nickte Elena kurz. Während Jack die Lieferscheine überflog und die Ladung kontrollierte, schweifte Elenas Blick wieder über die Koppel. In die Ferne. Die Pferde wieherten zufrieden. Elena hörte das schallende Geräusch ihrer Hufen auf den Pflastersteinen. „Sie haben es sehr schön hier“, murmelte Elena gedankenversunken vor sich hin. Jack warf Elena einen Blick zu. „Das ist das Gestüt meiner Familie. Seit über 150 Jahren in unserem Besitz. Es war ein Viehbetrieb, bis mein Großvater mit der Pferdezucht begonnen hat“, begann Jack zu erzählen.

In diesem Moment spürte Elena, dass ihr lautlos gestelltes Handy in der vorderen Tasche ihres Overalls vibrierte. Sie fischte das Handy heraus und blickte flüchtig auf das Display. „Entschuldigen Sie, ich muss da kurz rangehen“, unterbrach sie Jack und entfernte sich ein paar Schritte von ihm, bevor sie das Gespräch entgegennahm.

„Mama!? … Bitte, ich kann jetzt nicht reden. Ich ruf dich später zurück, okay? … Ja, es geht mir gut.“ Verstohlen schaute sie zu Jack rüber, der gerade die Papiere unterschrieb. Elena versuchte leiser zu sprechen. „Nein, mach dir bitte keine Sorgen … Warum weinst du? … Mama … Wirklich, es geht mir gut. Ich arbeite immer noch auf der Farm. Ich habe hier viele nette Leute kennengelernt …aber ich kann jetzt wirklich nicht reden… Grüß die anderen von mir…Ja…ok… Ich melde mich später.“

Sie legte auf und schloss kurz ihre Augen, bevor sie das Handy wieder in die Vordertasche steckte. Elena erzählte ihrer Mutter stets dasselbe.

In Wahrheit hatte sie nicht viel Kontakt mit den anderen Erntehelfern oder mit irgendjemandem aus dem Ort. An den wenigen freien Abenden oder Tagen zog sie sich allein in ihr Zimmer zurück. Aber das Alleinsein kannte sie schon. Kindergarten, Schule, Job. Sie versuchte die Erinnerungen daran abzuschütteln und die aufsteigende Traurigkeit im Keim zu ersticken. Sie konzentrierte sich darauf, Geld zu verdienen, und nicht darauf, Freundschaften zu schließen. Ein Lehrer ihrer alten Schule hatte einmal zu ihr gesagt: „Raben ziehen gemeinsam. Der Adler fliegt allein“. Warum er das zu ihr gesagt hatte, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie nach vorne blicken und weiterziehen wollte, sobald die Erntesaison vorbei war.

Elena schaute zum Heck des Lieferwagens und sah, dass der Wagen bereits entladen war. Auf der Fahrerseite stieg sie ein. Jack überreichte ihr die unterschriebenen Papiere, bevor sie die Fahrertür schloss. „Danke. Für die nächste Lieferung werde ich mich bei Mr. Fireman noch einmal melden“, sagte er. Elena nickte kurz, noch in Gedanken an das Telefonat mit ihrer Mutter und fuhr los.

„Countville“, las sie am ausgeblichenen Eingangsschild an der Straße. Vor einem kleinen Geschäft hielt sie den Wagen an und stieg aus. Sie nahm eine kleine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack und trank. Dabei ließ sie ihren Blick durch die Umgebung schweifen. Countville war ein „Dorf“. Oben am Ende der Straße befand sich eine alte Kirche. Die vom Moos bedeckten Dachziegel leuchteten in der prallen Sonne. Die Wolken hatten sich in der Zwischenzeit verzogen. In den meist zwei- bis dreigeschossigen Backsteinhäusern gab es nicht viele Geschäfte. Eine Bäckerei, eine Bücherei, ein Bekleidungsgeschäft, ein Juwelier, ein Blumengeschäft und direkt gegenüber an der breiten Straße ein Café. An den Tischen vor dem Café saßen einige ältere Menschen und genossen ihren Kaffee. Große Sonnenschirme waren aufgespannt und spendeten Schatten. Es war ruhig hier, schon fast idyllisch. Es roch nach Lilien und Gebäck. Während Elena sich umsah, blieb ihr Blick auf einer kleinen Seitenstraße hängen. Ein dunkelhaariger Mann an einem kleinen Stand winkte sie zu sich herüber. Elena schaute sich irritiert um, um sicherzugehen, dass sie gemeint war. Mit kleinen Schritten näherte sich Elena dem Mann. Jetzt sah sie, dass er mit einer kleinen Theke mit verschieden Eissorten vor einer Eisdiele stand. Ihr war dieser Laden vorher gar nicht aufgefallen, was vielleicht daran lag, dass trotz des schönen warmen Wetters hier kein allzu reges Treiben herrschte. Stühle und Tische vor der Eisdiele waren leer. Sie schaute durch das große Glasfenster in die Eisdiele hinein. Sie konnte einige Stühle und Tische erkennen. Und zwei Personen, die im Inneren saßen. Sie bemerkte ein Schild neben der Eingangstür. „Eis zum halben Preis“ stand darauf. Sie wollte gerade wieder kehrtmachen, als der mittelgroße, braunhaarige Mann mit einem italienischen Akzent ihr entgegenrief: „Kommen Sie, kommen Sie!“ Elena schüttelte den Kopf. „Ein anderes Mal, ich muss weiter. Tut mir leid.“ „Kommen Sie, Signorina. Ich habe leckeres Eis. Probieren Sie. Eis gratis für Sie.“ Elena überlegte kurz.

„Zitrone, Erdbeere, Vanille …“, zählte er daraufhin breit grinsend auf. Elena schaute auf die fast unberührten, selbst gemachten Eissorten in der kleinen Theke vor sich. „Zitrone, bitte.“ Während der Eisverkäufer eine Eiswaffel holte und mit einem Eisportionierer eine Kugel Eis aus dem Behälter mit dem Zitroneneis herausfischte, bemerkte Elena, dass eine ältere Dame aus dem Inneren zur Ladentür ging und sie anstarrte. Nervös zupfte sie an ihrer faltenfreien, geblümten Bluse herum. Der Mann überreichte Elena das Eis. Elena bedankte sich und probierte. Im nächsten Moment verzog sie ihr Gesicht und räusperte sich. „Antonio, warum siehst du es nicht endlich ein. Dein Eis ist einfach scheußlich!“, rief die ältere Dame heraus. Der Eisverkäufer schaute Elena beschämt an. „Nein, nein, alles okay. Es ist nur … ein wenig bitter“, entgegnete Elena, nahm ein Taschentuch aus ihrem Rucksack und wischte sich den Mund ab. Der Eisverkäufer wandte sich an die alte Dame. „Judith, warum gehst du nicht einfach wieder rein!“ sagte er und warf ihr einen grimmigen Blick zu.

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