Vor ihnen floh das Shuttle in Richtung Bergungszone. Plötzlich wurde es von einem Energiestrahl getroffen und flog auseinander. Anne schlug einen Haken, um nicht von Trümmern erwischt zu werden, und erreichte die Bergungszone. Aber die grausamen Verfolger machten nicht Halt und folgten. Die sechs Alienschiffe pulverisierten alles, was ihnen vor die Flinte kam. Schon sah Anne den äußeren Rand der Bergungszone auf sich zukommen und schoss in den Leerraum hinaus. Sie drehte sich um. Würde der Feind ihr folgen?
Nein. Die Oktaeder des Grauens kamen nicht hinterher. Sie hatten angehalten.
Queen Anne und Cooper Derdrake flogen nicht weiter in den Leerraum hinaus, es hätte auch keinerlei Sinn gehabt. Der Speedster hatte keinen Überlichtantrieb. Da draußen wartete nur der Tod durch Ersticken, sobald der Sauerstoff ausging.
*
„Wir müssen noch mal über Cosmo reden“, verlangte Chazz.
Ira ahnte, worauf er hinauswollte, und reagierte nicht.
Chazz ließ sich nicht beirren. „Ich weiß ja, wie sehr Cosmo dir am Herzen liegt“, fuhr er fort.
Konnte man das Thema wegschweigen?
„Und ich weiß auch, dass du nicht darüber reden möchtest. Aber Cosmo hat schon seit zwei Wochen nichts mehr gefunden.“
„Wenn er nichts findet, gibt es nichts. Und wenn es hier nichts gibt, müssen wir eben auf ein anderes Schiff übersetzen“, brach es aus ihr heraus.
„Dieses ist das einzige Schiff mit Schwerkraft und Luft. Du weißt, dass in den anderen Wracks nicht mal Ratten überlebt haben.“
„Mag sein, aber das bedeutet nicht, dass es keine Vorräte gibt.“
„Du träumst. Wir sind schon fast überall gewesen und haben nicht das Geringste gefunden.“
Ira schwieg.
„Sieh dir Sticks an“, forderte Chazz sie auf.
Unwillig wandte sie den Blick zur Seite. Sticks zappelte wie verrückt mit Armen und Beinen. Der Entzug machte ihn völlig fertig. Hörte das denn niemals auf? Irgendwann musste sein Körper sich doch normalisieren!
„Er war ja schon früher nur Haut und Knochen, aber jetzt sieht er aus wie ein Gespenst. Was glaubst du, wie lange er durchhält?“
„Sticks schafft das noch.“
„Sieh den Tatsachen ins Auge, Ira! Wir haben alles versucht, und jetzt ist Cosmo eben dran. Es geht nicht anders.“ Er hörte auf, an dem Spieß zu schnitzen, den er aus einem Kochlöffel gefertigt hatte.“
„Cosmo ist überhaupt nicht dran. Wenn es nicht anders geht, dann lass uns in Würde verhungern, statt zu Kannibalen zu werden!“
„Kannibalen? Übertreibst du nicht etwas? Cosmo ist eine Ratte. Und er wäre nicht die erste, die wir gegessen haben.“
Der kleine Cosmo streckte nichtsahnend die Nase aus dem kleinen Rucksack, den Ira für ihn genäht hatte, und witterte.
„Die du gegessen hast! Ich würde niemals Ratten essen! Cosmo gehört zum Team, habt ihr das vergessen? Einer für alle, alle für einen! Er hat oft genug Lebensmittel für uns gefunden, als es noch welche gab.“
„Ach, verdammt!“ Chazz fuhr mit der Hand durch die Luft, als wollte er Iras Argument weit wegwerfen.
„Und wenn du Cosmo gegessen hast, wer ist als nächster dran? Sticks oder ich?“ Sie warf einen Blick auf Sticks, an dem man kein Gramm Fleisch mehr ausmachen konnte. „Also ich dann wohl. Sieht so dein Plan für unsere Zukunft aus?“
Chazz schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Aber was sollen wir sonst tun?“
„Warten. Wir warten so lange, bis Mari Ried uns abholt. Sie wird kommen. Ich bin ganz sicher.“
*
Queen Anne beobachtete die schwarzen Oktaeder auf der kleinen Astroscheibe am Lenker des Speedsters . „Verdammter Mist!“, flüsterte sie. „In den Leerraum können wir nicht und zurück zur Flotte auch nicht, solange die dort lauern.“
Nach einigen Stunden tranken sie etwas Wasser aus dem Notvorrat ihrer Raumanzüge.
„Wie lange reicht das Wasser noch?“, fragte Cooper.
„Ich mag gar nicht daran denken“, antwortete Queen Anne. Wahrscheinlich hatte sie ihr Glück nun aufgebraucht. Erst der Notpack, dann der Speedster , mehr konnte man von einem Tag nicht erwarten.
Aber auch der nächste Tag war ihr wohlgesonnen. Kurz nachdem sie aus einem unruhigen Schlaf aufgewacht war, kam Bewegung in die Linie des Feindes. Die Oktaeder zogen ab.
Queen Anne startete den Speedster . Langsam und vorsichtig flogen sie zurück zur Bergungszone.
„Siehst du sie noch?“, fragte Cooper.
„Nein, die Sensoren zeigen nichts mehr an. Sie sind wirklich weg. Und da … das ist wirklich komisch!“
„Lass mich nicht dumm sterben!“
„Sie haben fünf Wracks verschont! Warum nur? Welche Logik verbirgt sich dahinter, dass sie fast die gesamte Flotte pulverisieren und ausgerechnet diese fünf Wracks stehen lassen?
„Vielleicht ist das so etwas wie ein Anstandshäppchen, wenn man seinen Teller nicht leer isst?“
Queen Anne lachte bitter.
Sie landeten auf dem ersten Wrack und verschafften sich Zutritt.
„Schwerkraft gibt‘s noch, aber die Luft ist raus. Wahrscheinlich ist irgendwo ein Leck. Immerhin werden Lebensmittel im Vakuum nicht schlecht. Weißt du, wo die Kantine sein könnte?“
„Nein, keine Ahnung. Das war wohl mal ein Schiff der Baronie, mit denen kenne ich mich weniger aus.“
Sie irrten eine Weile umher, bis im Licht ihres Helmscheinwerfers der Eingang zur Kantine auftauchte.
„Da hinten sind Vorratsschränke!“ Cooper deutete links in den Raum. „Aber die sind aufgebrochen!“, stellte sie beim Näherkommen fest.
„Vielleicht war schon ein Bergungsteam hier“, überlegte Anne.
„Vor oder nach dem Angriff der Aliens?“
„Keine Ahnung. Mich interessiert mehr, ob sie was gefunden und mitgenommen haben.“
„Lass uns noch die Kabinen der Besatzung inspizieren. Oft haben die was zu naschen in ihren Schränken.“
*
Einige Tage später hatten sie alle Schiffe vollständig durchsucht, alle bis auf eins. Sie versuchten, durch eine verschlossene Luftschleuse einzudringen und stellten überrascht fest, dass sie sie erst entlüften mussten.
„Die hydroponische Anlage scheint noch zu arbeiten“, vermutete Queen Anne.
„Wenn es Überlebende gibt, dann finden wir sie mit Sicherheit hier.“
„Und ihre Lebensmittel auch!“
„Die Frage ist nur, ob sie bereit sind zu teilen.“
„Also schleichen wir uns an!“
Sie regelten ihre Helmleuchten herunter, so dass sie gerade noch den Weg erkennen konnten. Langsam schlichen sie von Gang zu Gang.
Plötzlich nahmen sie in der Ferne einen flackernden Lichtschein wahr. Auf Zehenspitzen schlichen sie näher. Hinter einer Säule verborgen beobachteten sie drei Menschen an einem Lagerfeuer, wahrscheinlich ein Bergungsteam. Einer war offensichtlich drogensüchtig im Endstadium. Die beiden anderen unterhielten sich.
„Wir warten so lange, bis Mari Ried uns abholt. Sie wird kommen. Ich bin ganz sicher“, sagte eine Frau.
Queen Anne griff sich an den Kopf. Das war der Beweis, dass es sich um ein Bergungsteam handeln musste, denn so naiv konnte sonst niemand sein. Zugleich ärgerte sie sich über ihre Vorurteile. Hatte sie sich nicht dem Widerstand angeschlossen, um die Bergungsteams an Wohlstand und Bildung teilhaben zu lassen? Aber daraus wurde nichts mehr. Das Schicksal war ein Zyniker: Sowohl die Ausbeuter als auch der Widerstand waren weg. Nur noch das Bergungsteam war übrig.
Jedenfalls drohte keine Gefahr. Queen Anne trat hinter der Säule hervor. „Hallo, Leute“, sagte sie.
„Habt ihr Lebensmittel gefunden? Ist noch was übrig?“
Der Drogensüchtige reagierte nicht. Der Mann und die Frau sahen sich an.
„Nur noch eine Ratte“, sagte der Mann mit großen Augen, die vor Gier fast aus den Höhlen quollen.
*
Sie hatten das Wrack noch einmal akribisch genau durchsucht, aber nichts gefunden. Das tagelange Hungern zehrte an ihnen. Chazz, Cooper und Queen Anne lagen apathisch am Boden. Sticks hatte aufgehört zu zappeln. Lebte er noch?
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