„Ich denke wir können Sie hier leider nicht mehr weiter beschäftigen.“ Dann sah er wieder hinunter auf seine Tastatur und fuhr in beiläufigem Ton fort: „Holen Sie sich bitte in der Personalabteilung Ihre Papiere. Auf Wiedersehen und viel Erfolg an anderer Stelle!“
Herr Jones griff Loras Arm und zog sie in Richtung Tür, doch Lora wehrte sich und löste mit einem energischen Schwung den Griff ihres Chefs. Ihre Miene verfinsterte sich und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Dann ging sie geradewegs und zu Allem entschlossen auf den großen Schreibtisch zu, stützte sich mit beiden Armen darauf und schrie dem Geschäftsführer, dem fast der Zigarillo aus dem Mund fiel, mitten ins Gesicht: „Sie feuern mich? Sie lebende Nikotinkippe? Putzen Sie erst einmal ihr verdrecktes Büro! Ihre Firma ist doch marode von unten bis oben. Das ganze Haus ist so alt, dass es fast auseinanderfällt. Überall sind Risse in den Wänden und die Milben im Teppich haben inzwischen eine eigene Zivilisation aufgebaut. Nichts funktioniert richtig: Ihr blödes Computersystem stürzt ständig ab, die Hälfte der Leute hier hat nicht den Hauch einer Ahnung, was sie hier tut, nicht mal der Getränkeautomat, den sie wahrscheinlich von einem Museum geschenkt bekommen haben, funktioniert richtig. Die Angestellten lachen sich doch tot über Sie und Ihren übergewichtigen Laufburschen hier!“
Herr Jones hatte längst wieder Loras Arm gepackt und versuchte sie wegzuzerren, aber der Geschäftsführer stoppte ihn: „Lassen Sie nur, Jones, lassen Sie sie!“ Er blickte mit einem breiten Grinsen in Loras verärgertes Gesicht. „Ist das jetzt einer dieser berühmten Wutausbrüche Ihrer Spezies? Sehen Sie nur, Jones, sie wird blau! Es stimmt, Iriduaner werden blau, wenn sie sich aufregen. Wie toll, dass ich das mal miterleben darf.“
„Ich werde gleich noch viel blauer! Ist es vielleicht das? Feuern Sie mich, weil ich keiner von Ihren supertollen Menschen bin? Ihr Scheißplanet hat doch bisher nur Mist hervorgebracht! Welche Kreatur hat mich geritten in einer Menschenfirma anzufangen?“ Lora schrie inzwischen so laut, dass selbst ihre eigenen Ohren schmerzten. Herr Jones und der Geschäftsführer sahen sich das Ganze mit breitem Lächeln im Gesicht an.
„Auf Eurer so ‚wahnsinnigtollendassichfastverrücktwerde‘ Erde gibt es doch nur aufgeblasene, hässliche und verblödete Idioten, die einen Planeten, auf dem es nur regnet und der im Müll versinkt, SUPER finden.“ Lora hielt einen Moment inne und rang nach Atem, während sich ihre Hautfarbe bereits in ein kräftig leuchtendes Königsblau verwandelt hatte.
Der Geschäftsführer zog bedächtig an seinem Zigarillo und fragte dann schmunzelnd und mit ruhigem Ton: „Gibt es auch etwas, was Sie an dieser Firma oder vielleicht an unserem Heimatplaneten mögen?“
Lora beruhigte sich langsam wieder: „Ja, gibt es tatsächlich: Ich mag Ihre Kakerlaken. Die schmecken einfach geil, aber in dieser Firma ist selbst die Kantine zum Kotzen. Warum gibt es hier keine Kakerlaken? Die einzige echte Erdendelikatesse und hier gibt es sie nicht, unglaublich! Wahrscheinlich wieder so eine blöde Sparmaßnahme!“
„Meine gute Frau Nyrasis.“, entgegnete Herr Jones: „Waren Sie eigentlich schon einmal auf der Erde?“
„Nein, wieso?“, fragte Lora mit zitternder Stimme und ihre blaue Farbe verblasste in Rekordgeschwindigkeit.
„Menschen mögen gar keine Kakerlaken. Das ist nur das ‚angepasste‘ Essen in sogenannten Erden-Restaurants, die es wahrscheinlich auch auf Ihrem Planeten zuhauf gibt und die versuchen, ihre Ungezieferprobleme mit Hilfe der Speisekarte zu lösen. Und die Sache mit dem ganzen Müll auf der Erde: Nun ja, das ist ein dummes Gerücht, das wahrscheinlich auch von Ihrer abgedrehten Spezies in die Galaxie gesetzt wurde. Und jetzt hauen Sie endlich ab, Sie sind gefeuert!“, und mit diesen Worten schien die Angelegenheit für Herrn Jones und auch für den Geschäftsführer erledigt zu sein, denn dieser sah wieder nach unten auf die Tastatur und suchte weiter nach dem nächsten Buchstaben.
Lora wollte noch etwas erwidern, aber verkniff sich jeden weiteren Kommentar. Sie drehte sich auf der Stelle um und ging schnell und ohne Gruß aus dem Büro. Die Tür ließ sie offenstehen und lief weiter, nicht zur Personalabteilung, um ihre Papiere zu holen, sondern geradewegs die Treppe hinunter zum Ausgang. Ohne zu bremsen ging sie durch die große, gläserne Drehtür im Foyer, die sich hinter ihr noch lange mit hohem Tempo weiterdrehte.
Erst auf dem Vorplatz des riesigen Bürogebäudes stoppte sie und stand für einen Moment regungslos da, während die Leute eilig, in Gedanken versunken und ohne Lora zu beachten, an ihr vorbei strömten. Loras Gedanken drehten sich im Kreis herum, steuerten ihren Blick über die gegenüberliegende graue Häuserfassade, ließen Szenen der vergangenen Wochen aufblitzen: Die Ankunft in New Auckland, der erste Arbeitstag, das schlechte Essen in der Cafeteria, die kaputte Dusche im Hotel, der Cocktail mit den Kollegen in der Bar an der Ecke, der Geschäftsführer in seinem verrauchten Büro: Alles vermischte sich zu einer unkontrollierbaren Bilderflut. Aber Lora versuchte, sich zusammenzunehmen. Sie sah sich kurz um und ging zu einer Bank neben einem der beiden großen Springbrunnen auf dem Vorplatz, setzte sich und starrte einfach nur vor sich hin.
Am Rand des Springbrunnens kämpften drei kleine Vögel um ein paar Brotkrümel. Als diese ins Wasser fielen, war der Futterstreit zu Ende und die drei Vögelchen sahen den davonschwimmenden Brotkrumen hinterher. Loras Blick glitt mit ihnen über die Wasseroberfläche, bis er an der Fontaine in der Mitte des Brunnens hängen blieb und entlang des hervorschießenden Wasserstrahls nach oben gelenkt wurde. Der Himmel war wolkenverhangen wie jeden Tag. Die Transportgleiter zogen entlang der übereinander angeordneten Luftstraßen ihre Bahnen und glichen Raubvögeln, die kreuz und quer über die künstliche, effizienzoptimierte, Industriestadt zogen und nach Beute Ausschau hielten. Alles funktionierte wie immer.
Nach ein paar Minuten füllte sich Loras Kopf wieder mit Gedanken. Sie führten sie zurück nach Hause, nach Iridua. Lora dachte daran, wie sie am rotsandigen Strand lag, während sie ihren zwei Heimatsternen zusah, wie diese am Horizont ins glitzernde Meer eintauchten. Die Luft roch nach Salz und Sand und das Rauschen des Meeres ließ die Zeit stillstehen. Wärme umhüllte ihren Körper, ja sie konnte sogar den feuchten Sand auf ihrer Haut spüren. Das funkelnde Licht tanzte in ihren Pupillen, während der leichte Wind, der vom Meer herein blies, ihren Körper mit einem kurzen kühlen Schauer streichelte.
Doch die gedankliche Reise zu ihrem Heimatplaneten fand ein jähes Ende: „Bitte eine Spende für einen Mittellosen!“, schrie ihr ein Mann fast direkt ins linke Ohr. Lora zuckte zusammen und sah den Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Hunger und Krankheit hatten über die Jahre hinweg tiefe Narben auf sein Gesicht gezeichnet, eingerahmt vom ungepflegten, weißen Bart und den ebenso weißen, buschigen Augenbrauen. Er stand leicht nach vorn gebückt auf seinen Stock gestützt vor Lora: „Scannen Sie eine Spende für einen Mittellosen, fünfzig oder sechzig Unicents reichen schon, bitte!“, sagte der Mann mit einem freundlichen, schon fast jugendlich wirkenden Lächeln und hielt ihr einen Scanner unter die Nase.
„Tut mir leid!“, entgegnete Lora: „Ich bin gerade gefeuert worden.“
„Aber wer feuert denn ein so hübsches Lächeln wie Ihres? Und noch dazu ein iriduaisches!“, wunderte sich der Mann, zog den Scanner zurück und setzte sich neben Lora. „Bei welcher Firma waren Sie denn?“
„Gleich da hinten, bei ‚Webber-Cole-Digitals’.“
„Ach!“, sagte der Mann laut und beugte sich mit einem Lachen nach hinten: „Na da dürfen Sie doch gar nicht erst anfangen, in diesen typischen Menschenfirmen. Das sind Halsabschneider und teuflische Kreaturen!“
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