Ich ertrage diese Negativität aber nicht mehr. Und dass ich nicht entscheiden darf, wer in meinem Bett schläft … Mein Vater freut sich bestimmt darüber, seine Macht ausspielen zu können. Vor allem kann ich seine Argumentation nicht nachvollziehen. Er lässt nur seine schlechte Laune an mir aus. Ich überlege mir was. Du musst nicht im Auto schlafen …
Ich finde das echt süß von dir … Lars ist ein Arschloch. Er war neidisch auf mich, dass wir beide am Sonntag bei ihm waren und Spaß hatten und jetzt hat er sich auf Krampf eine hässliche Alte ans Bein genagelt und da sie heute ein Date bei ihm haben, kann ich jetzt sehen, wo ich bleibe.
Ein Freund, der mit dir in den Konkurrenzkampf geht, ist kein wahrer Freund …
Mich nervt der Typ eh nur ab … aber bald hat das ja ein Ende. In ein paar Tagen habe ich mein eigenes Zimmer.
Ich überlege, wie ich Liam helfen kann. Ich will heute nicht hier bleiben. Ich muss raus. Und sei es, dass wir beide zusammen in seinem Auto pennen. Kurz überlege ich, Toni zu fragen, aber mein Bauchgefühl rät mir davon ab. Plötzlich fällt mir die Lösung ein! Davids Wohnung! Er und Alina sind vor ein paar Tagen ins Ausland gefahren, um ihre Verwandten zu besuchen.
Und den Wohnungsschlüssel, den ich nach unserer Trennung für den Notfall, dass er Hilfe braucht oder er seinen Schlüssel verliert, behalten durfte, habe ich Josh gegeben. David weiß, dass er der neue Besitzer des Schlüssels ist. Nun werde ich ihn mir ausborgen müssen. Ich klopfe an seiner Zimmertür.
„Jaaa?“, dringt es durch das Holz.
„Hey, Bruderherz. Ich hab da was vor …“, beginne ich, ihm mein Vorhaben durch den leicht geöffneten Türspalt zu erzählen.
„Das wäre?“, fragt er nach.
„Liam hat keinen Schlafplatz für die Nacht … und da David weg ist …“
„Das willst du nicht ernsthaft machen, Mel?“, unterbricht er mich mit einem großen Grinsen im Gesicht.
„Doch. Ich wollte dich fragen, ob du mir Davids Schlüssel geben kannst“, fahre ich fort.
„Du bist verrückt! Wenn er das herausfindet, hänge ich mit drin.“
„Quatsch! Die Verantwortung liegt bei mir. Außerdem wird er es nicht bemerken. Wenn man nicht davon ausgeht, dass jemand in der Zwischenzeit in der Wohnung ist, wird es auch nicht auffallen, wenn vielleicht ein wenig Klopapier fehlt. Ich sage sonst, dass ich ihn mir einfach genommen habe. Dann bist du aus dem Schneider.“
„Hm. Na gut. Ich finds irgendwie cool, dass du das machst! Er schuldet dir eh was. Von daher kann er dir unwissentlich diesen Gefallen tun.“
„Das sehe ich ganz genauso“, stimme ich meinem Bruder zu.
Joshi überreicht mir den Schlüssel und wünscht mir eine gute Nacht.
Ich habe einen Schlafplatz!
Ach, echt? Wo denn?
Bei David. Er und seine Freundin sind weg. Die Wohnung ist also leer.
Und du hast ihn gefragt?
Nein. Ich habe erst überlegt, ob ich ihn frage und vielleicht würde er sogar Ja sagen, aber er könnte es auch verbieten. Wenn wir es einfach tun, wird es definitiv nicht auffallen. Tun wir es, obwohl er es nicht will, fällt ihm vielleicht etwas auf, weil er davon weiß …
Da hast du wohl recht. Wie du magst. Also ich freue mich, wenn wir zusammen die Nacht verbringen und ich nicht im Smart schlafen muss. Wo muss ich denn hinfahren?
Ich nenne ihm die Adresse.
Prima. Und wie lautet die nächste Bahn Station? Ich sammle dich dort ein.
Lattenkamp. Ich packe ein paar Sachen zusammen und fahre dann direkt los.
Ich freue mich. Bis gleich.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass er mich wenigstens abholt, wenn ich ihm schon einen Schlafplatz besorge …
Aber nun gut. Ich packe meine Zahnbürste und Zahnpasta ein, eine Haarbürste und die Produkte, die meine Blasenentzündung so gut wie weggezaubert haben. Noch fühle ich, dass sie nicht ganz weg ist, daher verwende ich sie weiter.
Das bedeutet, dass es heute leider keinen Sex im Bett meines Ex-Freundes mit einem dominant-devoten Stripper geben wird. Schade. Das wäre ein schöner Rachefeldzug. Vor allem hat er endlich ein großes Schlafsofa für zwei Personen, welches er sich besorgen wollte, als wir zusammen waren, es aber nie getan und deshalb immer bei mir übernachtet hat. Heißt, wir konnten selten ausgelassenen Sex haben. Gut, wäre eh nicht wesentlich besser gewesen. Scheiße kann man nicht polieren. Trotzdem hat es mich geärgert, dass wenn ich mal bei ihm übernachtet habe, auf einer harten, schmalen Matratze auf dem Boden schlafen durfte. In seinem Einzelbett war es zu zweit viel zu eng.
Als deren damaliger Sänger nach einer Partynacht mal bei ihm geschlafen hat, weil es zu ihm nach Hause keine gute Verbindung mehr gab, mussten wir uns in das kleine Bett zwängen, mit dem Resultat, keine ruhige Nacht gehabt zu haben. Man wachte ständig auf …
Es ist irgendwie ein Klischee, dass manche Dinge mit einem neuen Partner plötzlich möglich sind. Immerhin profitieren Liam und ich nun davon.
Als ich in der U-Bahn sitze, begleitet mich ein kleines schlechtes Gewissen. Mein Vater fand es gut, dass ich eine Lösung gefunden habe und hat mich nicht davon abhalten wollen, das durchzuziehen. Wenigstens haben wir uns nicht im Streit getrennt. Was ungünstig gewesen wäre, da ich morgen mit der Band meines Vaters unterwegs bin und wir somit den ganzen Tag zusammen verbringen werden.
Ich weiß, dass David kein schlechtes Herz hat und mir nie mit Absicht wehtun wollte, daher hat er es natürlich nicht verdient, dass ich ihn jetzt nicht um Erlaubnis frage, aber Liams Wohlbefinden ist mir gerade schlichtweg wichtiger.
Toni habe ich nichts erzählt, denn ich bin mir sicher, sie hätte mir davon abgeraten.
Nein, auf eine Moralpredigt kann ich getrost verzichten. David hat mich damals dermaßen angelogen … Dagegen ist diese Lüge, diese Aktion nichts. Es verletzt ihn nicht. Das Einzige, was er tun müsste, wäre sein Bett frisch zu beziehen. Ob er mir in Zukunft noch vertraut, wäre mir egal. Mein Vertrauen benötigt er nicht mehr und ich nicht seines.
Und würde er den Kontakt abbrechen, der eh kaum besteht, würde ich das definitiv verkraften können.
Kurz bevor ich meine Zielstation erreicht habe, macht sich ein wenig Aufregung in mir bemerkbar.
Auf meinen Handflächen bildet sich ein feuchter Film. Verstehen tue ich das nicht. Liam weiß, dass es keinen Sex geben wird. Wir übernachten bloß in der Wohnung meines Ex-Freundes.
Wieso bin ich jetzt nervös? Es ist noch nicht mal eine vorfreudige Aufregung. Ähnelt eher dem Gefühl, gleich einen Vortrag halten zu müssen, auf dem man schlecht vorbereitet ist.
Liam steht bereits am Ausgang und wartet auf mich. Schlagartig ist mein Lampenfieber verschwunden. Wirklich merkwürdig …
„Hey, Kleine“, begrüßt er mich mit einem Küsschen links und einem rechts.
Denkt er, dass eine Blasenentzündung ansteckend ist oder wieso bekomme ich keinen Kuss auf den Mund?!
„Hi“, antworte ich knapp.
„Mein Auto steht gleich da drüben.“
„Alles klar. Bis zu David ist es nicht weit. Müssen nur schauen, ob wir dort einen Parkplatz finden.“
„Mit einem Smart sollte das wohl möglich sein“, lacht er.
„Auch wieder wahr“, schließe ich mich seinem Lachen an.
Das erste Mal genieße ich den Vorteil eines Smartes. Normalerweise ärgere ich mich, wenn ich mit meiner Familie im Auto sitze und wir einen Parkplatz suchen … Immer kommt Freude auf, einen Parkplatz gefunden zu haben und im nächsten Moment folgt die Enttäuschung, weil ein Smart diesen belegt.
Wir haben Glück und finden fast vor der Haustür eine Parkgelegenheit. Es fühlt sich komisch an, als ich unten die Eingangstür öffne. Hoffentlich kommen uns keine Nachbarn entgegen …
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