„Es entspricht wohl dem Grundprinzip unserer westlichen, kapitalistischen Wirtschaftsordnung, dass das, was der Staat und Öffentlichkeit nur fordert, aber nicht selbst vollbringt, von ambitionierten und risikofreudigen Pionieren vorangetrieben werden muss“, bestärkte Mo ihren Optimismus voller Freundlichkeit.
Una nahm das Kompliment mit einem geschmeichelten Lächeln auf und hatte auf einmal eine kleine Warnung auszusprechen:
„Eines möchte ich Ihnen noch sagen, bevor gleich mein Vater erscheint. Er ist alles andere als ein einfacher Mensch. Für die Einen ist er nur ein Exzentriker und Spinner, der sein Geld für verrückte Projekte zum Fenster hinauswirft, doch für die Anderen ist er nicht weniger als ein Guru, der einige Bedeutung für das Anbrechen eines neuen Zeitalters hat. Ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie sich in das Lager seiner Verehrer schlagen, sondern nur, dass Sie etwas Nachsicht für einige Eigenheiten in seinem Charakter und Verhalten aufbringen.
Er lädt übrigens selten Fremde hierher ein, weil dieser Ort sehr privat für uns ist. Wenn er bei Ihnen eine Ausnahme macht, beweist das vor allem, wie wichtig ihm sein Auftrag an Sie ist.“
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Sie hatten einige Zeit auf Donovan warten müssen und währenddessen von Una einige weitere interessante Dinge erfahren. Irgendwann sprang plötzlich ein Hund durch die Rosenhecke in den Kräutergarten, stob auf sie zu und tänzelte aufgeregt um dem Tisch herum. Er erwies sich als ein hübscher, blutjunger Irish Terrier, dessen Lebhaftigkeit, Neugierde und Verspieltheit Mo sofort gefiel und ihn an seinen eigenen Hund Dr. Watson erinnerte.
Bald darauf erschien eine stattliche Gestalt, die in ein paar groben Lederstiefeln, einer grauen, schmutzigen Jeans sowie einem halb offenen, naturfarbenen Leinenhemd steckte und auf den ersten Blick wie ein Bauer oder Holzfäller wirkte. Bei ihrem Näherkommen zeigte sich, dass ihr kerniges, von Falten durchzogenes und von einer breiten Boxernase dominiertes Gesicht zu einem ausgeprägten Charakterkopf mit dichten, schlohweißen Haaren gehörte, der sich auf den ersten Blick keiner eindeutigen Wesensrichtung zuordnen ließ. Ronan Donovan schien – so wie es wohl seiner Absicht und seinem Lebensstil entsprach - mehrere Persönlichkeiten in sich zu vereinigen, von denen er an diesem Tag offenbar die eines gemütlichen, unscheinbar wirkenden alten Mannes gewählt hatte, der in Begleitung seines Hundes zufrieden seine Runden über seinen Grund und Boden drehte. Lediglich eine teure Sonnenbrille, die er sich auf den Kopf hochgeschoben hatte, und eine spezielle, um seine rechte Schulter geschnallte Tasche, aus der der Schlauch einer kleinen Sauerstoffflasche hing, deuteten darauf hin, dass an ihm nicht alles so bodenständig und einfach war, wie es zunächst den Anschein hatte.
Seine Lungenfibrose zwang ihn, ein paar Mal zur Stärkung Sauerstoff aus dem Schlauch der Flasche zu inhalieren, bevor er auf sie zutrat, ein breites Lächeln auflegte und mit ein paar launigen Begrüßungsworten willkommen hieß. Dabei war nicht klar, ob die leichte Überschwänglichkeit, die sofort an ihm zu bemerken war, ein fester Bestandteil seines Charakters war oder der aufputschenden Wirkung des reinen Sauerstoffes zuzuschreiben war.
„Aha, da sind sie ja, die beiden Detektive aus Rutherford. Pünktlich und korrekt gekleidet, wie es sich gehört! Ich hoffe, Sie finden es nicht närrisch, dass ein alter, reicher Sack wie ich sein Herz so sehr an ein einfaches Stück Land mit ein paar Pflanzen und Tieren hängt. Manchmal denke ich, Block Island wäre die ideale Arche Noah. Man könnte auf der Insel eine Auswahl von Tieren und Pflanzen versammeln, damit sie den nächsten Weltuntergang überlebt. Ich fürchte nur, die rund 9700 Quadratmeilen der Insel wären fast zu klein dafür.
Na, kommen Sie, kommen Sie, ich werde Ihnen mal ein bisschen was zeigen, wenn Sie schon extra hier heraus gekommen sind! Sie haben sich hoffentlich etwas Zeit in Ihr Reisegepäck gesteckt!“
Die auffordernden Bewegungen seiner rechten Hand wirkten so energetisch wie ein starker Magnet und ließen Mo und Mary sofort aufspringen. Damit war schon jetzt klar, was für eine dominante und einnehmende Persönlichkeit Donovan besaß.
Mary, Mo und Una folgten ihm aus dem Garten auf einen schmalen, ausgetretenen Pfad, der durch ein hoch gewachsenes Gras- und Staudenfeld führte. Sie durchquerten einen Hain aus kleinen, frisch gepflanzten Gelbkiefern und hatten danach ein etwa 6 Yards hohes Türmchen aus lose aufgeschichteten Felssteinen vor sich. Sie betraten es durch eine türlose, gerundete Maueröffnung und stiegen eine eng gewundene Steintreppe zu einer kleinen Aussichtsplattform hinauf. Donovan schnaufte vor Anstrengung, steckte sich gierig saugend den Schlauch des Sauerstoffgerätes in den Mund und beruhigte danach seinen jungen, ihm stets auf den Fuß folgenden Terrier. Dann wies er mit einer theatralischen Handbewegung über die plötzlich weithin sichtbar gewordene Insellandschaft bis auf die in der Sonne glitzernde, in der Ferne mit dem Horizont in einem dunstigen Blau verschmelzende See hinaus.
„Ich möchte Ihnen ein bisschen etwas von der Energie vermitteln, die mich dazu bewegt, internationale Naturschutz- und Geoengineering-Projekte durchzuführen. Ich bin sicher, wenn Sie auch nur annähernd etwas von meiner Liebe zur Natur verstehen, werden Sie voller Begeisterung eine hervorragende Arbeit für mich leisten!
Sehen Sie nur, wie sich in diesem Bild aus Erde, Himmel, See und Licht alles so wunderbar ineinander fügt, als wollte es uns jede Minute und Sekunde etwas von der ewigen Schöpferenergie des Universums vermitteln! Diese Energie war von Anfang an da und wird für immer da sein. Sie ist ewig und göttlich und unzerstörbar. An diesem Ort muss man nur aufstehen und hinsehen und schon liegt etwas von dieser Energie wie ein anschauliches Bild vor einem!“
Donovans schwelgerischer Enthusiasmus war seiner Tochter etwas peinlich, weshalb sie glaubte, den beiden erstaunten Besuchern aus der Stadt leise erklären zu müssen:
„Die begeisterte Art meines Vaters kann manchmal etwas ungewöhnlich wirken. Sie müssen wissen, dass das auch ein wenig mit dem reinen Sauerstoff aus der Flasche zusammenhängt…“
Ihr Vater hatte alles gehört und schien derartige Bemerkungen gewohnt zu sein, da er in keiner Weise ärgerlich reagierte und unbeirrt an seiner pathetischen Art festhielt.
„Sehen Sie, ich war jahrzehntelang ein Mann, der nur das Geld und seine Vermehrung kannte. Viele wissen nicht, dass es nicht allein die Diagnose meiner Krankheit war, die einen tief greifenden Transformationsprozess in mir auslöste. Ich hatte nämlich ein fulminantes Gotteserlebnis, das alles in mir auf den Kopf stellte. Ich werde Ihnen die Einzelheiten jetzt ersparen, wichtig ist nur Folgendes: Seitdem wirkt das Licht in mir und alles, was mir das Licht gibt und sagt, bewegt mich dazu, alles herzlich umfangen, lieben und schützen zu wollen. Der Gott, dem ich folge, hat weniger mit der Religion als mit der alles umfassenden Liebe zu tun. Er hat mir die Aufgabe gegeben, den Reichtum, den ich früher zusammengerafft habe, zum Wohl der Erde und der Menschen einzusetzen. Ich werde diesem Auftrag bis an mein Lebensende folgen und hoffe, dass ihn danach meine Tochter weiterführt.
So, und nun lade ich Sie ein, mich zurück zum Haus zu begleiten, damit wir das Geschäftliche besprechen können!“
Er sog wie zur Besiegelung seiner Aufforderung ein paar Mal an dem Sauerstoffschlauch und schickte sich dann an, die kleine Aussichtsplattform wieder zu verlassen. Mo und Mary ließen seine hoch gestochenen Worte noch einen Moment auf sich wirken und bestaunten dabei eine kleine Gruppe junger Ponys, die friedlich auf einer wilden Wiese graste. Dann folgten sie Una die Treppe des Aussichtstürmchens hinunter.
Da Donovan sie einen anderen Weg zum Haus zurückführte, kamen sie an einem Geröllhaufen vorbei, den sie vorher nicht gesehen hatten und auf dem ein großes, verwittertes Holzkreuz mit der Aufschrift „Tully Cross“ stand.
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