Für Robert und
Ginny Heinlein,
deren Freundlichkeit uns gegenüber mehr bedeutete, als schlichte Worte ausdrücken können.
In den frühen 1970ern wurde unsere Verkaufstechnik optimiert. Zuerst setzten wir immer eine Kleinanzeige in die jeweilige Lokalzeitung:
Kleinklavier und elektronische Orgel, wieder in Besitz genommen, in einwandfreiem Zustand, UNTER WERT. Bargeld oder geringes Kreditrisiko erwünscht zwecks Übernahme der Raten statt Rückführung nach Oregon. Kontakt: Frauenzimmer Pianos, Mr. Rock, Kreditmanager, Ontario, Oregon.
Diese Annonce haben wir jahrelang in einer Stadt nach der anderen laufen lassen, überall in den westlichen Bundesstaaten, bis hinein nach Colorado. Das Ganze steht auf einer wissenschaftlichen, systematischen Basis. Wir benutzen Landkarten, decken sämtliche Städte ab. Wir haben vier turbinengetriebene Transporter, die ständig unterwegs sind, mit je einem Mann pro Wagen.
Wir platzieren die Anzeige also etwa im San Rafael Independent, und bald trudeln die ersten Reaktionen in unserem Büro in Ontario ein, wo sich mein Partner Maury Rock um alles kümmert. Er sortiert die Briefe, erstellt Listen, und sobald in einer bestimmten Gegend, sagen wir im Umkreis von San Rafael, genug Kontakte zusammengekommen sind, lässt er dem jeweiligen Fahrer die Unterlagen zukommen. Zum Beispiel Fred unten in Marin County. Wenn Fred die Adressen bekommt, zieht er seine Landkarte hervor und listet die Anfragen in der richtigen Reihenfolge auf. Und dann klemmt er sich hinters Telefon und ruft den ersten Interessenten an.
In der Zwischenzeit hat Maury jeder Person, die auf die Anzeige geantwortet hat, einen Brief geschickt:
Sehr geehrter Mr. Soundso,
vielen Dank für Ihre Antwort auf unsere Kleinanzeige im San Rafael Independent! Der für diese Angelegenheit zuständige Mitarbeiter befindet sich zurzeit im Außendienst, daher haben wir ihm Ihren Namen und Ihre Anschrift weitergeleitet und ihn gebeten, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen und Sie über die Einzelheiten zu informieren.
Und so weiter. Dieser Brief hat der Firma jetzt seit etlichen Jahren gute Dienste geleistet. In letzter Zeit jedoch sind die Verkäufe der elektronischen Orgeln eingebrochen. In der Gegend von Vallejo etwa haben wir vor Kurzem vierzig Kleinklaviere verkauft und nicht eine einzige Orgel.
Dieses enorme Ungleichgewicht bei den Absatzzahlen hat zu einem ziemlich hitzigen Wortwechsel zwischen meinem Partner Maury Rock und mir geführt.
Ich kam spät in Ontario an, nachdem ich unten im Süden, in Santa Monica, gewesen war und mich mit ein paar Weltverbesserern herumgeschlagen hatte, die von den Behörden verlangten, unsere Verkaufsmethoden unter die Lupe zu nehmen – ein völlig überflüssiges Unterfangen, da wir uns strikt auf dem Boden des Gesetzes bewegen.
Ontario ist nicht meine Heimatstadt. Ich stamme aus Wichita Falls, Kansas, und bin während meiner Highschool-Zeit erst nach Denver und dann nach Boise, Idaho, gezogen. In mancher Hinsicht ist Ontario eine Vorstadt von Boise; es liegt an der Grenze nach Idaho – man überquert eine lange Metallbrücke – und mitten zwischen Wiesen und Feldern. Die Wälder des östlichen Oregon fangen so weit im Landesinneren noch nicht an. Die größte Industrieansiedlung ist die Ore Ida Potato Patty-Fabrik, insbesondere ihre Elektroniksektion, und dann gibt es da noch einen ganzen Haufen japanischer Farmer, die es während des Zweiten Weltkriegs hierher verschlagen hat und die hier Zwiebeln oder so anbauen. Die Luft ist trocken, Grund und Boden sind billig, zum Einkaufen kann man nach Boise fahren – eine Stadt, die ich nicht ausstehen kann, weil man dort kein anständiges chinesisches Essen bekommt. Sie liegt nahe am alten Oregon Trail, und die Eisenbahn hält dort auf ihrem Weg nach Cheyenne.
Unser Büro befindet sich in einem Backsteingebäude im Zentrum von Ontario, gegenüber von einem Eisenwarenladen. Um das Gebäude herum hat man Schwertlilien gepflanzt, deren Farben umwerfend aussehen, wenn man gerade die Wüstenstraßen Kaliforniens und Nevadas hinter sich hat.
Ich parkte also meinen staubigen Chrevrolet Magic Fire am Straßenrand und betrat den Eingang, neben dem unser Firmenschild hing:
MASA ASSOCIATES
MASA für MULTIPLEX ACOUSTICAL SYSTEM OF AMERICA, ein erfundener, irgendwie nach Elektronik klingender Name, passend zu unserer Elektroorgelfabrikation, in die ich aufgrund meiner familiären Bindungen schwer involviert bin. Es war Maury, der sich Frauenzimmer Piano Company einfallen ließ, was besser zu unserem Transportunternehmen passt. Frauenzimmer ist Maurys ursprünglicher Name, Rock ist ebenfalls ausgedacht. Ich habe meinen deutschen Namen beibehalten: Louis Rosen. Einmal habe ich Maury gefragt, was Frauenzimmer bedeutet, und er sagte, es bedeute »das weibliche Geschlecht«.
Ich fragte, wie er ausgerechnet auf den Namen Rock gekommen ist.
»Ich hab die Augen zugemacht und einen Band der Encyclopaedia Britannica berührt, und das war eben ROCK bis SUBUD.«
»Dann hast du einen Fehler gemacht. Du hättest dich Maury Subud nennen sollen.«
Die Eingangstür unseres Gebäudes ist noch von 1965 und sollte mal erneuert werden, aber dazu fehlt uns das Geld. Ich stieß sie auf – sie ist massiv und schwer, schwingt aber schön – und ging zum Fahrstuhl, einem dieser alten automatischen. Eine Minute später betrat ich oben unsere Büroräume. Die Jungs waren lautstark am Quatschen und Trinken.
»Die Zeit hat uns überholt«, sagte Maury zu mir, als er mich sah. »Unsere elektronische Orgel ist veraltet.«
»Da liegst du falsch«, erwiderte ich. »Der Trend geht zur Elektroorgel, weil Amerika genauso seine Erforschung des Weltalls angehen wird: elektronisch. In zehn Jahren werden wir nicht mal mehr ein Kleinklavier am Tag verkaufen – das Klavier wird ein Relikt aus der Vergangenheit sein.«
»Louis, nimm bitte mal zur Kenntnis, was die Konkurrenz gemacht hat. Die Elektronik mag auf dem Vormarsch sein, aber ohne uns. Denk an die Hammerstein-Stimmungsorgel. Oder die Waldteufel-Euphoria. Und sag mir, warum sich irgendjemand damit zufrieden geben sollte, einfach nur Musik herauszuhämmern.«
Maury ist ein großer Kerl mit der Erregbarkeit eines Schilddrüsenkranken. Seine Hände neigen zum Zittern, und er verdaut sein Essen zu schnell; er muss Pillen nehmen, und wenn die nicht mehr helfen sollten, muss er irgendwann zu radioaktivem Jod greifen. Würde er gerade stehen, wäre er eins neunzig groß. Er hat – oder hatte früher – schwarze Haare, sehr lang, aber schon ziemlich schütter. Große Augen und einen irgendwie beunruhigten Blick, als würde ständig alles schiefgehen.
»Ein gutes Musikinstrument veraltet nie«, sagte ich. Doch es war etwas dran an dem, was Maury gesagt hatte. Was uns aus dem Rennen geworfen hatte, waren die umfangreiche Kartografierung des Gehirns Mitte der 60er und die Tiefenelektroden-Techniken von Penfield und Jacobson und Olds gewesen, vor allem ihre Entdeckungen im Mittelhirn. Der Hypothalamus ist der Sitz der Gefühle, und bei der Entwicklung und Vermarktung unserer elektronischen Orgel hatten wir den Hypothalamus nicht ausreichend berücksichtigt. Die Rosen-Fabrik hat nie bei der Übertragung von Kurzzeit-Elektroschocks mitgemischt, die ganz bestimmte Zellen des Mittelhirns stimulieren, und wir haben nie begriffen, wie entscheidend es sein würde, statt der Regler eine Klaviatur anzuschließen.
Wie die meisten habe auch ich mal auf den Tasten einer Hammerstein-Stimmungsorgel herumgeklimpert, und es macht Spaß. Aber es hat nichts Kreatives. Klar, man kann auf immer neue Möglichkeiten der Hirnstimulation stoßen und so Gefühle in seinem Kopf erzeugen, die sich ansonsten dort nie gezeigt hätten. Man könnte theoretisch sogar jene Kombination treffen, die einen in den Zustand des Nirwana versetzt. Sowohl Hammerstein als auch Waldteufel haben einen hohen Preis dafür ausgeschrieben. Aber das ist keine Musik. Das ist Flucht. Und wer will das schon?
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