Doch Dick wartete einfach, bis der Abgabetermin vor der Tür stand, und schickte den Roman inklusive Whites Schlusskapitel zurück, ohne es auch nur bearbeitet zu haben – und letztendlich veröffentlichte White ihn in dieser Form in seinem Magazin. Selbstverständlich nahm Dick das Kapitel wieder heraus, als der Roman dann in Buchform erschien. Das Buch also ist und bleibt diejenige Version, die er ursprünglich geschrieben hatte.
Trotzdem ist es sehr interessant, einmal Whites Vorschlag für das Ende der Geschichte zu betrachten.
In diesem apokryphen Kapitel fährt das Lincoln-Simulacrum zur Kasanin-Klinik, um den gerade entlassenen Louis Rosen zu treffen. Die Lincoln eröffnet ihm, dass Louis – genau wie sein Vater und sein Bruder – ebenfalls ein Simulacrum ist, das von Sam Barrows bezahlt und von Pris Frauenzimmer entworfen wurde. (Sie erklärt jedoch nicht, warum Pris Chester sein Gesicht verkehrt herum aufgesetzt hat; Whites Theorie dazu hätte mich wirklich sehr interessiert.) Außerdem erfährt man, dass Louis’ Freund und Partner Maury Rock von Anfang an mit Barrows unter einer Decke steckte. Das Kapitel endet damit, dass Louis auf dem Mond lebt und versucht, menschliche Immigranten für Barrows’ dortige Wohnprojekte zu gewinnen.
Dieses Ende verblüfft. Es beinhaltet, ähnlich wie Dicks »Ubik«, eine völlig überraschende Wendung. Aber meiner Meinung nach verliert der Roman dadurch viel von seiner Kraft. Alles, was Louis durchmachen musste, sein Schmerz und seine Leidenschaften sind nur diejenigen eines künstlichen Menschen. Damit gerät nicht nur der »vornehme Humanismus« von Louis’ Vater zur Parodie, auch die Freundschaft zwischen Louis und Maury Rock stellt sich als nichts weiter als eine große Täuschung heraus.
Ich erinnere mich, wie ich Dick gegenüber einmal aus seinem Roman »Nach der Bombe« zitierte. Ich gab die Gedanken einer der Hauptfiguren wieder:
Was für Probleme uns damals nur wichtig erschienen sind! Die Unfähigkeit, sich aus einer unglücklichen Beziehung zu lösen… Heute sind wir froh, dass wir überhaupt Beziehungen zu Menschen haben. Wir haben viel dazugelernt.
»Ich habe das geschrieben?«, fragte er mich und war ungemein erfreut, als ich ihm versicherte, dass es sich genauso verhalte.
Dick bringt Louis’ zwischenmenschlichen Beziehungen – sogar dem eher vergifteten Verhältnis zu Pris – ganz offensichtlich große Wertschätzung entgegen, auch dann, wenn Louis selbst dies nicht tut. Louis’ Vater hat in seinem Leben nicht viel erreicht; trotzdem ist sein halbherziges, aber zutiefst menschliches Mitgefühl eines der Bollwerke, in das sich Louis immer wieder zurückziehen kann. Genauso verhält es sich mit Maury Rocks oft auf die Probe gestellter Loyalität. Obwohl sie nicht viel Gutes bewirkt und auch niemanden retten kann, ist sie doch eine Art Anker, an den sich Louis das ganze Buch hindurch klammern kann. Was mich an ein Gedicht von Algernon Charles Swinburne erinnert:
Hoffnung stirbt und ihr tod lässt uns wissen
Ihr glück wie ihr leiden entschwand
Eh die zeit – allzerreißend – zerrissen
Um freunde das band.
Die Hoffnungen jeder einzelnen Figur dieses Romans sind zum Scheitern verurteilt – selbst Sam Barrows’ Bemühungen scheinen nicht von Erfolg gekrönt zu sein. Nichtsdestotrotz: Louis, sein Vater, Maury Rock und all die anderen gesellen sich zu jenen Charakteren Philip K. Dicks, die – so wie Mr. Tagomi aus »Das Orakel vom Berge«, Eric Sweetscent aus »Warte auf das letzte Jahr« und Jack Bohlen aus »Marsianischer Zeitsturz« – beharrlich und manchmal starrköpfig ihre menschlichen Beziehungen aufrechterhalten wollen. Selbst in einer Welt, die sie daran zerbrechen lässt.
Tim Powers
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Nicht so in der klassischen deutschen Fassung. Christoph Martin Wieland (1733-1813) empfand den entsprechenden Abschnitt in Heinrich IV. als »ekelhaft«, »frostig«, ja sogar als »zum Theil von völlig unübersezlichem Zeug« wimmelnd und hat ihn weggelassen. So musste hier für das im englischen Sprachraum weithin bekannte Bild des »forked radish« eine Notübersetzung vorgenommen werden. – Anm. d. Übers.
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