Erneut gehen die Scheinwerfer aus, die Menge tobt und kopiert meine Pose mit nach unten geneigtem Kopf und nach oben ausgestreckter Faust. Das Adrenalin pumpt - gleich werden wir sehen, wie gut unser neuester Hit ankommt. Die Polizisten wirken etwas aktiver und beunruhigter, befürchten vielleicht, dass die Menge durch die Songs aggressiver wird. Aber der Veranstalter schenkt in den vier großen, mobilen Getränkewagen keine hochprozentigen Sachen aus. Ein bisschen Bier gibt es und ein wenig Wein, zu dem aber wenn nur die Frauen greifen. Es gibt sogar ein Gehwegkonzept dafür, so dass die Menschen nicht an den Wagen verharren, sondern weiter wandern müssen. Bis sie beim nächsten Wagen ankommen, vergeht schon einiges an Zeit in den Warteschlangen - ein gutes Konzept um komplett Besoffene zu verhindern, aber dass es nicht zu völliger Orientierungslosigkeit bei den Gästen führt, ist schon verblüffend. Liegt bestimmt an den vielen Ordnern in ihren schicken gelben Westen.
“Willst du hoch hinaus, fahr die Ellenbogen aus, bring dich in Position, denn nur dann stimmt auch der Lohn, achte auf deine Gegner, handle jetzt und nicht später, denn wenn du erst mal oben bist, läuft’s von alleine ganz gewiss.” Es ist schon merkwürdig, dass wir Menschen als soziale Wesen bezeichnet werden und uns gegenseitig so viel Unsoziales antun. Die paar reichsten Menschen haben kaum Probleme noch mehr Geld anzuhäufen, weil sie sich alle Voraussetzungen dafür einfach kaufen können. Die Armen hingegen können die besten Ideen haben, aber sind nicht in der Lage diese umzusetzen, weil ihnen der Start fehlt. Entweder besitzen sie das Geld nicht oder sie haben schlichtweg zu wenig Zeit, sich neu zu orientieren, weil sie mit dem Überleben selbst beschäftigt sind. Zur Elite zu gehören, war schon immer erstrebenswert, um ein gutes Leben zu führen. Ich bin froh, dass ich dazu gehöre. Ich brauche mir keine Gedanken darüber machen, wie es ist, nicht zu wissen, wo die Miete für den nächsten Monat herkommen soll, wann mein Kind mal mit auf Klassenfahrt fahren kann oder ob es morgen überhaupt noch was zu essen gibt. Neulich habe ich in einer Studie gelesen, dass zwei Prozent der Menschen genauso viel Reichtum besitzen wie die ärmere Hälfte. Das Schlimmste daran ist, dass unter dieser ärmeren Hälfte zehn Prozent Kinder sein sollen. Wenn man sich das ausrechnet, was das in Zahlen bedeutet, wird einem schwindelig. Ist doch verrückt, dass das nicht besser verteilt wird. “Nur du weißt, was das beste für dich ist - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen! Niemand weiß, wie erfolgreich du jetzt bist - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen! Verfolge dein Ziel, denn nur so wirst du reich - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen! Dreh dich bloß nicht um, denn sonst wirst du zu weich - lass dir von andern nichts sagen, kämpf mit harten Bandagen!” Wer nicht mehr tut als alle anderen, der verliert den Kampf und den Anschluss. Ich stände nicht hier auf der Bühne, wenn ich nicht jeden Tag alles dafür tun würde, besser zu sein als all die anderen Rapper da draußen - all die arroganten Robs, all die abgelenkten Flops. Oh, ich liebe es, wenn sich meine Gedanken reimen, vielleicht sollte ich da auch ein Lied drüber schreiben.
Die Crowd jedenfalls geht ordentlich mit, das läuft genauso wie erhofft. Harte Bandagen kommt richtig gut an, der Beat ist auch einfach phänomenal, da hat sich Steven selbst übertroffen. Eine Gruppe Männer springt sich mit der Brust voraus gegenseitig entgegen und plustert sich dabei lachend auf. Es ist schön, zu wissen, dass meine Musik solche Wirkung hat, dass sie Menschen aus ihrem Alltag rausreißt und die Welt um sie herum mal für ein paar Minuten vergessen lässt. Und dann beginnt das Spiel von vorn - höher, schneller, weiter, dem anderen immer einen Schritt voraus sein. “Danke schön! Thank you! Ihr seid die Besten!” Noch einmal die Faust in die Luft strecken. Die Lichter verblassen und es geht runter von der Bühne.
Im abgesperrten Backstagebereich begegnet uns Frank Farell und zwinkert mir zu. “Digga, geile neue Platte, aber hör gut hin, ich werd die Leute noch mehr zum Feiern bringen! Lass uns nachher noch quatschen Digga, ja?” Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sicher bin ich mir nicht, ob er einen Satz ohne das Wort ‘Digga’ sagen könnte. Schon bemerkenswert wie viel Energie der Kleine hat, reicht mir gerade mal bis zur Schulter und dabei bin ich mit meinen 1,83m ja auch nicht riesengroß. “Klar doch, ich bin noch ein Weilchen hier, lass es krachen da draußen!” Wir haben uns das erste Mal bei einem Benefizkonzert für benachteiligte Jugendliche getroffen und uns auf Anhieb gut verstanden. Wir haben den selben Humor, wie es scheint und können uns herrlich über all die anderen Rapper lustig machen - gerade die ohne vernünftige Karren. Ein bisschen Stil sollte man schon haben.
In der Nähe der Garderobe wird es von der Lautstärke etwas leiser, so dass Manuel, Steven und ich eine kleine Feedbackrunde machen können. Steven möchte das immer, er liebt eben seine Rituale. “Leute, der Auftritt war mega oder? Habt ihr gemerkt, wie geil der Beat bei Harte Bandagen ankam?”, legt er auch direkt los. “Ja, Steven, das war Gänsehautstimmung, ist dir heute besonders gut gelungen!”, entgegnet Manuel. “Und all die Fäuste! Toll, nach den letzten zwei Monaten mit den kleineren Auftritten und all den Proben, mal wieder so viele Menschen zu begeistern!”, fährt er fort. “War nur viel zu kurz, hätten lieber zwei Künstler weniger sein sollen und dafür noch ein bis zwei Songs mehr.”, werfe ich ein. Steven verdreht die Augen. “Jetzt mach mal halblang und genieß, was wir da auf die Beine gestellt haben. Immer dieser Pessimismus!” Irgendwie hat er ja recht. “War schon cool, ja, nur wie gesagt zu kurz. Ist doch die Wahrheit.” Manuel schaltet sich ein, “Du bist echt nicht leicht zufrieden zu stellen.” Ich schaue ihm in die Augen und antworte, “Doch doch, wenn wir endlich von Platz eins der Charts grüßen, dann bin ich zufrieden!” Dem Gelächter folgt ein Abklatschen und die Entscheidung, dass wir darauf doch erst einmal anstoßen sollten. Gut, dass es Backstage eine eigene kleine Bar gibt, wobei Bar übertrieben ist - es ist mehr ein Tisch, hinter dem ein älterer Mann Mitte 40 ein paar Kisten Bier gestapelt hat und uns drei Flaschen davon reicht. Immerhin besser als draußen anzustehen. Es klirrt, “Auf den nächsten Nummer eins Hit!”

“Digga!”, tönt es hinter mir, wer das wohl sein könnte. “Hey, Frank, alles klar? Zufrieden mit deinem Auftritt?” Eine Antwort benötige ich bei dem Grinsen in seinem Gesicht eigentlich nicht. “Digga, logisch, hast du die Party verpasst? Ein Song krasser als der andere, Digga!” Ich sag’s ja, kein Satz ohne dieses Wort. “Aber klar doch, konnte mir nicht verkneifen, den ein oder anderen Blick auf deine Fans zu werfen. Hast du die junge Dame links an der Bühne gesehen, mit dem tiefen Ausschnitt? Die hat dich gefeiert! Und war obendrein nicht mal doppelt so groß wie du.” Witze über seine kleine Statur ist er natürlich gewohnt. “Digga, natürlich ist sie mir aufgefallen. Das wäre eine Frau, die mich heut zur Afterparty begleiten dürfte. Vielleicht sehe ich sie ja gleich noch, dann packe ich sie mit ein. Bist du später auch noch da?” Der Veranstalter hatte bekannt gegeben, dass es eine VIP-Afterparty im nächstgelegen Club geben wird - alle Künstler und Bandmitglieder kommen natürlich umsonst rein. Los geht es wohl gegen 23 Uhr, die Karten für alle anderen sind auf 100 beschränkt, also einigermaßen exklusiv. Für mich wäre es kein Problem noch ein, zwei Frauen mitzubringen, das geht immer klar. Die Veranstalter wollen uns Stars nie vergraulen und erfüllen so ziemlich jeden Wunsch. “Du solltest dich auf die Suche machen, sonst springt sie noch mit jemand anderem in die Kiste.”, rate ich ihm, “Ich weiß noch nicht, ob ich später dabei bin, könnte sein, dass Manuel es eher ruhig haben will nach dem Auftritt. Er ist ja schnell mal müde.” Ehrlicherweise hätte ich sagen sollen, dass ich es heute eher ruhig angehen lassen will und die Jungs sicher nichts dagegen hätten, aber ein bisschen Flunkern für ein gutes Bild bei Frank ist schon okay. “Ach was, mit wem denn, Digga? Rob? Dem laufen doch alle weg. Hast du von dem Gerücht gehört, dass er vor kurzem in einer Nacht gleich bei drei Frauen abgeblitzt ist, Digga? Die alle später mit anderen Heim gegangen sind. Haha, der Junge hat nicht nur keinen Geschmack bei Plattenfirmen, er hat auch keinen Stil bei Frauen und trotzdem denkt er, er wäre der Held der Welt, Digga. Crazy!”
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