»Er hat dich angezeigt. Das war seine Pflicht.«
»Er hat mich angezeigt, das war seine Lust. So liegt es. Er ist immer lustig dazu, bei jedem, aber doppelt bei mir, denn wir sind alte Feinde, noch von den Soldaten und vom Kriege her. Ich kenn ihn, Herr Pastor; er ist ein schlechter Kerl, und solang ich denken kann, hat er mich gequält. Er war mein Oberjäger, und kein gutes Wort hat er mir je gegönnt. Immer hart, immer roh, auch vorm Feind, und nur wenn's in die Schlacht ging, war er wie 'n Ohrwurm. Es gibt eben Kugeln, die sich verirren. Und dann, Herr Pastor, wenn er nicht war, so hätt ich das Kreuz. Aber er hat dagegen gesprochen. Und was hat er gesagt? Ich taugte nichts, ich wäre frech und übermütig, und man könne nicht jedem das Kreuz geben, der ein paarmal aus einem Fenster geschossen habe, bei guter Deckung. Wahr und wahrhaftig, ›bei guter Deckung‹, so hat er gesagt, der schlechte Kerl. Und er war gar nicht einmal dabei. Ich will nicht sagen, daß er feige ist, nein, feige ist er nicht, aber ein Neidhammel ist er. Und was dann nachher kam, ich meine das vorige Jahr, nun, das weiß der Herr Pastor. Von Unschlitt und Schimmelbrot will ich leben, wenn ich's dem Kerl verzeih, daß er mich belauert und an die Grenzaufseher verraten hat und daß sie mich nach Jauer abgeliefert haben. Und warum? Um ein Stück Reichenberger Tuch, nicht der Rede wert! Immer hat er mir den Weg gekreuzt. Hol ihn der Teufel!«
Siebenhaar drohte halb scherzhaft mit dem Finger. Lehnert aber trat an den Alten heran und bat in einem Tone, drin sich Ernst und gute Laune die Waage hielten, um Entschuldigung.
»Ich will dir den ›Teufel‹ zugute halten, Lehnert, wiewohlen man ihn nicht anrufen soll. Aber versprich mir dafür, Friede zu halten. Ich weiß nicht, ob er dir unrecht getan hat mit dem Kreuz, aber wenn es auch wäre, du mußt es vergessen.«
»Will's versuchen.«
»Versprichst du's ernsthaft? Hab ich dein Wort?«
»Ja. Aber wenn er wieder anfängt...«
»Er wird nicht. Ich werde mit ihm sprechen, und du sollst Bescheid haben. Vielleicht bald. Und dann komm ich selbst.«
Während Lehnert dieses Gespräch hatte, schritt der, dem all diese Drohungen galten, heimwärts auf Wolfshau zu, wo seine Försterswohnung mit der der Menzschen Stellmacherei grenzte. Der nächste Weg nach Haus wäre der unten im Tal, an der Lomnitz hin, immer flußaufwärts, gewesen, er mied ihn aber, weil dieser nähere Weg ohne Wirtshaus war und er ernstlich vorhatte, sich bei einem Glase Bier und einem guten Gespräch von den Anstrengungen der Siebenhaarschen Predigt, die, wie gewöhnlich, gut, aber etwas lang gewesen war, zu erholen.
So stieg er denn, den Umweg nicht scheuend, die große Straße bergan auf Krummhübel zu, wo er sicher war, in dem prächtig gelegenen Wirtshause »Zur Schneekoppe« den ersehnten guten Trunk und vor allem auch eine gute, das heißt eine gefällige Gesellschaft zu finden, die sich's angelegen sein ließ, ihn reden zu lassen und ihn bei jedem dritten Worte »Herr Förster« zu nennen. Denn sich umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben, war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand. Sein Hühnerhund Diana, der darauf dressiert war, die Predigt draußen auf einer von der Sonne beschienenen Kiesstelle zu verschlafen, folgte dicht hinter ihm, ein schönes, schwarz und weiß geflecktes Tier.
Und keine halbe Stunde, so bog er in Krummhübel ein, drin eine sonntägliche Stille herrschte. Links lief ein Wässerchen und schäumte, Hühner und Sperlinge pickten überall umher, wo eine Krippe gestanden hatte, und in der offenen Haustür lehnten einzelne Dorfbewohner und genossen der Sonntagsruhe.
»Guten Tag, Herr Förster«, sagte Gerichtsmann Klose, seine Pfeife respektvoll aus dem Munde nehmend, und »Guten Tag, Herr Förster«, wiederholte die nebenan wohnende, für gewöhnlich mit ihren Gunstbezeigungen etwas kargende Frau Böhmer den Gerichtsmann Kloseschen Gruß auch ihrerseits und trat aus ihrem Kramladen in die Dorfstraße hinaus, um dem Vorübergehenden die Hand zu geben, ja, sie schien ihn sogar anreden zu wollen. Des Försters Haltung aber war so steif und gemessen, daß selbst Frau Böhmer mit ihrer Frage zurückzuhalten für gut fand.
Und nun noch hundert Schritte, so stand unser Förster Opitz vor Exners »Schneekoppe«, trat aber nicht über den Schwellstein in den Flur, sondern bog gleich daneben in einen von einem Staketenzaun eingefaßten Garten ein, in dem, um einen plätschernden Springbrunnen herum, und zugleich in Front einer großen Veranda, viele Sommergäste saßen. Sich diesen zu gesellen fiel Opitz aber nicht ein, weil er im Vorübergehen herausgehört hatte, daß es Berliner waren, also Leute, von deren eigener Eingebildetheit er für die seinige nicht viel zu hoffen hatte. So ging er denn lieber auf eine kleine, von wildem Wein umwachsene Holzlaube zu, wo noch niemand saß, und ließ sich hier an einem langen, braungestrichenen Eßtisch nieder, von dem aus, unmittelbar an der Wand daneben, ein Klingeldraht nach dem Wirtshause hinüberführte. Diesen zog er. Die Bedienung war aber einigermaßen säumig, was ihn, weil er eine Verkennung seiner Wichtigkeit und Würde darin erblickte, sofort heftig ärgerte. Wirklich, sein ohnehin etwas auf Schlagfluß deutendes Gesicht wurde von Minute zu Minute röter, und erst den Hut vom Kopf nehmend und gleich danach das Sacktuch aus seiner Tasche ziehend, begann er sich in nervöser Unruhe bald mit dem einen, bald mit dem andern zu beschäftigen. Endlich kam die Bedienung, eine schöne schwarze Person, von der es hieß, daß sie Kunstreiterin gewesen und als Kind durch fünf Reifen gesprungen sei, was ihr jetzt freilich etwas schwer hätte werden sollen, und entschuldigte sich, daß der »Herr Förster« so lange habe warten müssen.
»Schon gut, Marie, schon gut.«
Und nun bestellte er eine Kulmbacher und ein Schnitzel. »Aber ohne Kapern und Sardellen!«
Die Kulmbacher kam denn auch bald, aber das Schnitzel au naturel ließ auf sich warten, und in der ihm sofort wiederkehrenden Unruhe nahm er diesmal, statt des Sacktuches, ein Notizbuch aus seiner Tasche und begann Einzeichnungen zu machen, die, seiner Miene nach, von besonderer Wichtigkeit sein mußten. In Wahrheit aber waren es bloß Krickelkrakel, bei deren gedankenloser Hinmalung er, aller Aufregung und Wichtigtuerei zum Trotz, nach der großen Veranda und den in Front derselben stehenden Tischen hinübersah.
Der ihm zunächst stehende Tisch war der unzweifelhaft anziehendste: zwei Herren und eine Dame saßen daran, mit ihnen zwei hübsche Kinder. Letztere freilich waren von einer Beweglichkeit, daß man sie kaum noch als Tischgäste rechnen konnte, woran, neben angeborener Fahrigkeit, vor allem der Springbrunnen schuld war, von dessen Staubregen sich treffen zu lassen ein nicht enden wollendes Vergnügen für sie war. Die weißen Waschkleider machten denn auch bereits ihrem Namen Ehre und wurden in ihrer Durchnäßtheit nur noch von dem blonden Haar übertroffen, das in einzelnen langen Strähnen bis auf die rosafarbenen Schärpen herabhing.
»Geraldine«, sagte der ältere der beiden Herren, indem er sich der, trotz ihrer neununddreißig, immer noch sehr schönen Dame zuwandte, »du solltest es ihnen verbieten. Es ist weder opportun noch sanitätlich zulässig.«
»Aber unterhaltlich und vergnüglich«, antwortete die Dame mit sehr überlegener Miene. »Nur keine Philistereien, Espe; dazu hast du zu Hause Zeit genug, in unserem lieben schrecklichen Berlin. Es wird sich ja wohl eine Plätterin hier finden lassen. Jugend ist Jugend, und daß sie keine Tugend hat, ist bloß Verleumdung. Frage nur Herrn Lieutenant Kowalski.«
Dieser, der schon vor fünfzehn Jahren den mageren Dienst in der Armee mit dem vorteilhafteren in einer Hagelversicherungsgesellschaft vertauscht, seinen »Leutnant« aber trotzdem beibehalten hatte, wartete die von dem älteren Herrn zu stellende Frage gar nicht erst ab, sondern entschied sich sofort für ein unbedingtes und mit großer Emphase vorgetragenes »laisser aller«, was durchaus zu dem phrasenhaften Wesen des Herrn Lieutenant stimmte, der seine ganz auf Flunkerei, Zynismus und Prosa gestellte Natur hinter hochtönenden Redensarten, zu denen auch ein paar französische Sätze gehörten, zu verbergen trachtete. Je mehr er persönlich, so fuhr er nach einem mehrfach wiederholten laisser aller fort, in zurückliegenden Jahren unter dem Drill des Dienstes gelitten habe, je mehr sei er für Freiheit. Freiheit sei das einzige richtige Lebensprinzip, und der inneren Stimme gehorchen zu dürfen, und hierbei suchte sein Blick das Auge der schönen Frau, sei nicht bloß das Glück, sondern auch das Heil des Daseins. Nichts über eine freie Seele. Ganz frei. Nur auf die Weise werde die Lüge hinschwinden, was dann gleichbedeutend sei mit dem Siege wirklicher Sittlichkeit.
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