Sein Vortrag verschaffte ihm die exklusive Ehre, mit Steffis relativ seltenen Pass-bloß-auf-Blick beschenkt zu werden.
»Was denn«, keifte er zurück. »Stimmt doch! Wie viele Liebesschnulzen liest du in der Woche?«
»Zehn.« In ihrer Stimme schwang eine gehörige Portion Stolz mit.
Und er wusste allmählich nicht mehr, wohin er geraten war. Etwa in eine verfickte Daily Soap, oder was? Und überhaupt: Wie, zur Hölle, konnte man auf eine solche nichtssagende Leistung Stolz empfinden?
»Zehn? … Woher nimmst du dir die Zeit für diesen Blödsinn?«
Ihre Schminkobsession musste geringstenfalls eine Stunde täglich verschlingen – von Hausarbeit, Kochen und ihrem Dreißigstundenjob sprachen wir da noch gar nicht!
»Das sind Kurzromane«, gab sie beleidigt-arrogant zurück. »Die haben durchschnittlich an die hundert Seiten.«
Kurzromane …
Tracey schüttelte sich.
Diese abartigen Schundbücher in der Rubrik ›Liebesroman‹ diverser Onlineshops waren das Spiegelbild der gegenwärtigen Gesellschaft: einfältig, sexsüchtig, konsumorientiert, gefühllos, egoistisch, narzisstisch und last but not least: stilistisch zwar nahezu perfekt, dafür gänzlich kreativ-, charakter- und seelenlos.
»Dann zieh dir zur Abwechslung einmal einen richtigen Roman rein. Möglicherweise hilft der dir, deine krankhafte Neugier zu bändigen.«
Und womöglich würde sie sich dadurch weniger aufgeilen, stattdessen ein wenig ihren Horizont erweitern.
»Hier geht es nicht um meine Lesegewohnheiten«, konterte sie. »Sondern um deine dir feuchte Nächte bescherende Traumfrau.«
Und in exakt diese verfickte Richtung hatte sich diese Konversation niemals entwickeln sollen!
»Ich will nicht weiter darüber sprechen. Wechseln wir das Thema.«
»Nein, nein!« Zum zweiten Mal stemmte sie die Hände gegen die Hüften.
Versuchte sie, durch diese nervtötende Geste ihre kleine Körpergröße von nicht einmal einem Meter fünfzig zu kompensieren?
»Ich lass dich erst in Ruhe, wenn du mir alles gesagt hast … Oder –« Sie schielte durch den Raum. »Du eine dieser billigen Weiber da ums Eck aufreißt.«
Tracey hätte sich beinahe an seinem grässlich bitteren Bier verschluckt. »Hey! Geht’s noch?!«
Wo waren wir denn hier?! Im Kindergarten?!
Sie schmunzelte. »Diese krankheitsverseuchten Tussen wirst du sicherlich nicht ansprechen, darum überwinde dich und erzähl mir ein wenig von deinen erotischen Gedanken.« Es trat eine kurzweilige Pause ein, in der sie sich stumm anstarrten und in Tracey ein sich rasend schnell anwachsender Drang entstand, aufzustehen und das Lokal zu verlassen. »Glaub mir, das kann sehr befreiend sein.«
Weshalb wurde andauernd er vom Schicksal gequält?
Weshalb?
Anstatt aufzustehen, stützte er sich auf die Theke und vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Du machst mich echt fertig.«
Zum Glück folgten keine beleidigenden Widerworte ihrerseits.
»Sei kein Mädchen.«
Zu früh gefreut.
Er atmete tief durch.
Trotz seines Unmuts und seiner – zugegebenermaßen – infantil angemuteten Eigenschutzreaktion eben erhob sich eigenartigerweise ein winziges Körnchen Verlangen, seine Fantasien zu offenbaren.
Weshalb?
Er wusste es beim besten Willen nicht!
Lag es womöglich daran, herauszufinden, ob seine Ansprüche zu hochgesteckt … unerfüllbar waren?
War er womöglich deshalb seit einem Jahr alleinstehend? Hatte er sich deshalb andauernd die falschen Weiber aufgehalst? Womöglich stand er auf den komplett falschen Typ Frau? Würde dieses Gespräch etwas Licht in diese Dunkelheit bringen?
Nach einigen Momenten des Innehaltens und Sammelns raffte er sich nochmals auf und griff nach seinem Krug. »In Ordnung. Ich erzähle dir alles. Aber untersteh dich, mich auszulachen oder Witze darüber zu reißen!«
»Ich schwöre es dir!« Steffi sah sehr aufrichtig aus dabei – allen voran ihre überschwänglichen Handgesten. »Ich werde weder lachen noch dich hänseln.«
»Das hoffe ich.« Er räusperte sich. »Nun … Die Haarfarbe ist mir ziemlich gleichgültig.«
»Echt jetzt? Keine Wunschfarbe? Pechschwarz, strohblond, feuerrot, knallig Pink, meliertes Grau?«
Tracey zuckte die Schultern. »Ist mir wirklich wurscht … allerdings gefallen mir natürliche Frauen.«
»Aha!« Sie streckte den Zeigefinger in die Höhe – den Blick auf irgendeinen ihn unbekannten Punkt hinter ihn gerichtet.
Anscheinend ergänzte sie eben ihre ›Traceys-Traumfrau-Liste‹.
»Wenig bis gar kein Make-up … okay.« Dies murmelnd hervorgebracht, fand ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm. »… Und sonst?«
»Nun ja … ich mag schlanke Frauen.«
»Das hatten wir schon durch.«
Er überlegte.
»Ich mag es, wenn Frauen sich zurückhaltender geben.«
»Ernsthaft?« Sie hob die Augenbrauen hoch. »Sofern ich das richtig in Erinnerung behalten habe, sind deine Ex-Freundinnen das krasse Gegenteil davon.«
Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihn – erinnerte an ein glühendes, zackiges Messer, welches ihm das Fleisch von den Rippen schnitt …
Tracey atmete stoßweise durch, verdrängte Hass und Trauer – scheiterte fatalerweise vollumfänglich daran.
Es war irrsinnig viel Zeit vergangen, trotz alledem tat ihm eine jede seiner erfolglosen Beziehungen in der Seele weh.
Verflucht noch einmal!
»Sicherlich«, erwiderte er genervt und stierte Steffi tief in ihre Augen. »Weil sie mir ihre kratzbürstigen Seiten erst reichlich spät offenbarten. Und deshalb nenne ich sie ja Ex.«
Zum Abschluss knallte er das Bier auf die Holztheke.
Verfickte Dreckfotzen!
All die Allüren und das penetrante Herumgezicke, die ewigen Streitereien und das besserwisserische Getue. Sämtliche seiner Ex-Weiber waren der blanke Horror! Beziehungsunfähig und soziopathisch!
»Was ist dir noch wichtig an einer Frau?«, zog Steffi ihn aus seinen bitteren Erinnerungen. »Wünsche hinsichtlich besonderer Freizeitbeschäftigungen oder Vorlieben?«
Ein zweiter Stich schlug in ihm ein.
Dieses Mal fühlte sich dieser jedoch nicht solcherweise unangenehm an – eher prickelig, wimmelig …
»Nein, mehr gibt es nicht«, log er.
Er wollte ihr dieses eine klitzekleine und doch für ihn sagenhaft erregende Detail nicht anvertrauen.
Nein, auf gar keinen Fall würde er das.
Steffi gab ihm einen Klaps. »Natürlich ist da noch mehr! Eine Traumfrau besteht schließlich nicht aus einer schlanken Figur.«
»O Mann …« Er wischte sich über die Stirn … und betete für Mut und Willensstärke. »Du reitest solcherweise lange darauf rum, bis ich es dir sage, oder?«
Steffi grinste siegessicher. »Darauf kannst du wetten!«
Und das glaubte er ihr aufs Wort.
»Erzähl’s mir, Griesgram.« Frech stupste sie ihn mit ihrem Ellbogen an. »Gib dir einen letzten Ruck. Du kennst mich, niemals würde ich ein Geheimnis ausplaudern.«
Natürlich wusste er, wie diskret Steffi sich in solchen Dingen verhielt. Sie war die Einzige, der er hundertprozentig vertraute. Falls er irgendwem diese intimen Fantasien anvertrauen würde, dann ihr.
Aber jetzt? Und hier?
Er schob den Krug über den polierten Tresen. »Weißt du … ehrlich gesagt, habe ich diese eine Sache noch keinem gestanden.«
Und das hörte sich derart kindisch an – gerne hätte er sich mit dem wuchtigen Bierkrug niedergeschlagen.
Sie rückte näher zu ihm. »Ich sage es wirklich niemandem. Versprochen.«
Scheiße.
Sollte er?
Sollte er nicht?
Konnte er es tatsächlich wagen? Sollte er es tatsächlich wagen? Durfte er es tatsächlich wagen?
Drauf geschissen!
»Ich mag es nicht, wenn Frauen mit mehr Männern herumgevögelt haben, als ich zu meinen Bekannten zählen kann.«
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