Stefan war ein ziemlich ruhiger Junge und passte gar nicht so richtig in die Gruppe. Im Gegensatz zu den anderen, die doch öfters mal eine große Klappe hatten, war er ein Mitläufer.
Stefans Eltern arbeiteten beide. Sie hatten wenig Zeit für ihn und versuchten dies mit Großzügigkeit auszugleichen.
Stefan hatte von allen den mit Abstand besten Computer und auch die neusten Spiele dafür. Die anderen drei nutzten das aus und meistens saßen sie bei Stefan daheim am Computer. Nur dadurch war Stefan in der Gruppe akzeptiert und versuchte, dies immer wieder durch neue Spiele oder bessere Computerausstattung zu erhalten.
»Schnell macht das Fenster auf, hier stinkt‘s nach Pferd.« Klaus gab regelmäßig einen Kommentar ab, wenn Lucie und Kirsten ins Zimmer kamen.
Kirsten warf ihm einen bösen Blick zu.
Dass die beiden Mädchen große Pferdeliebhaberinnen waren, wusste die ganze Klasse. Kirsten hatte im vergangenen Jahr mit Hilfe ihrer Mutter einen Klassenausflug zum Reitstall organisiert. Dort wurde den Schülern viel über Pferde, ihre Gewohnheiten, ihr Verhalten und weitere interessante Dinge erzählt. Der Höhepunkt war aber, dass jeder einmal reiten durfte. Wenn auch nur eine kleine Runde in der Halle.
Von diesem Angebot machten fast nur die Mädchen Gebrauch. Stefan war einer der wenigen Jungs, die sich meldeten. Nachdem aber Klaus groß hinausposaunte, dass nur Memmen auf Pferden reiten, zog er seinen Finger zurück und traute sich nicht mehr.
In der Pause gingen die beiden Mädchen noch einmal die Textaufgaben durch. Sie saßen im Schulhof im Schatten eines großen Baums. So kurz vor der Arbeit war das am besten. So konnte sich Kirsten meistens ein paar Dinge für die Arbeit merken, auch wenn sie sie bald danach dann doch wieder vergessen hatte.
Plötzlich wurde Kirsten das Blatt weggezogen, auf dem sie gerade eine Aufgabe durchrechneten.
»Hey, spinnst du? Gib mir sofort das Blatt zurück.« Kirsten sprang auf und rannte hinter Klaus her. Da Kirsten größer und sportlicher war als Klaus, hatte sie ihn schnell eingeholt.
Sie entriss ihm das Blatt und versuchte ihm noch eins mit der flachen Hand auszuwischen. Klaus duckte sich, lachte und war gleich hinter dem nächsten Baum verschwunden.
»Idiot.« Sie ging zurück zu Lucie. »So wird das natürlich nichts mit der Mathearbeit.«
»Komm, wir haben noch fünf Minuten, eine Aufgabe gehen wir noch durch«, machte Lucie ihrer Freundin Hoffnung.
Kirsten versuchte, sich wieder zu beruhigen. Es gelang ihr nicht.
»Das gibt ein Chaos nachher. Ich weiß überhaupt nichts mehr.« Kirsten wurde jetzt ganz nervös.
»Na komm, das klappt schon. Konzentriere dich auf die Aufgaben. Du wirst sehen, so schlimm wird das nicht.« Lucie sah auf ihre Uhr. »Es ist Zeit, wir müssen hoch.«
Sie standen auf und Kirsten folgte ihr Richtung Eingang.
Klaus saß bereits an seinem Platz, als die beiden Mädchen durch die Türe ins Klassenzimmer kamen. Er sah sie und grinste über das ganze Gesicht.
Na warte, dachte Kirsten.
Klaus blätterte in einer Computerzeitschrift. Als Kirsten näher kam, versuchte sie blitzschnell ihm die Zeitschrift zu entreißen. Damit hatte er natürlich gerechnet und drückte mit beiden Händen das Heft fest auf den Tisch.
Kirsten zog an der Zeitschrift, aber ihre Finger rutschten ab. Klaus grinste erneut.
»Alles hinsetzen, bitte.«
Kirsten hatte überhaupt nicht gemerkt, dass die Lehrerin gekommen war.
Sie fauchte Klaus noch etwas entgegen und setzte sich neben Lucie auf ihren Platz.
»Viel Glück. Geh einfach in Ruhe die Aufgaben durch. Du machst das schon.«
Lucie zwinkerte ihr mit dem rechten Auge zu.
»Und wie war es bei dir?«
»Ich glaube, es hat mich gerettet, dass wir die Aufgaben vorhin noch einmal durchgegangen sind«, sagte Kirsten in der kleinen Pause nach der Arbeit. »Auch wenn ich manchmal nicht ganz verstanden habe, warum ich die Aufgaben genau so lösen musste, wie du es mir erklärt hast. Aber egal. Das war die letzte Mathearbeit und ich hoffe, ich komme noch mit einem Dreier im Zeugnis durch.«
»Wann treffen wir uns heute Nachmittag?«
»Am besten gleich um zwei Uhr. Ich möchte so schnell wie möglich mit Ramon zum Springen«, antwortete Lucie.
Sie konnte es kaum erwarten. Schon oft hatten sie vorgehabt, mit Ramon über Hindernisse zu springen, aber immer wieder kam etwas dazwischen. Ramon hatte schwache Fesseln und dort leider immer wieder Schwellungen bekommen. Nachdem es jetzt aber eine längere Zeit gut war, hat Dr. Merz, der Tierarzt, den Lucie unheimlich gern hatte, ihnen ein leichtes Springen mit Ramon erlaubt.
»Na, wie war die Arbeit bei euch?« Plötzlich stand Gisi hinter den beiden. Eigentlich hieß sie Gisela, aber alle nannten sie nur Gisi. Sie war ein nettes Mädchen und die Drei verstanden sich echt gut. Da sie aber keinen Bezug zu Pferden hatte, blieb ihre Freundschaft auf die wenigen Termine außerhalb des Reitstalls beschränkt. In der Schule standen sie aber oft in den Pausen zusammen und unterhielten sich über alles Mögliche.
»Lucie, ich möchte dich gerne einladen für den nächsten Samstag. Meine Eltern verreisen übers Wochenende und ich mache eine Party.«
»Du darfst eine Party machen?« Lucie schaute sie überrascht an.
»Ich habe lange gebraucht, meine Eltern zu überzeugen. Sie haben auch nur zugestimmt, weil mein Bruder versprochen hat, ein Auge auf uns zu werfen.«
»Wie soll man denn da eine Party feiern, wenn der große Bruder aufpasst?«
»Na komm schon, Lucie«, sagte Kirsten, »ich habe auch zugesagt. Das wird sicher gut.«
»OK, ich komme gerne. Danke.«
»Toll, wir werden sicher unheimlich viel Spaß haben«, sagte Kirsten und strahlte freudig über das ganze Gesicht.
Sie trafen sich am Nachmittag um zwei Uhr an ihrem Treffpunkt.
»Was hast du denn da in deinem Rucksack?«, fragte Lucie.
»Meine Mutter hat uns beiden was zu Trinken und ein paar Leckereien eingepackt. Und dann noch etwas altes Brot für die Pferde.«
»Na, dann los.«
Die Sonne stand hoch am Himmel. Keine Wolke war zu sehen und die Hitze war drückend. Kirsten und Lucie hatten nur ein T-Shirt und eine kurze Hose an. Es war viel zu heiß, um die Reiterhose schon vorher anzuziehen. Die Reiterstiefel, die Reiterhose und den Helm trugen sie beim Reiten aber immer. Die beiden Mädchen waren froh, als der Weg durch den Wald führte. Hier war es besser auszuhalten. Die Bäume ließen die Hitze nicht durch und es war deutlich angenehmer auf dem schönen Waldboden in der kühlen, frischen Luft. Sie radelten zügig. Lucie immer etwas vor Kirsten. Sie machte Tempo und wollte so schnell wie möglich im Reitstall sein.
»Nun hetz doch nicht so«, rief Kirsten, die mit ihrem Rucksack auf dem Rücken deutlich mehr ins Schwitzen kam als Lucie.
Am Reitstall angekommen stellten Sie ihre Fahrräder hinter einen Schuppen. Sie schlossen sie nicht ab und gingen direkt in das große Gebäude. Hier waren die meisten Besucher und Reiter gut bekannt, so dass die Mädchen keinen Diebstahl befürchteten.
»Hallo, ihr Zwei.«
»Hallo«, antworteten die beiden gleichzeitig. Rolf war der Sohn der Eigentümer und mit seinen fünfzehn Jahren zwei Jahre älter als die Mädchen. Wann immer er konnte, hielt er sich im Reitstall auf und half überall dort, wo es nötig war. Der Umgang mit den Pferden machte ihm Spaß und er hatte ein gutes Händchen für die Tiere. Rolf sprang schon zwischen den Pferden herum, als Lucie zum ersten Mal den Reitstall besuchte.
Kurz bevor die beiden Mädchen die Pferdeboxen betraten, drehte sich Kirsten noch einmal um.
»Was glotzt der uns denn so nach?«
»Das ist mir die letzten Male schon aufgefallen. Und irgendwie kam es mir so vor, als ob er sich immer dort aufhielt, wo ich auch gerade war.«
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