Schaut man weiter auf die Haut am Bauch oder am Gesäß, dann ist man überrascht. Diese Menschen sind ja noch jung. Es gibt da plötzlich Bindegewebsstreifen, wie nach einer Schwangerschaft am Gesäß und an den Oberschenkeln. Bei den Mädchen auch an den Brüsten. Ein Blick auf die Fingernägel. Dort gibt es weiße Flecken. Es fehlt das Zink. Häufiger als bei der normalen Bevölkerung finden sich Haarausfall, Akne, Ekzeme und Schuppenflechte. Die Haare werden schon frühzeitig grau. Allgemein ist die Haut sehr trocken. Die Fettverteilung fällt auf. Das meiste ist in die Mitte des Körpers verlagert. Das wirkt irgendwie unförmig. Wie bei einer Birne!
Der Bewegungsapparat erfordert dann unsere ganze Aufmerksamkeit. Die Gelenke sind ganz allgemein überbeweglich. Man nennt das Hypermobilität. Es sind Arme, Hände und Finger. Eine Besonderheit ist, dass der Daumen so weit überstreckt werden kann, dass er bis zur Innenseite des Unterarmes reicht. Diese Hypermobilität geht aber im Laufe des Lebens dann wieder verloren. Dann tritt eher eine zunehmende Steifigkeit der Gelenke ein. Besonders im Knie und Hüftbereich. Die Muskulatur ist allgemein ziemlich schwach. Das betrifft besonders den Arm- und Schulterbereich. Dagegen sind die Beinmuskeln viel besser entwickelt. Beim Sport gelingt wenig. Das Hochziehen an einem Seil ist völlig unmöglich. Übungen am Reck wie ein Felgaufschwung gehen auch nicht. Das versteht der Turnlehrer natürlich nicht. Er weiß nichts über dieses Krankheitsbild. Es ist keine Faulheit. Der Unterricht muss aber zügig weitergehen.
Die Patienten klagen oft über Verdauungsbeschwerden. Nach dem Essen ist der Bauch oft stark gebläht. Dann treten auch Schmerzen auf. Durchfall und Verstopfung können im Wechsel auftreten, also eine klassische Reizdarmsymptomatik. Ganz im Vordergrund steht die morgendliche Übelkeit. Sie ist so sehr charakteristisch, weil viele Menschen mit Pyrrolurie darüber berichten. Die Ursache ist unklar. Es sind aber typische Dyspepsie-Beschwerden. Die Dehnung des Magens führt zu diesen Beschwerden. Schon das Trinken von Wasser löst diese Beschwerden aus. Häufig kommt auch eine Störung der Fruchtzuckeraufnahme hinzu. Das Transportsystem für die Aufnahme des Fruchtzuckers arbeitet zu langsam. Es kann deshalb nur ein Teil des Fruchtzuckers aufgenommen werden. Der Rest wird dann nach dem Weitertransport in den Dickdarm dort von den Darmbakterien verstoffwechselt. Dabei entstehen Gase wie Wasserstoff, Methan und verschiedene Alkohole, die von der Leber wieder entgiftet werden müssen. Gerne werden scharf gewürzte und salzige Speisen gegessen. Manchmal ist in der Ausatemluft ein süßlicher Geruch wahrnehmbar. Er bleibt auch noch längere Zeit nach dem Lüften im Zimmer bestehen. Es ist Aceton und zeigt damit eine verminderte Verfügbarkeit von Kohlehydraten an. Es wird also vermehrt Fett zur Energiegewinnung herangezogen wie bei der ketogenen Diät.
Viele Frauen mit Pyrrolurie klagen über Menstruationsbeschwerden. Als Ursache wird ein zu niedriger Progesteronspiegel angenommen. Das bedeutet, dass es viele Zyklen ohne Eisprung gibt. Dies kann auch zu Schwangerschaftsproblemen führen, so dass Progesteron zugeführt werden muss. Oder eine Schwangerschaft muss künstlich herbeigeführt werden. Die Pubertät tritt oft verspätet ein.
Auffällig ist eine Störung des Immunsystems. Es treten gehäuft Infekte im Nasen-Rachen-Bereich auf. Mittelohrentzündungen und Nasennebenhöhlen-Entzündungen sind vermehrt. Das weibliche Geschlecht klagt besonders über häufige Blasenentzündungen.
Eine praktische Bedeutung hat die Medikamenten-Unverträglichkeit. Die Entgiftung ist durch die Störung im Häm vermindert und somit auch der Medikamentenabbau verlangsamt. Die eingenommenen Medikamente wirken somit stärker und länger. Ein typisches Beispiel sind Narkosen. Es dauert länger, bis der Patient nach einer Narkose wieder wach wird. Oft bestehen noch für einige Zeit Übelkeit und Kreislaufbeschwerden. Der Narkose-Arzt muss deshalb darüber informiert werden. Die Narkose-Medikamente müssen deshalb reduziert werden.
Zu beachten ist auch, dass gehäuft Schilddrüsenerkrankungen auftreten. Vor allem eine Schilddrüsenunterfunktion ist zu beachten. Gleichzeitig treten dann auch Schilddrüsenantikörper auf, die typisch für eine Hashimoto-Thyreoiditis sind.
B. Die psychischen Symptome
Für Carl C. Pfeiffer standen die psychischen Symptome der Pyrrolurie ganz im Vordergrund. Diese wollte er ja auch behandeln. Er fand bei seinen Patienten extreme Stimmungsschwankungen mit sehr schlechter Impulskontrolle. Am auffälligsten war die Störung des Kurzzeitgedächtnisses. Die Patienten konnten sich nur wenig merken und vergaßen dann vieles sofort wieder. Das führte auch dazu, dass sich die Patienten nicht mehr an ihre Träume erinnern konnten. Carl C. Pfeiffer hatte dieses Symptom besonders benutzt, um die Therapie zu steuern. Er erhöhte die Dosis an Vitamin B6, bis die Traumerinnerung wieder zurückkam.
Dies ist einer der Gründe für die Lernschwierigkeiten. Die fehlende Merkfähigkeit verschlechtert die schulischen Leistungen sehr. Ständig ist der Schüler im Unterricht abgelenkt und kann dann dem Unterricht nicht mehr folgen. Ängste und Panikstörungen sind verstärkt, es kommt zu depressiven Verstimmungen und auch Wahnvorstellungen können vorkommen.
Die Neurotransmitter Serotonin und Dopamin sind vermindert. Darüber wird später noch ausführlicher berichtet werden.
Menschen mit Pyrrolurie sind originell und kreativ. Sie beschäftigen sich oft mit dem Sinn des Lebens. Später fürchten sie, ihre Kreativität zu verlieren und vermeiden deshalb Stress-Situationen. Mutter-Kind-Beziehungen oder Schwestern-Schwestern-Beziehungen sind sehr eng und es wird alles unternommen, um diese engen Beziehungen das ganze Leben lang aufrechtzuerhalten. Junge Frauen sind übermütig und impulsiv. Im Alter herrschen dann aber Müdigkeit und Depression vor.
Menschen mit Pyrrolurie haben auch ein besonderes Farbgefühl. Farbschattierungen können sie sehr gut unterscheiden. Das Farbgedächtnis ist sehr gut entwickelt. Sie sind oft auch gute Zeichner. Auch Gerüche und Düfte werden gut differenziert. Das ist erstaunlich, da ja der Zinkmangel das Riechen eher beeinträchtigt. Gerüche erlangen bei ihnen oft sogar eine starke Bedeutung.
Menschen mit Pyrrolurie fühlen sich ständig bedrängt. Im Restaurant und auch beim Autofahren. Immer kommen ihnen die Leute zu nahe. Das hat auch Auswirkungen auf Beziehungen. Sie tun sich schwer mit Nähe.
Menschen mit Pyrrolurie können anstrengend sein. Schon im Gespräch. Das schlechte Kurzzeitgedächtnis führt dazu, dass sie ständig unterbrechen. Sie fürchten immer, dass sie ihren Gedanken wieder verlieren. Dinge, die bereits besprochen wurden, werden immer wieder nachgefragt. Auch das ist anstrengend.
Sie sind licht- und geräuschempfindlich. Stress können sie gar nicht vertragen. Manchmal stört ihr theatralisches Verhalten. Aber, dann sehen wir ihre Kunstwerke und freuen uns dann doch wieder mit ihnen.
Pfeiffer war es sehr wichtig, den Histamin-Spiegel seiner Patienten zu normalisieren. Irgendwann kamen ihm dann doch Zweifel, ob seine Theorie richtig war. Aber er erlebte dann die späteren Erkenntnisse nicht mehr. Ab 1990 gab es jedoch immer mehr Hinweise, dass nicht nur das Histamin, sondern der Methyl- und der Folat-Spiegel wichtiger waren als das Histamin selbst. Das Histamin trat immer mehr in den Hintergrund. Der Histamin-Spiegel wurde als Marker für den Methylierungs-Grad immer stärker herangezogen. Das war natürlich ganz neu. Darüber war bisher noch nichts bekannt.
Es scheint so, dass Carl C. Pfeiffer zwar eine effektive Nährstofftherapie entwickelt hatte, aber einer falschen Theorie für ihre Wirksamkeit folgte. Heute wird das Histamin als Marker für die Methylierung und nicht mehr zur Beurteilung des psychischen Status benutzt.
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