»Was schreibst du da in das Buch?« Mein Herz macht einen Aussetzer. Adam hat sich in mein Zimmer geschlichen und steht nur ein paar Schritte hinter mir.
»Nichts«, sage ich und klappe mein Wochenbuch verstohlen zu. Ich wende mich ihm zu, bleibe aber im Schneidersitz auf dem Bett sitzen und muss grinsen. Vermutlich grinse ich immer so idiotisch, wenn er sich in meiner Nähe befindet.
»Nichts also?«
»Genau. Nichts«, grinse ich noch verzückter.
»Du schreibst doch etwas in das Buch?«
»Nichts von Bedeutung für einen viel beschäftigten Mann, wie du einer bist. Nur Mädchenkram.«
»Mädchenkram also?«
»Mmhm«, summe ich bestätigend.
»Du bist kein Mädchen!«, sagt er auf diese Weise, die mich hoffen lässt, dass er mich begehrenswert findet.
»Nicht? Was bin ich denn dann für dich ?«
»Du bist…«, er bricht den Satz an der spannendsten Stelle ab. »Hast du Lust zu schwimmen?«, fragt er stattdessen.
»Schwimmen? Ich weiß gar nicht, ob ich das kann«, sage ich und reibe meine heiße Stirn.
Verblüfft sieht mich Adam an.
»Dann sollten wir es ausprobieren. Vertraust du mir?«
»Das tue ich, das weißt du doch«, gebe ich zu und nage dabei etwas an meiner Unterlippe herum.
Adam kommt näher und setzt sich neben mich auf die Blumendecke. Ich atme tief durch und nehme mir einen großen Schluck von dem Duft, den sein Körper verströmt. Er hebt seine Hand und fährt mit seinen Fingern durch mein Haar und klemmt mir eine kleine Strähne hinter mein Ohr. Mein Nacken prickelt und mein Herz beschleunigt, ohne vorher, um Erlaubnis gefragt zu haben. Ich mag es, was er macht, und ich würde gern meine Augen schließen, um dem sanften Streichen seiner Hände all meine Aufmerksamkeit zu widmen. Aber ich will ihn ansehen, in seinen schönen Augen versinken.
»Ich muss dir etwas sagen.«
»Ein Geheimnis?«, frage ich und höre, wie meine Stimme zittert.
»Etwas über die Zeit, bevor deine Erinnerungen gelöscht wurden.« Er macht eine Pause, fährt meinen Wangenknochen mit seinem Finger nach. Mein Gesicht fängt Feuer und mein Herz schlägt schneller als die Flügel eines Kolibris. Und ich explodiere fast vor Neugier und Nervosität. »In der Zeit, da waren wir beide…« Wieder hält er inne. Sprich doch weiter!
»Was? Was waren wir beide?« Ein Paar? Will er das sagen? Wenn das so wäre, ich hätte nichts dagegen, warum sonst sollte er mich wie ein Waisenkind aufnehmen? Warum sonst sollte er die Erinnerungslöschsache an Kristen bezahlen?
Warum sonst?
Ich schließe jetzt doch meine Augen, länger als es notwendig wäre, um meine Pupillen zu befeuchten. Wenn er mich jetzt küssen wollte, dann würde ich ihn mit meinen Lippen empfangen. Seine Finger streichen wieder über mein Gesicht. Er berührt sanft meinen Mund und ich öffne meine Lippen zu einem winzigen Spalt. Ich atme, um mehr Luft in meinen überhitzten Körper zu bekommen. Meine Lippen pulsieren und ich lehne mich ein Stück nach vorne. Küss mich!, wünsche ich mir im Stillen.
Aber…, Adam tut es nicht. Er hört abrupt auf, mich zu berühren. Die Matratze wippt und ich höre, wie seine Schritte sich entfernen.
Ich wäge ab, was ich jetzt tun soll, was das zu bedeuten hat? Dann mache ich mein linkes Auge auf und sehe, wie er mein Zimmer verlässt. Was soll das denn jetzt?
»Hey Adam, du wolltest doch eben etwas loswerden, etwas zu mir sagen.«
»Ich habe da eine Überraschung in meinem Arbeitszimmer, die ich dir gerne zeigen würde. Aber zuerst gehen wir schwimmen. Okay?«
Schwimmen? Also doch.
Ich hole Luft, um zu antworten: »Gut! Ich war in meinem letzten Leben ein Fisch. Nicht gewusst?«, sage ich und hoffe inständig, dass ich nicht ertrinken werde.
Adam hat keinen extravaganten Pool, so wie Kristen, aber das hier finde ich sowieso tausendmal besser. Sein schickes, kleines, aber ganz sicher sündhaft teures Haus liegt direkt am See. Ganz bestimmt der wohl friedlichste und romantischste Fleck in der Sektion.
Die unberührte Wasseroberfläche liegt still vor uns und in ihr spiegeln sich die dicht versammelten Bäume und Büsche in den Farben der untergehenden Sonne. Wir pirschen uns auf Zehenspitzen bis ans Ende des Holzstegs, weil wir die Rehe nicht aufscheuchen wollen und setzen uns dort ganz nahe nebeneinander hin.
Adam hebt seine Hand und zeigt mir das Reh und sein Kitz auf der gegenüberliegenden Seite. Ich quieke ganz leise, beuge mich vor, sehe mein glückliches Strahlen im Wasser und sehe Adam, wie er mich von der Seite studiert.
Der Moment ist zum Niederknien schön. Ich sitze da und genieße jede Sekunde, bis mir plötzlich ein trauriger Gedanke zufliegt.
»Es ist eine Schande, dass es uns so gut geht und alle in den Zuchtsektionen jeden Tag in Angst leben müssen. Wie lange dauert es, bis man in Momenten wie diesen nicht mehr daran denken muss?«, frage ich ihn melancholisch.
»Das hört nie auf. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen.«
Meine Lippen bewegen sich, bevor ich sie davon abhalten kann: »Du bist egoistisch! Alles, was ich gesehen habe, Kristens Haus, die futuristischen Wolkenkratzer. Alle in dieser Sektion leben tausendmal besser, als die Menschen dort draußen.«
»Du warst doch nie dort. Wie kannst du das sagen?« Er hat Recht, wie kann ich das?
»Stimmt«, sage ich, aber irgendetwas in mir sagt mir, dass es anders ist. Dass ich schon einmal dort war. »Vielleicht gibt es einen Weg, dem allem ein Ende zu setzen?«
»Ein Ende?«, fragt Adam und fasst mich scharf ins Auge.
»Ja! Den Bestien, dem Krieg, der Ungerechtigkeit!«, sage ich und spiele mit dem Stoffende meines Tops. »Erzähl mir mehr von mir«, fordere ich ihn jetzt voller Hoffnung auf.
Unsere Blicke treffen sich und bleiben aneinander haften und Adam legt seine Hand auf mein rechtes Knie. Ich hatte bisher keine Ahnung, wie viel Hitze eine Hand auf meinem Knie entfachen kann.
»Du solltest mir keine Fragen über dein vergangenes Leben stellen.«
»Warum? Sag es mir bitte«, sag es mir, ob wir ein Paar waren. Streiche meine Haare zurück, berühr mein Gesicht, meine Lippen. Sage es, wünsche ich mir und meine Füße paddeln aufgeregt im See und wirbeln das Wasser plätschernd auf.
»Weil…«, ich verfange mich in seinen tollen Augen, verliere mich in ihnen. Dann nimmt er seine Hand weg. Wieder zieht er sich zurück. Ich gefalle ihm nicht! Nein, was tust du? Adam wendet seinen Blick ab und lässt meinen im Nichts zurück.
»Lass uns endlich schwimmen gehen!« Er weicht aus. Warum nur? Bin ich denn nicht attraktiv genug? Sind meine Tattoos abstoßend?
Ich beobachte ihn, wie er aus seinen Jeans schlüpft, sie lässig auf den Steg fallen lässt. Adam zieht sein Shirt über den Kopf. Mir wird bewusst, dass ich seiner nackten Haut noch nie so nahe war, dass ich ihn noch nie ohne Klamotten gesehen habe. Er hat einen umwerfenden Körper. Tolle Muskeln! Ist riesig.
Er wirft sein Shirt zu den Jeans, begibt sich an den Rand des Stegs und springt schnurstracks, kopfüber in den See. Wassertropfen spritzen auf mein glühendes Gesicht und verdampfen durch das unter meinen Wangen lodernde Feuer. Adam schwimmt in kräftigen Zügen zwanzig Meter raus, dreht sich zu mir um und schaut mich an mit diesem besonderen, fragenden Blick. Vielleicht würde mir eine Abkühlung ganz gut tun? Deshalb sind wir doch hergekommen, um zu schwimmen? Weswegen auch sonst?
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