Es war schon stockdunkel, als wir uns endlich hinlegten. Zuvor hatten Titus und ich noch ein römisches Spiel gespielt, um unsere Nerven zu beruhigen.
Es war ziemlich einfach und schon nach kürzester Zeit hatte ich es verstanden. Zu guter Letzt konnte ich zum Schluss auch schon gegen Titus gewinnen. Das Spiel hieß Rundmühle. Es war für zwei Spieler gedacht und hatte dieselben Regeln wie das Mühlenspiel aus meiner Zeit. Jeder Spieler erhielt drei gleichfarbige Spielsteine, die meist Flusskiesel waren. Der Spieler, der die kleinere Hand hatte, durfte beginnen. Das Spielbrett bestand aus gebranntem Ton und das Spielfeld aus einem Kreis mit vier gleich großen Strichen, die sich in der Mitte kreuzten.
Mit Bedauern musste ich am Anfang feststellen, dass ich derjenige von uns war, dessen Hand am kleinsten war. Zuerst legte ich meinen ersten Stein in die Mitte. Abwechselnd setzten jeweils Titus, dann wieder ich einen Spielstein auf das Feld. Nachdem wir alle unsere Steine auf das Spielbrett platziert hatten, durften wir nacheinander einen Stein auf ein unbesetztes Nachbarfeld verschieben. Wenn es jemandem gelang, eine Diagonale oder senkrechte Reihe mit seinen Steinen zu legen, wobei ein Stein in der Mittelposition vorhanden sein musste, dann war er der Gewinner des Spiels.
Ich hoffe, ihr habt es halbwegs verstanden, denn es machte ungeheuer viel Spaß. Viel zu schnell war die Zeit beim Spielen vergangen.
Am nächsten Morgen weckte mich Titus. Gähnend streckte ich mich. Mein Mund schmeckte fürchterlich und roch vermutlich auch so. Um den Mundgeruch wenigstens etwas zu dämmen, nahm ich meinen Becher, in dem sich noch etwas Wasser befand, und versuchte meinen Mund auszuspülen. Erst jetzt bemerkte ich, wie die Haut meines Körpers an meiner Unterwäsche klebte. Verärgert musste ich feststellen, dass nicht nur mein Mund, sondern auch mein restlicher Körper fürchterlich stank. Leider gab es im alten Rom keine Duschen, sondern nur Bäder oder Thermen. Aber als Sklave hatte ich bis jetzt noch nicht das Vergnügen gehabt, mich zu baden.
Ein letztes Mal gähnte ich, dann stieg ich aus dem Bett und zog mir ohne Titus‘ Hilfe meine Tunika an, was eigentlich nicht schwerer war als sich ein Nachthemd der Größe XXXL überzustülpen. Sogleich gingen wir die Treppe hinunter in die Küche. Dort brannte bereits ein Feuer und Tarratia, die Sklavin die uns den Brotlaib mitgegeben hatte, hatte uns bereits ein Ientaculum {10}gemacht. Es war ein brotartiger Fladen aus Dinkel mit einer Prise Salz. Bei den Wohlhabenden wurden auch Eier, Käse und Honig beigemengt. Dazu gab es Milch und Obst.
Tarratia war ein sehr nettes, schüchternes und hilfsbereites Mädchen. Ihre Aufgaben waren, unserem Besitzer das Essen zu servieren, vor ihm zu singen, zu tanzen, zu musizieren und gelegentlich in der Küche zu helfen. Titus hatte mir erzählt, dass sie aus Griechenland kam. Dort war sie in der Schlacht von Pharsalos, in der Nähe von Pharsalas, im nordgriechischen Thessalien gefangengenommen worden. Ihre Familie hatte mit Pompeius im Bürgerkrieg gegen Caesar gekämpft. Doch als Caesar den Bürgerkrieg gewann, wurde sie von seinen Legionären zur Sklavin gemacht. Ihrem göttlichen Aussehen hatte sie es zu verdanken, dass sie nicht als Köchin, Waschsklavin oder Putzsklavin in einem der vielen römischen Lager arbeiten musste. Von einem wandernden Sklavenhändler, der in der Nähe ihres Lagers einen kurzen Zwischenhalt gemacht hatte, war sie entdeckt und kurz darauf gekauft worden. Ein paar Monate später erreichten sie Rom, wo sie rasch an ihren jetzigen Besitzer verkauft worden war.
Titus war etwas früher als ich mit dem Ientaculum fertig. Daher beeilte er sich, um unseren Besitzer für seine heutige Begrüßungsrede im Circus Maximus zu Ehren Caesars Triumph, vorzubereiten.
Nach einer Weile kam er zurück. »Beeile dich! Wir müssen noch schnell in die Thermae{11}«, rief er mir eilig zu. Hastig schlang ich die letzten Reste meines Frühstücks hinunter. In großer Eile rannte ich Titus hinterher. Nur ein kurzes Tschüss konnte ich Tarratia noch zum Abschied zurufen. Unten angekommen, wartete unser Besitzer schon ungeduldig. Rasch gingen wir durch die Straßen Roms. In kürzester Zeit erreichten wir die Thermae. Geschwind bezahlte unser Besitzer das Eintrittsgeld. Vor lauter Hetze hatte er gar nicht bemerkt, dass er eigentlich noch Geld zurückbekommen hätte. Aber anstatt ihn darauf hinzuweisen, steckte der Römer, der die Eintrittspreise kassierte, die Münzen achselzuckend in seine Taschen.
Stickige Luft kam uns entgegen. Es roch sehr stark nach allen möglichen Arten von Ölen. Es war ein riesiges Gebäude. Überall waren Dutzende von Menschen. Man hörte Gelächter, klatschendes Wasser und das Lachen einiger Kinder.
Nachdem wir uns in den Apodyteria{12} ausgezogen hatten, gingen wir in das uns nächstgelegene Becken. Gleich darauf kam ein Sklave mit einer kleinen Amphore, zwei Schwämmen und einem gebogenen Stabeisen zu uns gerannt. Hastig gab er Titus die Amphore, einen Schwamm und den eingebogenen Strigilis{13}. Zum Schluss reichte er mir den zweiten Schwamm. Im Nu war er wieder verschwunden. Fragend sah ich Titus ins Gesicht. Warum hatte er nur ihm eine Amphore gebracht? Titus deutete mir, ich solle ihm einfach alles nachmachen. Allmählich begriff ich, warum uns unser Besitzer mitgenommen hatte. Er wollte, dass wir ihn wuschen. Feinfühlig begann ich ihn nun auch mit der Flüssigkeit zu waschen und zu massieren. Die Flüssigkeit, Sapo{14} genannt, wurde aus Ziegenfett und Asche gekocht, Seifenkraut dagegen nutzte man anfangs zum Haare färben und erst später zur Körperreinigung. Danach schabte Titus mit dem Strigilis den Schweiß und Dreck unseres Besitzers von seinem eingeölten Körper. Anschließend parfümiertem wir ihn mit Salbeiöl ein, welches uns ein weiterer Sklave reichte.
Erleichtert wollte ich aufatmen. Für mich war das schlimmer gewesen als alle Horrorfilme zusammen, die ich jemals gesehen hatte. Es war aber nicht nur abscheulich unseren Besitzer waschen zu müssen, sondern auch der Gedanke, dass ich endlich in einem Becken voller herrlich warmem Wasser war und dann einen ekligen, fetten Mann waschen musste.
Nun stiegen wir wieder aus dem Becken und gingen zu einem Regal, in dem ein Berg voller frischer Handtücher lag. Sorgfältig trockneten wir zuerst unseren Herrn ab, danach trockneten wir uns hastig ab.
Schockiert musste ich jedoch feststellen, dass wir noch nicht fertig waren. Nachdem sich unser Herr auf einen Hocker gesetzt hatte, bemerkte ich, dass auf einem kleinen Tisch daneben Wachs, Pinzetten und Nagelfeilen lagen.
Titus nahm sich zuerst eine Pinzette und begann unserem Besitzer die Achselhaare auszuzupfen. Mir wurde schlecht. Es war ein gewaltiges Büschel voller Haare. Zum Glück hatten wir vorher gebadet. Trotzdem roch ich den Schweiß unseres Besitzers. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie unangenehm es sein musste, dreihundert Haare unter der Achsel ausgezupft zu bekommen.
Nach einem aufmunternden Klaps von Titus nahm ich auch eine Pinzette in die Hand und begann die Achselhaare an der anderen Seite unseres Herrn auszuzupfen. Trotz meiner Bemühungen, nicht durch die Nase einzuatmen, wurde der Gestank seines Schweißes so penetrant, dass ich ihn trotzdem roch. In kürzester Zeit hatten wir fast alle seine Achselhaare ausgezupft. Titus‘ Gesichtsausdruck nach zu urteilen, machte es ihm höllischen Spaß, seinem Herrn Leid zuzufügen.
Zum Abschluss nahmen wir noch das Wachs. Wir erwärmten es in einer Schüssel voll kochendem Wasser. Als das Wachs weich geworden war, teilten wir es mit einem Messer in zwei Teile. Das eine Stück nahm Titus, das andere ich. Schnell trugen wir das Wachs mithilfe einer kleinen Spachtel auf und schmierten es auf die Brust unseres Besitzers.
Während das Wachs sich verhärtete, mussten wir ihm auch noch die Fingernägel feilen. Früher hatte ich es immer gehasst, mir meine Fingernägel zu feilen. Aber zum Glück hatte ich mich mit der Zeit daran gewöhnt. Was wohl meine Mum sagen würde, wenn sie mich hier als Sklave sehen würde?
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